Christoph Friedrich Heinle

Dichter aus Mayen

Leben und Werk des sehr jung gestorbenen Dichters Christoph Friedrich (Fritz) Heinle werden überwiegend im Zusammenhang der Biografie seines Freundes, des herausragenden Kulturtheoretikers Walter Benjamin (1892-1940), erwähnt, verdienen aber auch unabhängig davon Beachtung.
Fritz Heinle kam im März 1894 als Sohn von Friedrich Heinle (1857-1912) und der Schlesierin Margarethe Wagner in Mayen zur Welt, wo sein Vater als Regierungsassessor am Landratsamt arbeitete. Benannt wurde er nach seinem Großvater Christoph Friedrich Heinle (1828-1879), der sich als Gutsbesitzer in Sachsen-Anhalt niedergelassen hatte. Die evangelische Familie Heinle stammt nach den genealogischen Forschungen von Bernd Heinle aus dem Raum Hohenlohe und gelangte über Öhringen und Augsburg nach Sachsen-Anhalt. Die Kinderjahre Fritz Heinles waren von Ortswechseln geprägt. Nach der Versetzung des Vaters 1906 als Regierungsrat nach Aachen zog die Kleinfamilie, zu der 1899 als weiterer Sohn Wolf Heinle hinzugekommen war, in diese westliche Großstadt am Rand der Eifel. In Aachen besuchte Heinle bis zum Abitur im Februar 1912 das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium. Er schloss sich früh einem bemerkenswerten Kreis hoch begabter junger Dichter an, der sich dort formiert hatte. Zu ihnen gehörte Philipp Keller (1891-1973), der später Medizinprofessor und Chefarzt in Aachen wurde, Walter Hasenclever (1890-1940), und der jüdische Schriftsteller und Hölderlinforscher Ludwig Strauss (1892-1953). Poetische Vorbilder dieser Jungintellektuellen waren Stefan George, Arthur Rimbaud und Walt Whitman. Ab April 1912 studierte Heinle zwei Semester lang in Göttingen Deutsche Philologie. Die Auswahl der Vorlesungen erfolgte auf der Basis von Heinles überragendem Interesse an Literatur und Kultur. Stark beeindruckt war er zu diesem Zeitpunkt von den Gedichten seines Freundes Ludwig Strauss. Im intensiven Briefwechsel mit Strauss legte Heinle diesem eigene Gedichte zur Beurteilung und Kritik vor. Wichtiger geistiger Orientierungspunkt Heinles war die junge Wandervogelbewegung und die unter dem Einfluss des Reformpädagogen Gustav Wyneken stehende Kritik an der Erziehung und Kultur überhaupt. Zaghaft wagte sich Heinle mit eigenen Gedichten an die Öffentlichkeit, die durch ihren besonderen Klang auffielen. 1912 erschienen im „Göttinger Musenalmanach“ vier Gedichte von Heinle, 1913 veröffentlichte er in einer expressionistischen Anthologie neben Autoren wie Gustav Benn oder Jakob van Hoddis sein Gedicht „Tannenwald im Schnee“.

Im Frühjahr 1913 wechselte Heinle auf die Universität in Freiburg, was mit dem dort studierenden Freund Keller, aber auch mit der in Freiburg aktiven freistudentischen Gruppe zu tun hatte. Ebenfalls Student in Freiburg und nicht weniger von Wyneken geprägt war der jüdische Kaufmannssohn Walter Benjamin. Heinle und Benjamin lernten sich kurz nach Semesterbeginn kennen und schätzen. Benjamin beschrieb in einem Brief seinen Ersteindruck von Heinle: „Da ist Heinle, ein guter Junge. Sauft, frißt und macht Gedichte. Die sollen sehr schön sein – ich werde bald welche hören. Ewig träumerisch und deutsch“. Heinle und Benjamin unternahmen Wanderungen im Schwarzwald und verbrachten bei angeregten Diskussionen viel Zeit miteinander. Bei innerstudentischen Konflikten schlug sich Heinle auf die Seite Benjamins, wodurch sich seine Distanz zu Philipp Keller und anderen Aachener Freunden vergrößerte. Das machte ihm erheblich zu schaffen: „Für Heinle stellte die Abkehr von Keller einen lebensweltlichen Bruch dar“ (J. Steizinger). Ab WS 1913/14 studierte Heinle, wie der ebenfalls dorthin gewechselte Benjamin, an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Auch in Berlin beteiligte er sich engagiert an Aktivitäten der Freien Studentenschaft und wurde im Februar 1914 Schriftführer in deren Präsidium. Insgesamt waren Heinles Berliner Monate allerdings von intellektuellen und persönlichen Auseinandersetzungen in seinem Umfeld geprägt; auch im Verhältnis zu Benjamin wechselten sich Streit und Versöhnung ab. Zu einem Hauptgegner Heinles wurde der radikale linke Publizist Franz Pfemfert, der Heinle öffentlich als „Intriganten“ bezeichnete und ihn lächerlich zu machen versuchte. Am 8. August 1914, also wenige Tage nach Beginn des Weltkriegs, wurden Heinle und seine Freundin Friederike Seligson im Heim der Freien Studentenschaft bei aufgedrehtem Gashahn tot aufgefunden. Zeitungen vermuteten einen Selbstmord aus „Liebesgram“. Andere, die Fritz Heinle besser kannten – insbesondere sein Bruder Wolf und Walter Benjamin – interpretierten den Doppelsuizid demgegenüber als Protest gegen den Krieg und die herrschende Kultur. Für Benjamin, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm, blieb der frühe Tod seines Freundes ein lebensprägendes Zentralereignis. Lange hütete er dessen Text-Nachlass ebenso wie den von Wolf Heinle, der 1923 an Tuberkulose verstarb; dann ging dieser geistige Schatz weitgehend auf Benjamins Fluchtweg verloren. 2016 gab der Philosoph Johannes Steizinger den Band: „Christoph Friedrich Heinle. Lyrik und Prosa“ heraus und versah ihn mit einem informativen Nachwort. Diese Publikation wird dazu beitragen, das Schaffen des Dichters Heinle weiter zu ergründen.

Verfasser: Gregor Brand

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