Henri Owen Tudor

VARTA – wer weiß schon, dass am Ursprung des weltbekannten Batteriekonzerns ein Eifler stand? Ein Eifler namens Tudor? Waren nicht die Tudors jenes britische Herrschergeschlecht, dem so berühmte Persönlichkeiten wie Heinrich VIII. und Königin Elisabeth I. angehörten? So ist es, und in der Tat stammen auch die väterlichen Vorfahren des 1859 in der Südwesteifel geborenen Elektrizitätspioniers Henri Tudor wie jene Adelsfamilie aus Wales. Henris Vater, der Agrarfachmann John T. Tudor (1811–1894), war aus England emigriert und Gutsverwalter des wohlhabenden Landbesitzers Loser in Rosport geworden. Er engagierte sich begeistert und erfolgreich für die Steigerung der Agrarproduktion in Westeifel und Luxemburg. 1850 heiratete er Marie Loser, die Tochter seines Gutsherrn, deren Vorfahren aus den Eifeldörfern zwischen Bitburg und Echternach stammten.

Henri Tudor, der jüngste der drei Söhne dieses Paares, wurde 1859 auf dem Diesburger Hof bei Ferschweiler geboren, den sein Vater von 1859 bis 1863 bewirtschaftete, ehe die Familie für ein Jahrzehnt in den wallonischen Grenzort Macquenoise zog. Henri besuchte die Schule im nahe gelegenen Chimay und studierte anschließend Ingenieurswesen in Brüssel. Schon zu dieser Zeit galt die Faszination des Eiflers allem, was mit Elektrizität zusammenhing. Auf dem seiner Familie gehörenden Irminenhof in Rosport installierte der junge Ingenieur 1882 einen selbst konstruierten Akkumulator mit Dynamomaschine und machte den Irminenhof zu einem der ersten mit Elektrizität versorgten Privathäuser in Europa. Henri arbeitete in diesen Jahren in Rosport eng mit seinem Bruder Hubert und seinem Vetter, dem Trierer Erfinder Schmalenbach, zusammen. Unter der Führung Henri Tudors gelang es ihnen, den ersten praktikablen Blei-Akkumulator der Welt zu entwickeln – eine Innovation von revolutionärer Bedeutung für den Triumph der nun rasant einsetzenden Elektrifizierung. 1885 nahm die Akkumulatoren-Fabrik Tudor in Rosport ihren Betrieb auf, 1886 stellte Echternach mit Hilfe der tudorschen Erfindungen die Beleuchtung von Petroleumlaternen auf Elektrizität um. Die Produktion der von Tudor entwickelten Blei-Akkumulatoren überschritt schnell die moselfränkische Heimatregion. Besonders bedeutsam wurde die Zusammenarbeit mit dem Kaufmann Adolph Müller, dem Tudor umfassende Vertriebs- und Produktionsrechte einräumte. 1887 gründete Müller die „Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller oHG“, aus der 1890 unter Einbeziehung der Großfirmen AEG und Siemens die AFA („Accumulatoren-Fabrik-Aktiengesellschaft)“ hervorging, die 1962 in VARTA umbenannt wird. Die auf der Entwicklung des Eiflers Tudor beruhende AFA wurde für viele Jahrzehnte zum Kern des Quandt-Imperiums. Die Quandts – Deutschlands reichste Familie – hatten 1923 die Aktienmehrheit bei der AFA übernommen.

Tudors Blei-Akkumulatoren schrieben Industriegeschichte und Weltgeschichte. Die Großbatterien wurden für Industrie, Bergbau und Landwirtschaft ebenso wichtig wie für das Militär. Erst die Ausrüstung der deutschen U-Boote mit den Blei-Akkumulatoren gab ihnen die Möglichkeit zur gefürchteten Seekriegsführung. Ohne diese Ausrüstung hätten sie nicht das US-Schiff „Lusitania“ versenken können, was 1917 den Kriegseintritt der USA zur Folge hatte.

Henri Tudors Werk in Rosport war zu diesem Zeitpunkt schon 8 Jahre lang geschlossen. In Luxemburg lohnte sich die Akkumulatoren-Fabrikation nicht mehr, was aber auf den Wohlstand des Konstrukteurs kaum Einfluss hatte. Tudor und seine Familie waren weiterhin an Unternehmen beteiligt und er konnte es sich leisten, in Rosport ein prächtiges Schloss für sich, seine Frau und die drei Töchter bauen zu lassen. Die Tochter Anne Marie war mit dem Unternehmer Léon Laval verheiratet. Die Nachkommen des Paares Laval-Tudor spielen bis heute eine bedeutende Rolle in der luxemburgischen Wirtschaft und Gesellschaft. Tudor-Schwiegersohn Laval wurde im 2. Weltkrieg von den Nazis misshandelt und ins KZ Hinzert gebracht. Man wollte ihn zwingen, noch vorhandene Tudor-Anteile an die AFA zu übertragen. Wieweit der Terror gegen Laval der Quandt-Familie persönlich zuzuschreiben war, bleibt umstritten.

Über den Blei-Akkumulator hinaus gelangen Henri Tudor weitere bedeutende Entwicklungen. Neben dem damit errungenen Erfolg wurde ihm sein Forschergeist letztlich zum Verhängnis: 1928 erlag der große Energie-Pionier einer Bleivergiftung.

Verfasser: Gregor Brand
 

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