Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser

Nur wenige Namen von Eifeldörfern dürften Kaiser Wilhelm II. so angenehm in den Ohren geklungen haben wie derjenige von Lieser. Während der wilhelminischen Herrschaft bestand kein Zweifel daran, dass der Deutsche Kaiser den nach dem Eifelmoselort benannten Freiherrn Clemens von Schorlemer-Lieser außerordentlich schätzte. Mehrfach hielt sich der Kaiser auf Schloss Lieser bei seinem Jagdfreund auf und nach dem Tod des Freiherrn würdigte ihn der Ex-Kaiser als einen Mann von staatsmännischer Klugheit und Tüchtigkeit und bezeichnete dessen Tod als schweren Verlust für das Vaterland.

Die enge Verbundenheit des Freiherrn Clemens von Schorlemer mit Eifel und Mosel war diesem nicht in die Wiege gelegt. 1856 im münsterländischen Haus Alst als Freiherr von Schorlemer-Alst geboren, entstammte er einem der ältesten Adelsgeschlechter Westfalens. Sein Vater Burghard war als Mitgründer der Zentrums-Partei nicht nur führender Vertreter des politischen Katholizismus, sondern galt als Vorsitzender des Westfälischen Bauernvereins auch als „Bauernkönig“ von Westfalen. Die Verbindung mit Lieser entstand für den Sohn Clemens erst mit seiner Heirat. 1880 vermählte er sich mit Maria Puricelli (1855–1936) aus der sehr wohlhabenden Industriellenfamilie Puricelli.

Clemens von Schorlemers Schwiegervater ließ in den Folgejahren das Schloss Lieser erbauen, das nach dem Tod der Puricelli-Söhne in die Hand der Tochter Maria überging und für lange Zeit im Besitz der Familie von Schorlemer-Lieser – wie diese sich nun nannte – blieb. Zum Zeitpunkt seiner Heirat hatte der junge Freiherr, gesegnet mit „schier unerschöpflicher Arbeitskraft“, schon die ersten Schritte auf dem Weg einer beeindruckenden Beamtenkarriere absolviert. Jurastudium mit Referendariat und Promotion lagen ebenso hinter ihm wie der Wehrdienst. Nach den üblichen Stationen als Assessor folgte im Dreikaiserjahr 1888 die Ernennung zum Landrat des Kreises Neuss.

In den 90er Jahren wurde deutlich, dass sich der dynamische Landrat zu mehr berufen fühlte. Im Vertrauen auf seine Beliebtheit – 1893 wurde er Schützenkönig, 1905 Ehrenbürger von Neuss – kandidierte er als Unabhängiger für den Reichstag – freilich unterstützt von der antisemitischen Deutsch-Sozialen Partei. Bewusst trat er gegen die Zentrumspartei an, mit der er sich auch später vielfach anlegte. Obgleich streng katholisch, fand von Schorlemer seine politische Heimat eher bei Parteien mit starkem protestantischem und nationalkonservativem Element. Treue gegenüber König und Kaiser, Schutz des adligen Großgrundbesitzes und der Landwirtschaft überhaupt – das waren Säulen seiner politischen Grundhaltung.

Von Schorlemer wurde als führendes Mitglied einflussreicher Agrarverbände zu einem der wichtigsten deutschen Agrarpolitiker. Nach dem Ende seiner Landratszeit 1897 folgte die Ernennung zum Oberpräsidenten der Provinz Schlesien. Bis 1905 blieb er höchster preußischer Beamter in diesem wichtigen Teil des Reichs. 1905 ging es als Oberpräsident der Rheinprovinz mit Sitz in Koblenz zurück in die rheinländische Heimat und 1910 erreichte von Schorlemer-Lieser als preußischer Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten sein höchstes Amt.

Mehrfach sogar als Reichskanzler im Gespräch, war er zu einem der einflussreichsten Politiker des Reiches geworden, was ihn zugleich in die zentralen politischen Konflikte verwickelte. Die Frage der Ernährungssicherheit im Krieg stellte den Landwirtschaftsminister vor schwierigste Herausforderungen, aber es waren letztlich der Streit um die Kriegsziele und die Wahlrechtsreform, die ihn 1917 von seinem Ministeramt zurücktreten ließen.
Besondere Freude bereitete dem Schlossherrn zu Lieser das Anwachsen der Familie. Maria, sein einziges Kind, wurde in ihrer Ehe mit Generalmajor Karl Graf Kageneck Mutter von fünf Söhnen.

Zwei davon erhielten im Weltkrieg als Ritterkreuzträger mit Eichenlaub höchste Auszeichnungen, aber zwei fielen auch um die Jahreswende 1942/43 diesem Krieg zum Opfer. Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser selbst starb im Sommer 1922 und wurde am Familiensitz in Lieser höchst ehrenvoll beigesetzt. Nur wenige Wochen später erblickte sein jüngster Enkel, August Graf Kageneck, in Lieser als Eifelkind das Licht der Welt. August (1922–2004) erwarb sich später als Publizist hohen Respekt und trug so wie einst der Großvater zur Ehre Liesers bei. 

Verfasser: Gregor Brand

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