Friedrich Hasenöhrl – Österreichischer Physiker, Nachfahre der Quinter Familie von Pidoll

Die von Albert Einstein im Jahr 1905 publizierte Gleichung E = mc² gilt als berühmteste Formel der Welt. Friedrich („Fritz“) Hasenöhrl, der vor dem Ersten Weltkrieg Physikprofessor in Wien war und zu den angesehensten Physikern seiner Zeit gehörte, kam 1904 dieser Einstein-Formel so nah wie kaum ein anderer.
Der 1874 in Wien geborene Hasenöhrl war das zweite Kind des Advokaten und Rechtshistorikers Dr. Viktor Hasenöhrl (1834 –1903) und dessen Gattin Gabriele Freiin von Pidoll zu Quintenbach (1848 –1905). Die Vorfahren seiner Mutter waren infolge der französischen Revolution aus der Südeifel, wo sie Eigentümer der Quinter Eisenhütte und Erbauer des Quinter Schlosses gewesen waren, nach Österreich geflüchtet. Im Habsburgerreich taten sich mehrere Pidolls vor allem durch militärische und künstlerische Leistungen hervor.
Als Neunjähriger trat Fritz in das Theresianum, eines der angesehensten Gymnasien Österreichs, ein, das ab 1886 von seinem Onkel, dem Pädagogen Dr. Michael Freiherr von Pidoll zu Quintenbach (1851 –1941) geleitet wurde. Noch vor der Matura 1892 verfasste Fritz einen Beitrag über „Elementare Berechnungen des Richtungskoeffizienten, der Fläche und der Länge der gemeinen Zykloide“; seine Leistungen als Spitzenschüler wurden mit der Kaiserpreis-Medaille honoriert. Im zweiten Jahr seines Studiums der Mathematik und Physik in Wien veröffentlichte Hasenöhrl eine Arbeit „Über das quadratische Reziprozitätsgesetz“. Dabei war der sportliche Student durchaus kein Stubenhocker; er unterbrach sein Studium, um ein Jahr freiwillig Wehrdienst bei einem Dragoner-Regiment abzuleisten. Nach Promotion, Assistententätigkeit und Habilitation hielt Privatdozent Hasenöhrl ab 1900 Vorlesungen an der Universität Wien; zu den Hörern des beliebten Wissenschaftlers zählten spätere Physiker-Größen wie Felix Ehrenhaft und Paul Ehrenfest. Wissenschaftlich beschäftigte sich Hasenöhrl vor allem mit thermodynamischen Fragen, die entscheidende Aufschlüsse über das Verhältnis von Masse und Energie versprachen. 1904 publizierte er die mit dem angesehenen Haitinger-Preis ausgezeichnete Arbeit „Zur Theorie der Strahlung in bewegten Körpern“. Hasenöhrl gelangte darin zu der Formel E = 3/8 mc2, wobei der Unterscheid zu Einsteins Formel primär auf einem anderen Ansatz beruhte. Scharfsinnige Kritik an Hasenöhrls Arbeit formulierte der vielversprechende Physiker und Planck-Schüler Kurd von Mosengeil, der tragischerweise 1906 im Alter von nur 22 Jahren in Südtirol tödlich verunglückte; Mosengeil stammte über seine in Düren geborene Mutter Helene Prym von bekannten Familien der Nordeifel ab.

Nach 1918 versuchten Anhänger einer „Deutschen Physik“, dazu angeregt vom antisemitischen Nobelpreisträger Philipp Lenard, Hasenöhrls Arbeit gegen Einstein auszuspielen und suggerierten, der Ruhm für die berühmte Energieformel gebühre eigentlich Hasenöhrl. Diese ideologisch motivierte Sichtweise wurde nicht nur durchgängig von anderen Physikern zurückgewiesen – auch Hasenöhrl selbst hatte damit nichts zu tun. Hasenöhrl gehörte zu den ersten Physikern, die die Bedeutung von Einsteins Entdeckungen erkannten und anerkannten. Vor einigen Jahren untersuchte der US-Physiker Stephen Boughn erneut wissenschaftshistorisch das Verhältnis der Formeln von Hasenöhrl und Einstein. Ohne Einsteins geniale Entdeckungen in Zweifel zu ziehen, würdigte Boughn auch die Hochleistung Hasenöhrls.

1906 wurde Hasenöhrl außerordentlicher Professor an der TH Wien, im September 1907 dann 33-jährig als Nachfolger des berühmten Ludwig Boltzmann (1844 –1906) nach dessen Suizid ordentlicher Professor für Physik an der Universität Wien; Boltzmann hatte Hasenöhrl immer hoch geschätzt. Wie angesehen Fritz Hasenöhrl unter den Spitzenphysikern seiner Zeit war, kann man daran ersehen, dass er als einziger österreichischer Physiker 1911 an der ersten Solvay-Konferenz in Brüssel teilnahm, wo sich die internationale Crème de la Crème der theoretischen Physiker traf. Fotos sowohl von dieser Konferenz als auch von der 2. Solvay-Konferenz 1913 zeigen Hasenöhrl im Kreis solcher Titanen wie Einstein, Max Planck oder Ernest Rutherford. Angesichts von Hasenöhrls Lebensalter und Fähigkeiten konnte man damals weitere wertvolle Arbeiten des Wiener Physikers erwarten. Aber es kam anders. Dies hing damit zusammen, dass der Physikprofessor in politischer Hinsicht nicht anders dachte als die Mehrzahl seiner Landsleute. Als er bei Kriegsausbruch 1914 sein Vaterland in Gefahr wähnte, meldete sich Reserveoffizier Hasenöhrl freiwillig zum Kriegsdienst. 1915 wurde er zunächst dem Festungskommando in Krakau zugeteilt. Empört über den Kriegseintritt Italiens ließ er sich an die Alpenfront versetzen. Nachdem er im Juli eine Schussverletzung noch glimpflich überstanden hatte, ereilte den Landsturmoberleutnant und Familienvater Fritz Hasenöhrl im Oktober 1915 südlich von Trient der Tod: Ein Granatsplitter zerschmetterte seinen Kopf. „Ein Gefühl sagt mir, daß sonst sein Name heute an der Stelle des meinen stünde“, schrieb sein Schüler Erwin Schrödinger, als er 1933 den Physik-Nobelpreis erhielt.

Verfasser: Gregor Brand

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