Beate Berger

Zu den großen weltpolitischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts gehört der Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Zionismus. Sein – zunächst innerjüdisch heiß umstrittenes – Ziel bestand darin, eine jüdische Heimstatt in Palästina zu errichten. Mit der Staatsgründung Israels 1948 war dieses Hauptziel erreicht. Angehörige des Eifeler Judentums hatten dazu wichtige Pionierarbeit geleistet. Vor allem Kinder des Weinkaufmanns Jonas Berger aus Niederbreisig und seiner aus Speicher stammenden Frau Henriette Pelzer setzten sich effektiv für ihre zionistische Überzeugung ein. Der erstgeborene Sohn Julius Berger gehörte 1902 zu den Gründern des ersten Maccabi-Sportclubs in Deutschland. Nach dem Tod des zionistischen Vordenkers Theodor Herzl wurde Berger Generalsekretär der Zionistischen Weltorganisation. 1923 emigrierte er mit seinen beiden Söhnen in das bis 1948 von Großbritannien beherrschte Palästina, wo er sich weiter erfolgreich im zionistischen Sinn engagierte. Sein Bruder Alfred, wie der dritte Bruder Theodor Weltkriegsfreiwilliger, war während der Weimarer Republik zeitweise Vorstandsmitglied der sozialistischen USPD. Später leitete Alfred Berger, seit 1933 ebenfalls von Palästina aus, wichtige zionistische Einrichtungen.

Beate Berger (1886–1940), eine von 4 Töchtern dieser eifeljüdischen Familie, wuchs nach dem frühen Tod ihres Vaters bei Verwandten auf. Erst als Jugendliche lebte sie wieder mit ihrer Mutter und den Geschwistern, die inzwischen versucht hatten, sich in Köln eine neue Existenz aufzubauen. Als ihre Mutter bereits 1903 starb, mussten die Vollwaisen notgedrungen ihre Lebensplanungen ändern. So brach etwa Theodor seine Gymnasialausbildung ab, und Beate arbeitete in einer Manufakturwarenhandlung. Ihre Neigung richtete sich jedoch auf eine heilende, helfende Arbeit. Sie empfand es daher als Glück, als 24-Jährige am Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt eine Ausbildung zur Krankenschwester machen zu können. Im Weltkrieg meldete sie sich sofort freiwillig zum Roten Kreuz. Hautnah erlebte sie tausendfach die grässlichen Verwundungen der Soldaten. Nach Kriegsende arbeitete sie noch einige Jahre am Jüdischen Krankenhaus, wollte nun aber auch auf andere Weise helfen. Bereitwillig nahm sie 1922 das Angebot an, in Berlin das „Jüdische Kinder-Flüchtlingsheim“ zu leiten. 1924 erhielt dieses Heim den Namen „Ahawah“ (Liebe), der für „Schwester Oberin“ Berger Programm war: „Die Grundlage für die Erziehung von Kindern muß Liebe sein.“ Viele der Ahawah-Heimzöglinge waren verwaiste ostjüdische Flüchtlingskinder aus leidgeprüften Verhältnissen. Mit Liebe, aber nicht ohne Strenge, wurde sich nun um sie gekümmert.

Unter der Leitung Bergers erwarb sich das Heim, beeinflusst von den pädagogischen Ideen Siegfried Bernfelds, einen Ruf als reformpädagogische Einrichtung. Gruppe und Gemeinschaft standen im Mittelpunkt; die Gruppenehre wurde besonders hochgehalten. Es gab einen „Kinderrat“ und der Erwerb praktischer Kenntnisse spielte eine große Rolle. Die jüdische Identität der Kinder sollte gestärkt und eine besondere Liebe für das Land Israel entwickelt werden. Als Hitler 1933 an die Macht kam, erkannte Heimleiterin Berger schnell, dass der  zionistische Wunsch zur Übersiedlung nach Palästina nun zu einer existenziellen Notwendigkeit wurde. Sie unternahm größte Anstrengungen, um den Übersiedlungsplan finanziell und organisatorisch umzusetzen. Es gelang ihr, mit einer Gruppe von Kindern 1934 Deutschland zu verlassen und in Kirjat Bialik bei Haifa ein neues Heim aufzubauen. In den folgenden Jahren war es Bergers Hauptsorge, aus dem Heim in Berlin möglichst viele Kinder nach Palästina zu retten. Da die Briten jedoch nur ausgewählte Juden ins Land ließen, gab es einen verzweifelten Kampf um die Erlaubniszertifikate. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1940 schaffte es Beate Berger, etwa 300 Kinder ins Gelobte Land zu bringen. Die im deutschen Machtbereich Zurückgebliebenen wurden größtenteils ermordet.

Vor wenigen Jahren hat Ayelet Bargur, Urenkelin von Julius Berger, unter dem Titel „Ahawah heißt Liebe“ ein bewegendes Buch über das Kinderheim veröffentlicht und einen Dokumentarfilm dazu gedreht. Ayelets Vater Jona Bargur setzt sich stark für Frieden mit den Palästinensern ein. Angehörige der Berger/Bargur-Familie sind in Kontakt mit Bürgern aus dem Breisiger Ländchen getreten. Gerne erinnert man sich nun an die lange eifeljüdische Geschichte im Schatten der Burg Rheineck.

Verfasser: Gregor Brand
 

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