Carl von Ehrenwall – Mediziner aus Ahrweiler

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Carl von Ehrenwall

„Zeitalter der Nervosität“ – so nannte der Historiker J. Radkau vieldeutig die Jahrzehnte vor und nach 1900. Zu den Medizinern, die sich damals der Hilfe bei „Nervenschwäche“ und anderen psychiatrischen Erkrankungen verschrieben hatten, gehörte der 1855 in Ahrweiler geborene Carl von Ehrenwall. Die auf ihn zurückgehende Dr. von Ehrenwall’sche Klinik in seinem Geburtsort ist die einzige größere private Einrichtung dieser Art, die heute noch am gleichen Platz existiert und ihre Arbeit erfolgreich fortsetzt.

Carl von Ehrenwall entstammte, wie man aus seinem Wappen schließen kann, der 1834 in Wien geadelten Familie Dorotka von Ehrenwall. Der erste Träger des klangvollen Adelszusatzes „von Ehrenwall“ war der österreichisch-ungarische Artillerie-Offizier Georg Dorotka (1779-1875). Er hatte 1809 in der Schlacht bei Aspern, in der Kaiser Napoleon seine erste militärische Niederlage erlitt, als Oberfeuerwerker einen wichtigen Beitrag zum Sieg geleistet. Durch einen gut platzierten Granatenschuss brachte er die Friedhofsmauer, hinter der sich die Franzosen verschanzt hatten, zum Einsturz.  Dieses Ereignis hielten dann später Adelsnamen und Wappen fest.

Sein Nachfahre Carl von Ehrenwall besuchte die Höhere Bürgerschule in Ahrweiler und studierte Medizin in Würzburg und Breslau. Auch wenn seine 1879 in Würzburg veröffentlichte Doktorarbeit „Zur Casuistik der multiplen Lipome“ nichts mit dem psychiatrischen Bereich seines späteren ärztlichen Tätigkeitsfeldes zu tun hatte, war Ehrenwalls Interesse für nervenheilkundliche Fragen schon früh vorhanden. Praktika in der – damals so genannten – Irrenheilanstalt im niederschlesischen Leubus  sowie in der herzoglich-nassauischen Heil- und Pflegeanstalt Eichberg zeigten dies ebenso wie seine Tätigkeit in Breslau als Assistent des Neuropathologen Oscar Berger (1844-1885).

Dass der heimatverbundene Jungmediziner von Ehrenwall seine berufliche Zukunft allerdings an der Ahr sah, wurde bereits deutlich,  als er 1877 noch vor Abschluss seiner Ausbildung zusammen mit zwei Mitarbeitern in Ahrweiler eine „Privat-Irrenanstalt“ für zunächst sechs Patienten eröffnete. Dies kann als Geburtsstunde der heutigen Dr. von Ehrenwall’schen  Klinik angesehen werden, auch wenn deren entscheidender Ausbau erst in den 1880er Jahren erfolgte. Der früh einsetzende gute Ruf und Erfolg dieser Heilstätte beruhte zu einem beträchtlichen Teil auch auf der Mitarbeit von Ehrenwalls Ehefrau Anna Sturm (1857-1929), die sich intensiv um die wirtschaftlichen Belange kümmerte.

Neben seiner ärztlich und unternehmerisch bedeutsamen Lebensleistung erwarb sich Klinikgründer von Ehrenwall auch anderweitig besondere Verdienste um seine Heimatstadt. 1883 war er Mitglied der traditionsreichen St.-Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler geworden; 1892 wurde er Schützenkönig. Was diese Vereinsmitgliedshaft ungewöhnlich machte, war die Akribie und Intensität,  mit der ab 1900 die Chronik der Schützenbruderschaft führte – und damit gleichsam nebenbei zu einem herausragenden Heimatchronisten wurde. Als er diese Chronik 1927 abschloss, lagen nach Angaben von Studiendirektor Johannes Roth (1904-1989) 450 eng beschriebene Seiten im Folio-Format vor – ein lokalgeschichtliches Dokument, um dessen Fülle und Dichte viele andere Gemeinden Ehrenwalls Heimatstadt nur beneiden können.

In der Kommunalpolitik engagierte sich von Ehrenwall seit den 1890er Jahren. In seine jahrzehntelange Zeit als Stadtratsmitglied und Beigeordneter fielen wichtige kommunalpolitische Maßnahmen, von denen etliche von ihm selbst angeregt wurden. Mit der 1927 erfolgten Verleihung der Ehrenbürgerwürde würdigte die Stadt seine umfassenden Verdienste um Ahrweiler. Neben eigenem persönlichen Einsatz hatte von Ehrenwall seinen Heimatort vielfach auch finanziell bei einzelnen Projekten unterstützt; nicht zuletzt das Gymnasium hatte von diesen Mitteln profitiert.  Zu Ehrenwalls 80. Geburtstag im September 1935 waren weitere Ehrungen vorgesehen, aber dem greisen Geheimen Sanitätsrat war es nicht mehr vergönnt, diesen Tag zu erleben: Dr. Carl von Ehrenwall verstarb im Juni 1935.

Nach seinem Tod blieb die Führung der Klinik weiter in Händen der Familie. Aus seiner Ehe  waren drei Kinder hervorgegangen. Der einzige Sohn Dr. Josef von Ehrenwall, Mediziner wie sein Vater, fiel 1916 im Weltkrieg. Die jüngste Tochter Sophie übernahm nach Ehrenwalls Tod zusammen mit ihrem Mann Dr. Emil Marx die Leitung der Klinik, ehe nach dem zweiten Weltkrieg die Verantwortung auf die Enkelin Dr. Marianne Marx und deren Ehemann Dr. Otto Smolenski und danach auf deren Sohn Dr. Christoph Smolenski überging. Jede Generation musste mit schwierigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterschiedlicher Intensität zurechtkommen und die grundlegenden fundamentalen medizinischen Veränderungen, die es gerade auch in der Psychiatrie gab, umsetzen. Dass diese Anpassungen der Dr. von Ehrenwall’schen Klinik erfolgreicher als den meisten vergleichbaren Einrichtungen gelang, verleiht dem Lebenswerk des Gründers einen besonderen historisch-humanitären Akzent. 

Verfasser: Gregor Brand

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