Egon Ihne – Pflanzenphänologe aus Rheinbach

Das Forschungsgebiet Pflanzenphänologie untersucht den Einfluss von Wetter, Witterung und Klima auf den jahreszeitlichen Entwicklungsgang und die Wachstumsphasen der Pflanzen. Angesichts der Tatsache, dass Fragen von Wachstum, Blütezeit, Aussaat und Erntezeit Menschen schon seit Jahrtausenden beschäftigen, ist es erstaunlich, dass die wissenschaftliche Erfassung dieses Feldes erst im 19. Jahrhundert einsetzte. Am Anfang stehen zwei große Wissenschaftler aus Gent: der brillante Statistiker Adolphe Quetelet (1796–1874) und der Botaniker Charles Morren (1807–1857), der 1849 wohl als erster den Begriff „Phenologie“ verwendete. Egon Ihne gehört zu den deutschen Phänologie-Pionieren.

Ihne kam 1859 in der zwischen Altenahr und Bonn gelegenen Stadt Rheinbach zur Welt. Sein Vater Wilhelm Ihne (geb. 1835) war Bergwerksdirektor und leitete das Bleibergwerk „Zeche Aachen“ in Much (Rhein-Sieg-Kreis). Egons Mutter Jacobine Hees (1833-1865) starb jung; ein Jahr nach ihrem frühen Tod heiratete der Vater die 21-jährige Maria Viktoriana Joesten aus Hennef. Egon studierte Naturwissenschaften in Bonn und Gießen, vermutlich mit dem Berufsziel Gymnasiallehrer. Von prägendem persönlichem und wissenschaftlichem Einfluss für Egon Ihne wurde der hessische Botaniker Hermann Hoffmann (1819–1891). Ihnes 1880 in Gießen veröffentlichte 33-seitige Dissertation galt der „Geschichte der Einwanderung von Puccinia Malvacearum und Elodea canadensis“. In dieser ökologiegeschichtlich interessanten Abhandlung geht es um die Ausbreitung zweier ursprünglich in Amerika beheimateter Pflanzen – des Pilzes Malvenrost und der Wasserpflanze Kanadische Wasserpest. Letztere hatte sich mit beträchtlichen ökologischen Auswirkungen seit den 1830er Jahren in Europa rasant vermehrt.

1881 wurde Dr. Ihne Gymnasiallehrer in Gießen. 1885 wechselte er auf die Realschule im hessischen Friedberg, wohl weil ihm die Bedingungen dort sowohl für naturkundlichen Unterricht als auch für eigene Naturbeobachtungen günstiger schienen. 1895 erfolgte Ihnes Berufung zum Gymnasialprofessor an das Neue Gymnasium in Darmstadt, das 1890 aus dem altehrwürdigen Ludwig-Georgs-Gymnasium (LGG) hervorgegangen war. Der Titel „Professor“ bezog sich dabei nicht auf einen habilitierten Hochschullehrer, sondern war eine angesehene Amtsbezeichnung im höheren Schuldienst. Ihne, seit 1890 mit Tina Haeberle verheiratet und Vater eines Sohnes, unterrichtete bis 1924 am Darmstädter Gymnasium und blieb Generationen von Schülern – etwa dem Philosophen Willy Moog (Abitur 1906) – als naturbegeisterter Pädagoge in Erinnerung.

Auf seinem Spezialgebiet der Pflanzenphänologie erarbeitete sich Egon Ihne früh einen exzellenten Ruf. Seine 1884 als „Beiträge zur Phänologie“ erschienene „Geschichte der pflanzenphänologischen Beobachtungen in Europa“ mit einem Verzeichnis der dazu bisher erschienenen Schriften wurde zu einem Grundlagenwerk des neuen Wissenschaftsgebiets. Ihne kam es darauf an, die bisherigen Arbeiten zur Phänologie zu erfassen, aber noch weit wichtiger wurde ihm die Verbesserung der Datenbasis. Auf Ihne ging die Errichtung Dutzender Beobachtungsstellen zurück, deren Erkenntnisse er Jahr für Jahr in den „Phänologischen Mitteilungen“ veröffentlichte. Auf der Grundlage dieser Informationen stellte Dr. Ihne Karten zusammen, in denen die kalendarischen Daten zu Wachstumsschritten (z. B. Blüte, Laubaustrieb, Fruchtreife, Erntezeit) von Kultur- und Nutzpflanzen angegeben waren. Diese Ihne-Karten wurden von Wissenschaftlern und Praktikern verwendet und fanden Aufnahme in Erdkunde-Lehrbücher und den Schulunterricht. Der Geograph Hans Schrepfer (1897–1945) hob einen besonderen Aspekt von Ihnes Lebenswerk hervor: „Als erster erkannte er die Bedeutung der Phänologie für Obstbau und Landwirtschaft.“

In der Tat hatte sich Dr. Ihne sowohl allgemeine Gedanken über die Beziehungen zwischen Landwirtschaft, Gartenbau und Pflanzenphänologie gemacht als auch Forschungen zu speziellen Phänomenen vorgenommen. Er erstellte eine Karte der deutschen Gebiete mit Getreidefrühernte (Frühdruschbezirke) und untersuchte Vorkommen und Ausmaß der Spätfröste (Frühjahrsfröste), womit der Eintritt der Fruchtreife nach frühester und spätester Blüte verknüpft war. Auch hier gilt, dass Egon Ihne natürlich nicht der erste war, dem phänologische Zusammenhänge auffielen. Er war aber einer der ersten, dem klar vor Augen stand, wie wichtig es war, über Bauernregeln und Alltagserfahrungen hinaus Kausalzusammenhänge möglichst wissenschaftlich und präzise zu überprüfen. Ihnes Beobachtungen und Daten beschränkten sich nicht auf Mitteleuropa. Bereits in seinen phänologischen Anfangsjahren dokumentierte er skandinavische und mediterrane Beobachtungen und noch im hohen Alter befasste er sich mit dem Frühlingseintritt auf den Kanalinseln. Kenntnisreich verfolgte er der Erforschung der Polargebiete, wie sich aus seinem Werk über den eminenten Darmstädter Nordpolfahrer Carl Weyprecht (1838–1881) ersehen lässt. Professor Dr. Ihne, der 1925 den Titel eines Dr.-Ing.
E. h. erhielt und in seinen letzten Lebensjahrzehnten als „Altmeister der Pflanzenphänologie“ hohen Respekt genoss, starb am Nikolaustag 1943 in Darmstadt.

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen