David Paul Hansemann

– Pathologe und Krebsforscher aus Eupen

302_hansemann_35_16In der Erfolgsgeschichte der Medizin haben diejenigen Ärzte den größten Ruhm erlangt, denen der Sieg über verheerende Krankheiten gelang. Bei diesem hoch verdienten Lob geraten leicht die Mediziner in den Hintergrund, denen zwar keine entscheidenden Durchbrüche, wohl aber elementare Beobachtungen und Folgerungen zu verdanken sind. Zu diesen gehört David Paul Hansemann, der als erster die wegweisende Entdeckung machte, dass Krebs mit Chromosomen-Anomalien einhergeht.

David Paul Hansemann wurde 1858 in Eupen als Sohn des Unternehmers und Wissenschaftlers Gustav Hansemann und dessen Ehefrau, der Arzttochter Mathilde Vorländer, geboren. Die Hansemanns hatten seit Jahrhunderten lutherische Theologen hervorgebracht und wurden im 19. Jahrhundert als Kaufleute sehr reich und einflussreich. Der Aufstieg in die Spitze der preußischen Gesellschaft setzte mit dem Pastorensohn David Justus Hansemann (1790-1864), dem Großvater des Mediziners, ein. Als extrem erfolgreicher Unternehmer und Wirtschaftspionier, auf den zukunftsweisende Gründungen von Versicherungen, Banken und Bahnen zurückgingen, aber auch als Politiker gehörte der Liberale David Justus Hansemann zu den großen rheinpreußischen Persönlichkeiten seiner Zeit. Er war es auch, der die Verbindung der norddeutschen Familie Hansemann mit der Westeifel bewirkte: David Justus heiratete Fanny Fremerey, Tochter eines Wollproduzenten in Eupen. Zwei als Wissenschaftler bedeutende Enkel des Paares Hansemann-Fremerey wurden in Eupen geboren: außer dem Pathologen David Paul auch noch dessen Vetter, der Chemieprofessor Daniel Vorländer (1867-1941). Eine weitere Persönlichkeit aus dieser Familie muss schließlich noch erwähnt werden, da sie die an Reichtum und Machteinfluss die anderen sogar übertraf: Adolph von Hansemann (1826-1903), ein Onkel des Mediziners. Unter Adolphs jahrzehntelanger Führung entwickelte sich die „Disconto-Gesellschaft“ zu einer der größten und bedeutendsten Privatbanken Europas. In zahlreichen weiteren Führungspositionen wurde Adolph von (geadelt 1872) Hansemann zu einer Zentralpersönlichkeit in der gewaltig aufstrebenden Wirtschaft des deutschen Kaiserreichs. Ohne dessen eigene Lebensleistung damit schmälern zu wollen, kann man also feststellen, dass David Paul Hansemann in einem höchst privilegierten Umfeld aufwuchs und lebte. Wie in Familien des Großbürgertums nicht ungewöhnlich wurde er anfangs privat unterrichtet, später war er Gymnasiast in Berlin. Als Medizinstudent in Berlin, Kiel und Leipzig verfolgte Hansemann aufmerksam die rasanten Fortschritte der medizinischen Wissenschaft – eines der zahlreichen Gebiete, auf denen deutsche Forscher damals weltweit führten. Grundlegend zu dieser Spitzenstellung hatte ein Kind der Eifel beigetragen: der in Berlin lehrende geniale Biologe Johannes Müller (1801-1858). Müller war es auch gewesen, der als erster Tumorzellen untersucht hatte, und es war ein Müller-Schüler von Weltruf, Rudolf Virchow, bei dem David Paul Hansemann nach seiner Promotion wissenschaftlicher Assistent in Berlin wurde. Als Mitarbeiter des legendären Medizin-Titanen Virchow machte Hansemann eine grundlegende Beobachtung. Ihm fiel auf, dass bei Tumorzellen stets Unregelmäßigkeiten der erst wenige Jahre zuvor entdeckten Chromosomen vorlagen. Solche Anomalien waren zwar schon einigen Forschern in den Jahren zuvor aufgefallen, aber Hansemann war der erste, der diese Zellkernveränderungen gegen wissenschaftlichen Widerstand kausal mit der Entstehung von Krebs in Verbindung brachte. Neben den enormen wissenschaftlichen Schwierigkeiten dieses Forschungsgebietes führten wohl auch noch andere Aspekte dazu, dass die Bedeutung von Hansemanns Chromosomentheorie lange unterschätzt wurde, obwohl sich der herausragende Chromosomenforscher Theodor Boveri bei seiner 1914 präsentierten Chromosomentheorie auf Hansemanns Arbeiten bezogen hatte. Der selbstbewusste Hansemann hatte nach seiner Berliner Habilitation aufgrund seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit Angebote auf eine ordentliche Pathologie-Professur lange abgelehnt. Stattdessen zog er es vor, als Pathologe und Prosektor an verschiedenen Krankenhäusern Berlins zu arbeiten, weil ihm dies wissenschaftlich interessanter erschien. Besondere Aufmerksamkeit erlangten seine Untersuchungen der Gehirne von prominenten Verstorbenen, die durch geistige Spitzenleistungen hervorgetreten waren (Helmholtz, Bunsen, Adolf Menzel).

Erst 1912 wurde er Ordinarius in Berlin, aber bereits zwei Jahre später unterbrach der Weltkrieg diese Tätigkeit; David Paul von (seit 1901) Hansemann wurde Chefarzt eines Lazaretts an der Ostfront. Nach Kriegsende nahm er seine Tätigkeit an der Universität Berlin wieder auf, aber bereits 1920 verstarb der große Pathologe – an Kehlkopfkrebs. Er wurde im prunkvollen Hansemann-Mausoleum auf dem Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof in Berlin beigesetzt. Sein einziger Sohn aus der 1885 mit Elisabeth Walter geschlossenen Ehe, der Jurist Fritz David von Hansemann (1886-1971), war von 1930 bis 1933 Oberbürgermeister von Flensburg.

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen