Kinder der Eifel – Helmut W. Ganser

General und Sicherheitsstratege aus Gerolstein

„Zuhause ist Hamburg – Heimat bleibt Gerolstein“ – so definierte der seit 2008 im Ruhestand lebende Brigadegeneral Helmut W. Ganser im Heimatjahrbuch 2016 des Landkreises Vulkaneifel sein Verhältnis zu den Hauptorten seines Lebens. Geboren 1948 in Densborn, zog die Familie mit dem früh verstorbenen Vater Josef (1914 –1956), einem gebürtigen Meisburger, 1951 ins nahe Gerolstein. Die behüteten Kinder- und Jugendjahre in der Brunnenstadt inmitten der kleinbäuerlich geprägten Vulkaneifel hinterließen trotz weit entfernter Lebensstationen unauslöschliche Eindrücke. Lebendig geblieben ist nicht zuletzt die Erinnerung an das Lebensgefühl der Schuljahre im katholisch-konservativen Kylltal. Vor allem die Musik jener Jahre lässt bis heute die damalige Stimmungslage zwischen manchen fragwürdig gewordenen Traditionen und dem angepeilten Kurs auf Veränderung wiederaufleben. Ganser, Gymnasiast am St. Matthias-Gymnasium, trug als Schlagzeuger der „Footwarmers“ – der ersten Gerolsteiner Beatband – begeistert seinen Teil dazu bei, den Sound der Veränderung in die Eifel zu bringen. Was sich heute in einer grundlegend veränderten Welt so unproblematisch anhört, erschien damals – wo bereits „Beatles-Frisuren“ manche der Älteren zur Weißglut bringen konnten, fast revolutionär.
Auf das Abitur 1967 folgten der Wehrdienst in der jungen, kaum mehr als zehn Jahre alten Bundeswehr und eine eindrucksvolle Karriere als Berufsoffizier. Ab 1977 studierte der inzwischen führungserfahrene und seit seiner Jugend an Politik hoch interessierte Offizier an der Universität Hamburg. Sechs Jahre später konnte er Abschlüsse als Diplom-Psychologe und Diplom-Politologe vorweisen. In jene Hamburger Jahre fällt eine Buchveröffentlichung Gansers, die bei Politikern, militärpolitischen Analysten und Medien enorme Aufmerksamkeit fand: „Technokraten in Uniform. Die innere Krise der Bundeswehr“ (1980). Schonungslos deckten Ganser und seine Mitautoren schwerwiegende Missstände bei der Bundeswehr auf. „Der Mut des Hauptmann Ganser, ein solches Buch zu veröffentlichen, und der Einsatz seiner vier jungen Mitautoren wären schon eine Auszeichnung wert“, schrieb Klaus Pokatzky damals in der ZEIT.
Nach zweijähriger Generalstabsausbildung 1985 bis 1987 in der Führungsakademie der Bundeswehr – dort unterrichtete Ganser später selbst als Dozent für Strategie – nutzte das Verteidigungsministerium Wissen und Intelligenz des Vulkaneiflers ab 1992 im Führungsstab der Streitkräfte. Im Referat für Rüstungskontrolle und die OSZE war er unter anderem Militärberater für den Berg Karabach-Konflikt. Mitte der 1990er Jahre ging es dann in die USA: Vier Jahre lang unterstützte Ganser in New York die UN-Vertretung als Top-Militärberater des deutschen Botschafters. Das neue Jahrtausend sah Ganser ab 2001 wieder im Verteidigungsministerium: Stellvertretender Leiter der Stabsabteilung Militärpolitik und Sonderbeauftragter für Internationale Beziehungen. 2004 wurde er Brigadegeneral, anschließend Abteilungsleiter Militärpolitik bei der deutschen NATO-Vertretung in Brüssel.
Der Ruhestand beendete keineswegs Gansers Beschäftigung mit grundlegenden militärpolitischen, sicherheitsstrategischen und ethischen Fragestellungen; die Ergebnisse präsentiert er in Publikationen und Vorträgen der Öffentlichkeit. Seine 2010 publizierten Ideen über „Friedensethik und Sicherheitsstrategie in multinationaler Perspektive“ betreffen Grundfragen der Vereinbarkeit von Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit. Kennzeichnend für Ganser, der mit der Gedankenwelt des Militärphilosophen Clausewitz ebenso vertraut ist wie mit den Konzeptionen des US-Psychologen Kohlberg, sind Komplexität und Ausgewohnheit. Er kennt den menschlichen Hang zur „Monokausalitis“ – also zur Tendenz, alles möglichst auf nur eine einzige Ursache zurückzuführen und einfache Erklärungen zu favorisieren – und widersetzt sich erfolgreich dieser Neigung zur Simplifizierung. Zu Gansers Beiträgen zu wichtigen und aktuellen Debatten zählen seine Vorträge zum Thema „Embedded Feminism. Women’s rights as justification for military intervention?“ oder über „Sicherheitspolitik, Komplexität und Gender“. Es liegt nahe, sein Plädoyer für die Einbeziehung der Geschlechterperspektive in sicherheitsstrategische Überlegungen teilweise mit seiner privaten Erfahrung als Vater dreier Töchter in Verbindung zu bringen. Andererseits war der intellektuelle Kosmos des strategischen Denkers Ganser schon immer bemerkenswert weit. In jüngerer Zeit mahnte Ganser im Zusammenhang mit den Bundeswehreinsätzen in Afrika (z. B. Mali, Somalia) eine durchdachte politische Strategie für Afrika an und wies dabei – ganz im Sinne von Clausewitz – darauf hin, wie wichtig es ist, vor den ersten auch die weiteren Schritte sorgfältig zu durchdenken. Privat führt den mit einer Hamburgerin verheirateten mehrfachen Großvater der Weg oft in die Vulkaneifel. General a. D. Ganser, der über Strategie auch in Eifler Platt reden könnte, setzt mit seiner Verbindung von Internationalität und Eifelverbundenheit die Tradition seiner Gerolsteiner Landsleute und erfolgreichen Diplomaten Alois Mertes und Karl Wand ehrenvoll fort.
Verfasser: Gregor Brand

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