August Graf von Kageneck

– Journalist und Autor aus Lieser

Nach dem Tod des Publizisten August Graf von Kageneck im Dezember 2004 würdigte ihn Herbert Kremp, langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „WELT“, als einen „Kavalier des Journalismus“. Im „SPIEGEL“ hieß es, Graf Kageneck habe in Frankreich „durch sein nobles Auftreten einen tiefen Eindruck“ hinterlassen. Diese Charakterisierung passte zu dem vornehmen Hintergrund des Grafen, der 1922 auf Schloss Lieser als Sohn des Generalmajors und Militärattachés Karl Graf von Kageneck und dessen Gattin Maria von Schorlemer-Lieser zur Welt kam. Sein Vater hatte im Kaiserreich eine brillante Militärkarriere absolviert und verkehrte mit den Spitzen des Hochadels. Augusts Mutter war die zweite Tochter des einflussreichen preußischen Landwirtschaftsministers Clemens von Schorlemer-Lieser. 1925 erwarb Karl Graf von Kageneck das 100 Hektar große Gut Blumenscheidt bei Wittlich; in der naturschönen Abgeschlossenheit dieses Eifler Besitzes lebte die große katholische Adelsfamilie fortan überwiegend. Außer vier Brüdern hatte August noch eine jüngere Schwester; zudem besuchten häufig zahlreiche Verwandte die Generalsfamilie in der Südeifel.

August verbrachte seine Gymnasialzeit teils auf dem jesuitischen Aloisiuskolleg in Bonn-Bad Godesberg, teils am Trierer Kaiser-Wilhelm-Gymnasium. Kurz nach dem 1939 in Trier abgelegten Abitur begann der Weltkrieg, der für Kageneck zur zentralen Erfahrung seines Lebens wurde. Alle fünf Söhne der Adelsfamilie standen im Front-
einsatz, zwei fielen innerhalb eines Monats: Franz-Josef, der mit Prinzessin Elisabeth Maria von Bayern verheiratet war, Ende 1941, kurz darauf Erbo Graf von Kageneck. Der Tod seines Bruders Erbo fand Aufmerksamkeit weit über die Angehörigen hinaus, da Erbo sich damaligen Kriegsruhm als Jagdflieger erworben hatte und mit dem Ritterkreuz mit Eichenlaub ausgezeichnet worden war; Ritterkreuzträger war auch Augusts ältester Bruder Clemens-Heinrich (1913-2005). Im Vergleich dazu verlief die Kriegsteilnahme Augusts unspektakulär: „13 Monate Ostfront, drei Monate Westfront. EK I und Verwundetenabzeichen in Silber, für zwei Kratzer und einen Treffer in die Schnauze.“ So beschrieb er es selbst mehr als 50 Jahre später in seinem Buch „In Zorn und Scham. Ungesammelte Gedanken zum größten anzunehmenden Unfall unserer Geschichte““ (1998). Graf Kageneck hatte eine schwere Gesichtsverletzung erlitten, die mehrere Operationen erforderte und bleibende Spuren hinterließ. Der bei Kriegsbeginn gerade erst 17 gewordene Generalssohn war anfangs in die renommierte Kavallerieeinheit des Reiter-Regiments 17 aufgenommen worden und hatte 1940 am Frankreichfeldzug teilgenommen. Der blutigste Abschnitt des Krieges begann für Kageneck im Juni 1941 mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion. Nunmehr als Leutnant und Zugführer in der Panzer-Aufklärungsabteilung der 9. Panzerdivision zählte sich Graf Kageneck nach eigener Darstellung zur Elite einer scheinbar unbezwinglich vorrückenden Armee. Ernsthafte Zweifel an diesem von der NS-Propaganda geprägten Weltbild kamen ihm erst, als der deutsche Vormarsch stockte und die Wehrmacht in die Defensive geriet. Graf Kageneck selbst wurde durch seine Verwundung vor einem Einsatz in der Schlacht von Stalingrad und damit vor dem nahezu sicheren Tod bewahrt. Nach Kriegsende, als er zunächst wieder im Familienkreis auf Gut Blumenscheidt lebte, war es ihm – wie so vielen der Kriegsgeneration – ein tiefes Anliegen, sich für den Abbau alter Feindbilder einzusetzen. Dies bedeutete in seinem Fall vor allem eine positive Sicht auf den einstigen „Erbfeind“ Frankreich; den Prozess der politischen Einigung Europas bejahte er zeitlebens entschieden.

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Weltkrieg reflektierte Kageneck in mehreren Büchern die Kriegsereignisse. Mehrfach wählte er dafür die französische Sprache, die er perfekt beherrschte, und erreichte auf diese Weise erfolgreich Öffentlichkeit und Lesepublikum in Frankreich. 1996 erschien in Paris das zwar auch in Deutschland, vor allem aber in Frankreich stark beachtete Werk „Examen de conscience“ („Gewissenserforschung“). In diesem publizistischen „Volltreffer“ (so der FAZ-Rezensent Adelbert Weinstein) ging Graf Kageneck eindringlich der Frage nach Schuld und Verantwortung der Wehrmacht nach. Seine heftigen Vorwürfe richteten sich primär gegen die damaligen deutschen Eliten, insbesondere gegen die Wehrmachtsführung, wohingegen er es ablehnte, die vielen Millionen Wehrmachtssoldaten pauschal als Verbrecher abzustempeln.

Der journalistische Lebensweg des mit einer Französin verheirateten Grafen war von Anfängen bei einer Kreuznacher Lokalzeitung, Mitarbeit bei überregionalen Zeitungen und Arbeiten für das Fernsehen geprägt, ehe er als Frankreichkorrespondent mehrerer deutscher Medien in Paris die dortige Journalistenszene maßgeblich mitprägte. Von 1986 bis 1994 arbeitete er in Bonn für das Bundespresseamt. Als Buchautor blieb der weitgereiste Kageneck bis in sein letztes Lebensjahr aktiv. Wenige Monate vor seinem Tod hielt der 82-jährige Frankreichfreund noch einen Vortrag an der Universität Trier.

Verfasser: Gregor Brand

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