Goetz Briefs

– Nationalökonom und Sozialtheoretiker aus Eschweiler

312_notgeld_eschweiler_47_16Der am Neujahrstag 1889 in Eschweiler als viertes von neun Kindern der Eheleute Franz und Anna Briefs geborene Goetz Briefs wuchs in einer Welt auf, in der modernste Industrie und traditionelle Landwirtschaft unmittelbar aufeinander trafen. Sein Vater, der aus einer seit Jahrhunderten in der Nordeifel ansässigen Familie stammte, war Vorarbeiter im Drahtwalzwerk, seine Mutter stammte von einem Bauernhof. In seinen Schriften beschäftigte sich Briefs immer wieder mit den wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Folgen der Industrialisierung. Er hielt den Aufstieg materialistischen Denkens („Säkularismus“) und die Herrschaft einer bedenklichen „Grenzmoral“ im Wirtschaftsleben für schädlich.

Dank der Unterstützung durch eine kinderlose Tante konnte der Arbeitersohn, dessen Intelligenz und Gedächtnis bereits auf dem Gymnasium in Eschweiler imponiert hatten, ab 1908 Geschichte, Philosophie und Nationalökonomie studieren, zuerst in München, dann in Bonn und Freiburg.  Mit 22 Jahren promovierte er in Freiburg mit einer wirtschaftspolitischen Arbeit über „Das Spirituskartell“; die umfangreiche Dissertation erhielt die Höchstnote „summa cum laude“. 1913 schloss der erst 24-jährige Briefs seine Habilitationsschrift über „Untersuchungen zur klassischen Nationalökonomie mit besonderer Berücksichtigung der Durchschnittsprofitrate“ ab. Das vielbeachtete Werk löste eine Kontroverse mit dem berühmten schwedischen Ökonomen Knut Wicksell aus, dem die Kritik von Briefs an David Ricardo, einem Klassiker der Nationalökonomie, missfiel. Briefs selbst hatte keine Probleme, auch hochgelobten Denkern zu widersprechen, wenn er anderer Ansicht war. Dies wurde nach dem Weltkrieg deutlich, als er sich kritisch mit dem Philosophen Oswald Spengler und dessen heiß diskutiertem Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“ auseinandersetzte. Für die Weltsicht von Briefs bleib zeitlebens das Christentum die zentrale Grundlage, mit einflussreichen anderen Strömungen stand er auf geistigem Kriegsfuß. Das galt für den Marxismus ebenso wie für den Nationalsozialismus, die Briefs beide für Pseudoreligionen hielt.

Nach seiner Habilitation 1913 lehrte Briefs zunächst als Privatdozent in Freiburg. Als der Weltkrieg ausbrach, wurde er vom Militärdienst wegen Blindheit auf dem rechten Auge befreit. Seine Fachkenntnisse machte man sich in den Kriegsjahren bei verschiedenen Ministerien in Berlin zunutze, wo Briefs bis April 1919 als Referent arbeitete; zeitweise verwaltete er auch ein Ordinariat in Gießen.

Im Mai 1919 wurde der 30-jährige Nationalökonom außerplanmäßiger Professor in Freiburg, zwei Jahre später Ordinarius in Würzburg und 1923 wieder in Freiburg. 1926 folgte Briefs einem Ruf auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie an der TH Berlin-Charlottenberg. 1928 gründete Briefs dort das Institut für Betriebssoziologie und soziale Betriebslehre – eine wissenschaftliche Pionierleistung, da es das erste derartige Institut an einer deutschen Universität war. Um 1930 gehörte Briefs zu den wichtigsten katholischen Intellektuellen des Reiches. Als Ideengeber des Königswinterer Kreises, in dem sich führende Sozialwissenschaftler trafen, beeinflusste Briefs über Oswald von Nell-Breuning SJ die Entstehung der Enzyklika „Quadragesimo Anno“ (1931) von Papst Pius XI. Zwei Angebote auf Ministerposten in Berlin lehnte Briefs ab. 1934 wurde er von seinem Eifler Landsmann, dem Berliner Bischof Bares, gewarnt, dass er wegen seiner Gegnerschaft zum NS-Staat um sein Leben fürchten müsse. Für Briefs bedeutete dies, das Signal zur Emigration in die USA, wo er zuerst als Gastprofessor lehrte, ehe er 1937 Full Professor an der Georgetown University in Washington, D.C. wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg kehrte Briefs nur noch besuchsweise nach Europa zurück. Bei seinen Aufenthalten traf er sich freundschaftlich mit führenden Politikern und Gelehrten und blieb durch diese Kontakte, aber auch durch seine Schriften, als gewichtige katholische Stimme präsent. Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, an deren geistiger Grundlegung der Liberalismus-Kritiker Briefs entscheidend mitwirkte, als Leitmodell der Bundesrepublik muss auch Briefs als bleibende historische Tat zugeschrieben werden. Beim 1965 von Kanzler Ludwig Erhard propagierten Konzept der „Formierten Gesellschaft“ kann man Briefs ebenfalls zu den geistigen Vätern zählen. Zahlreiche Ehrendoktorwürden von Berlin bis Mailand unterstrichen das hohe Ansehen, das sich der Eifler Sozial- und Wirtschaftstheoretiker – Verfasser von über 300 wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf rund 6000 Druckseiten – erworben hatte.

Goetz Briefs hatte nach dem Tod seiner ersten Frau Anna Weltmann (1881-1946), Leiterin der Berliner katholischen Sozialen Frauenschule, die amerikanische Dichterin und Übersetzerin Elinor Castendyk geheiratet und war mit 64 Jahren noch einmal Vater einer Tochter geworden, der späteren Anglistik-Professorin Gina Briefs Elgin (1953-2011); aus erster Ehe hatte er vier Kinder, darunter den Ökonomie-Professor Henry Briefs. Goetz Briefs starb 1974 in Rom und wurde auf dem dortigen Friedhof Campo Santo Teutonico beigesetzt. Ω

Verfasser: Gregor Brand

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