Kinder der Eifel: Elisabeth Rohr aus Wintersdorf

Professorin für Interkulturelle Erziehung       (No.132)

Als erstes Mädchen nach dem Krieg den Schritt aus Wintersdorf – einem 300-Seelen Dorf an der Sauer – nach Trier und auf ein Gymnasium zu wagen, wurde außer von den Eltern von allen anderen Dorfbewohnern als unbotmäßige Anmaßung betrachtet. Von daher kam ein Scheitern nie in Frage. Trotz völlig verfehlter Bildungsreformen Anfang der 60er Jahre, die es einem katholischen Arbeiterkind vom Lande extrem erschwerten, an den Bildungsofferten teilzuhaben, wurde 1968 das Abitur abgelegt. Das größte Hindernis aber folgte danach: Welches Studium käme überhaupt in Frage? Aus der völligen Ratlosigkeit kam es dann zu einer überstürzten Heirat mit einem US-Amerikaner, der Umzug in den tiefen Süden der USA und dort, nach dem Scheitern der Ehe, erste Erfahrungen an einer der renommiertesten Universitäten des Landes: Tulane. Spanisch und auch Französisch-Unterricht eröffneten nicht nur neue Horizonte, sondern auch Kontakte mit internationalen Studierenden. Daneben lockte das pralle Leben in New Orleans: die kreolische Küche, der Jazz, das tropisch heiße Klima, Tennis, Hurrikans und Freiheiten fern von allen dörflich und katholisch geprägten Einstellungen. Was fehlte waren jedoch tiefgründige philosophische Gespräche und erhitzte politische Debatten in grauen Novembernächten. So reifte der Entschluss zur Rückkehr nach Deutschland. Zum Abschied aus den USA 1974 ging es zunächst auf Reisen: sechs Monate mit Greyhound-Bussen alleine durch den Westen der USA, dann nach Mexiko, Peru, Ekuador und Kolumbien. Die US-Erfahrungen und die entsprechenden Sprachkenntnisse führten in Deutschland zunächst zu einer neun Jahre langen Tätigkeit als Reiseleiterin für American Express Military.

Die Einnahmen erlaubten nicht nur ein intensives Studium in Frankfurt, sondern ab 1980 auch eine gruppenanalytische (also therapeutische) Ausbildung in London. Das Studium der Soziologie, vor allem der Sozialpsychologie entwickelte sich zu einer wahren Leidenschaft und ermöglichte aufgrund des herausragenden Diploms ein Stipendium bei dem Begabtenförderungswerk der evangelischen Kirche Deutschlands, Villigst. Erste Forschungsreisen nach Ecuador wurden dann sowohl von Villigst wie später auch von der Kübel-Stiftung gefördert. Promotion und Habilitation jeweils zu lateinamerikanischen Themen, sowie anschließend die Berufung auf eine Professur an der Philipps-Universität Marburg folgten. Interkulturelle Erziehung war der Schwerpunkt und dieser ließ viele Freiheiten der Ausgestaltung. Weitere empirische Forschungen von Frau Professor Rohr in Lateinamerika zum christlichen Fundamentalismus, indigener Identität und später auch zur lateinamerikanischen Migration wurden vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert. Parallel zu den Forschungsaktivitäten wurde die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) auf Elisabeth Rohr aufmerksam und berief sie in die Mission zur Unterstützung des Friedens- und Versöhnungsprozesses in Guatemala. Ab 2000 war sie dann mehrere Jahre als Gutachterin für die GIZ in Guatemala sowie in Kolumbien und in Ekuador tätig. Ab 2005 entwickelte sie im Auftrag der GIZ ein Curriculum für guatemaltekische Fachkräfte der psychosozialen Arbeit, das seither von Brot für die Welt übernommen wurde und bislang 75 psychosoziale Fachkräfte darin ausgebildet hat, professionell mit hoch traumatisierten Bevölkerungsgruppen in einer Nachkriegsgesellschaft zu arbeiten.

Seit ihrer Pensionierung im Jahre 2013 widmet sich Elisabeth Rohr verstärkt ihrer supervisorischen und beraterischen Tätigkeit in nationalen und internationalen Organisationen, hält weltweit Vorträge über Migration und Flucht und leitete Workshops in Guatemala, Palästina und Südafrika. Sie hat mehrere Bücher über Frauen und Flucht, zurückgelassene Kinder von Migranten, religiösen Fundamentalismus in Lateinamerika und „Body modifications“ (Piercing und Tattoo, Schönheitsoperationen) verfasst. Mit ihrer Familie lebt sie seit Mitte der 70er Jahre in Frankfurt am Main. Trotz ihrer Weltläufigkeit verbringt sie viele ihrer Wochenenden und Ferien im heimatlichen Wintersdorf und widmet sich dort mit großer Leidenschaft ihrem Garten, der Pflege der Rosen und der Obstbäume und nicht zuletzt der Förderung und Unterstützung der intellektuell aufstrebenden Nachbarskinder.

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