Kinder der Eifel – Leonard Benedict Loeb

– US-Physiker aus Mayener Familie

Die University of California in Berkeley gehört zu den renommiertesten Hochschulen weltweit. Im 20. Jahrhundert forschte und lehrte dort jahrzehntelang ein Physiker, dessen Vater aus der Eifel in die USA emigriert war: Leonard Benedict Loeb, Sohn des in Mayen geborenen eminenten Biologen Jacques Loeb (1859–1924) und dessen amerikanischer Ehefrau Dr. Anne Leonard. 1891 in Zürich geboren, verbrachte Leonard Loeb nicht nur Kindheit und Jugend, sondern auch sein späteres Leben überwiegend in Kalifornien. Ob und wann er jemals die Genovevaburg, das Wahrzeichen seiner Vaterstadt, persönlich erblickt hat, ist noch nicht bekannt. Fest steht aber, dass er über die großelterlichen Familien Loeb und Isay tiefe Eifler Wurzeln hatte. Von den bereits in anderen Eifelkinder-Beiträgen genannten Wissenschaftlern dieser jüdischen Familien sei hier nur noch einmal auf Leonards Onkel Leo Loeb (1869–1959) – ebenfalls ein herausragender Biologe – sowie auf seinen jüngeren Bruder, den Medizinprofessor Robert F. Loeb (1895–1973), hingewiesen.
Das Aufwachsen an der kalifornischen Pazifikküste weckte Leonards lebenslange Faszination für Meer und Seefahrt. Bereits als Junge wurde er begeisterter Segler, später befasste er sich als Wissenschaftler und Offizier der US Navy immer wieder auch mit maritimen Fragen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten. Loebs eigentliches Fach- und Forschungsgebiet war jedoch das spannende Feld des Einflusses von Elektrizität auf Gase. Damit waren sowohl weitreichende grundlagenphysikalische Fragen atomarer Wirkungen als auch hochkomplizierte experimentalphysikalische Probleme der Messung und Anwendung verbunden. Nach einer anspruchsvollen Ausbildung an den Universitäten in Berkeley, New York und Chicago (Promotion beim späteren Nobelpreisträger R. A. Millikan) sowie einem durch den Weltkrieg veranlassten Aufenthalt in Europa entwickelte sich Loeb seit den 1920er Jahren zu einem Spitzenforscher in diesem Bereich. 1921 publizierte er einen grundlegenden Artikel zur elektrischen Ladung von Gasen, 1927 folgte ein 555 Seiten starkes Buch über die kinetische Gastheorie, das als Kombination von Lehrbuch und Grundlagenwerk hoch geschätzt wurde. Insgesamt veröffentlichte Loeb rund zwanzig Bücher und fast 200 Abhandlungen. Nach Darstellung des Physikprofessors Robert N. Varney (1910–2011) war die Bandbreite von Loebs Forschungsfeldern angesichts der zunehmenden extremen Spezialisierung in der Wissenschaftswelt außerordentlich. Die hohe Anerkennung, die dem Wissenschaftler Loeb zuteilwurde, wurde anscheinend nur einmal in Frage gestellt: 1927 wehrte sich Loeb in einer Abhandlung „Über die kleinsten Elektrizitätsträger in Gasen“ in der Fachzeitschrift „Annalen der Physik“ gegen unsachliche Angriffe, die der ansonsten kaum bekannte Physiker Heinrich Schilling gegen ihn erhoben hatte. Schilling arbeitete an dem vom Nobelpreisträger Philipp Lenard (1862–1947), dem berüchtigten Propagandisten einer „deutsch-arischen“ Physik, geleiteten Radiologischen Institut der Universität Heidelberg. Es ist zu vermuten, dass Schillings Attacke auf Loeb – düsteres Vorzeichen der Entwicklung im Dritten Reich – maßgeblich vom antisemitischen Gedankengut Lenards beeinflusst war.

In den USA hatte man keine Zweifel an der Spitzenqualität von Loebs Forschungen. 1929 wurde er in Berkeley Professor, nachdem er dort zuvor schon mehrere Jahre als Assistant Professor gearbeitet hatte. Beim bemerkenswerten personellen und materiellen Ausbau der physikalischen Fakultät seiner kalifornischen Universität spielte Loebs unermüdlicher Einsatz für Spitzenforschung eine wichtige Rolle. Loeb betreute zahlreiche Doktoranden, nahm eine ausgedehnte Lehrtätigkeit wahr und kümmerte sich mit Hingabe um jedes Anliegen, das an ihn herangetragen wurde – sei es vom zaghaften Studienanfänger oder von einem illustren Kollegen wie dem Nobelpreisträger Ernest Lawrence (1901–1958).

Ein nicht zu unterschätzendes Kapitel im Leben Loebs war seine enge Zusammenarbeit mit der US Navy. Im zweiten Weltkrieg wurde Captain Loeb 1941 damit beauftragt, in Dahlgren (Virginia) das Armor & Projectile Laboratory aufzubauen. In dieser Hochtechnologie-Einrichtung ging es darum, das modernste Equipment für Bewaffnung und Verteidigung von Kriegsschiffen zu entwickeln – ein Bereich, der für die USA von gewaltiger militärischer Relevanz war und auf dem sie, wie Loeb sehr bewusst war, mit höchstentwickelter Militärtechnologie auf deutscher Seite konkurrieren mussten. Loebs Vortrag „Sea Power and the Struggle for Africa“ (1942) dokumentiert seine weit über Physik hinausgehende Auseinandersetzung mit politisch-strategisch bedeutsamen Fragen – er war wahrlich kein Wissenschaftler des Elfenbeinturms. Zahlreiche Reisen und ausgedehnte internationale Kontakte prägten seine Arbeit, die er als Emeritus Professor of Physics fast bis zu seinem Tod fortsetzte, der ihn 1978 im kalifornischen Monterey ereilte. Von seinen vier Töchtern aus zwei Ehen machte sich Anne Bredon (geb. 1930) als Musikerin einen Namen; der von ihr komponierte Song „Babe I‘m Going to Leave You“ wurde u. a. von Led Zeppelin und Miley Cyrus interpretiert.

Verfasser: Gregor Brand

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