Cyrillus Jarre

Erzbischof und Märtyrer in China aus Ahrweiler

Cyrillus Jarre
Cyrillus Jarre

Mit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 entstand unter Führung Mao Tse-tungs eine kommunistische Diktatur, der nach Schätzungen von Historikern mehr als 40 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Manche der entsetzlichen Einzelschicksale der Ermordeten und Gefolterten wurden in den vergangenen Jahren durch Historiker (z. B. Frank Dikötter) ans Licht geholt und dokumentiert. Trotzdem gehen die meisten Namen von Maos Opfern im Meer der schier unfassbaren Menge unter. Zu den Ausnahmen zählt ein Eifler: Cyrillus Jarre, der 1952 an den Folgen seiner Haft verstorbene Erzbischof von Tsinan. Dessen brutal endendes Leben hatte 1878 hoffnungsfroh in Ahrweiler begonnen, wo Rudolf – so sein eigentlicher Vorname – Jarre  zusammen mit seiner Zwillingsschwester Anna Maria als Sohn des wohlhabenden Kaufmanns Heinrich Jarre (1842–1924) und dessen Ehefrau Anna Maria Müller (1840–1906) zur Welt gekommen war. Ein jüngerer Bruder des späteren Erzbischofs war Anton („Toni“) Jarre, der nach dem 2. Weltkrieg als Bürgermeister in Ahrweiler wirkte und 1957 Ehrenbürger seiner Heimatstadt wurde. Ins Ahrtal war der Familienname Jarre erst durch den Hamburger Schreinermeister Johann Matthias Jarre (1805-1887) gekommen, der sich nach seiner Heirat mit der Ahrweilerin Maria Gudula Schönewald dort niederließ. In Hamburg hatte es im 17. Jahrhundert einen Bürgermeister Jarre  gegeben; bis heute erinnert die Jarrestadt in Hamburg-Winterhude an diese Familie. Die Erziehung Rudolf Jarres erfolgte in einem tief prägenden katholischen Umfeld. Früh wurde ihm als „Aloysiusjunge“ die Marienfrömmigkeit und Keuschheitsliebe des hl. Aloysius als Ideal vermittelt; im Dreikaiserjahr 1888 wurde der Zwölfjährige stolzer Aloysiusschützenkönig. Dem Vater ging die Frömmigkeit seines Sohnes fast zu weit. Von dessen Kindheitswunsch, Franziskaner zu werden, wollte er ihn in der holländischen Franziskanerschule Harreveld „kurieren“ – vergeblich. Rudolf Jarre trat den  Franziskanern bei und nahm den Ordensnamen Cyrillus an. Nach der Priesterweihe 1903 brach er im folgenden Jahr als Missionar nach China auf. Auf das Reich der Mitte blickte man damals im Deutschen Reich aufmerksam. Wilhelminische Truppen beteiligten sich an der Niederschlagung des „Boxeraufstandes“, in Tsingtau erwarb das Kaiserreich Kolonialbesitz. Als die Japaner diese Kolonie im 1. Weltkrieg eroberten, geriet Jarre, der zuvor an einem Priesterseminar unterrichtet hatte, in deren gefürchtete Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr erwarb er sich bei Flutkatastrophen des Gelben Flusses große humanitäre Verdienste, ehe er von seinem Orden 1924 als Professor an die Ordenshochschule San Antonio in Rom berufen wurde. Der  Experte für katholisches Kirchenrecht veröffentlichte zahlreiche Schriften und bewies mit zwei Übersetzungen, wie außergewöhnlich seine Kenntnis Chinas war: Jarre übersetzte sowohl das chinesische Zivilgesetzbuch ins Lateinische als auch das katholische Gesetzbuch CIC vom Lateinischen ins Chinesische – grandiose geistige Leistungen von bleibendem interkulturellen Wert. Im Alltag trat der körperlich kleine Mann sehr schlicht auf und passte sich nicht nur mit seiner einfachen chinesischen Kleidung den Landesgewohnheiten an. Jeden Tag stand er um 4 Uhr auf, betete, meditierte und feierte die heilige Messe. „Bete, als hülfe kein Arbeiten; arbeite, als hülfe kein Beten“, war einer seiner ehernen Grundsätze.
Im Mai 1929 wurde Jarre zum Apostolischen Vikar in Tsinan (auch: Jinan), der am Gelben Fluss gelegenen Hauptstadt der Provinz Shandong, sowie zum Titularbischof ernannt. In den dreißiger Jahren wirkte Jarre wieder im kriegsgeschüttelten China. Als nach 1945 der chinesische Bürgerkrieg in seine entscheidende Phase kam, ernannte Papst Pius XII. den Eifler zum Erzbischof von Tsinan. Für den Franziskanerbischof ging es darum, die kleine katholische Minderheit widerstandsfest zu machen. Erzbischof Jarre setzte dabei stark auf die Laienbewegung Legio Mariae, die er in allen Pfarreien förderte. Als sich die Kommunisten 1949 endgültig im Bürgerkrieg durchsetzten, wurde die Lage für Jarre bedrohlich. Mao und seine marxistischen Mitstreiter huldigten einem militanten Atheismus, der Religion als Opium für das Volk verachtete. Der romtreue Jarre, der eine  kommunistisch beherrschte Nationalkirche ablehnte, wurde zum Staatsfeind erklärt und kam 1951 in Einzelhaft. Der 73-Jährige musste ständig eiserne Handfesseln tragen und 14 Stunden täglich stillsitzen. Verhöre, Mangelernährung und weitere schmerzhafte Schikanen führten zu tödlicher Erkrankung. Nach seinem Tod im März 1952 wollten ihn die Funktionäre schmachvoll in Häftlingskleidung bestatten. Nur dank des lebensgefährlichen Einsatzes von Gläubigen wurde er schließlich in einem weißen Gewand ehrenvoll in einem Felsengrab beigesetzt. In den vergangenen Jahren trugen Veröffentlichungen von G. Han, H. Schneider und P. B. Steffen dazu bei, dass das ferne Schicksal dieses Eifelkindes nicht in Vergessenheit gerät. Verfasser: Gregor Brand

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