Lauro Müller

Brasilianischer Staatsmann und Intellektueller, Sohn eines Einwanderers aus Greimersburg

Greimersburg, ein kleines Dorf östlich des Flugplatzes Büchel, ist die Heimat der Familie Müller, die mit dem Politiker und Ingenieur Lauro Müller eine der großen Persönlichkeiten Brasiliens hervorbrachte. Lauro Severiano Müller kam 1863 in Itajai in Südbrasilien als Sohn des Kaufmanns Peter Müller zur Welt. Der 1815 in Greimersburg geborene Bauernsohn Peter Müller war zusammen mit seinem Vater Johann Müller um 1830 in die neugegründete Siedlung São Pedro de Alcântara gekommen. Die Müllers gehörten damit zur ersten Welle deutscher Einwanderer in dieser südbrasilianischen Region überhaupt. In Brasilien heiratete Peter Müller eine Einwanderin aus seiner Eifelheimat: die in Kehrig geborene Anna Michels. Über seine Eifler Mutter war Lauro Müller ein Vetter des brasilianischen Politikers Felipe Schmidt (1859 –1930), der von 1898 –1902 sowie von 1914 –1918 als Gouverneur den südbrasilianischen Bundesstaates Santa Catarina regierte – ein Amt, das auch Lauro Müller jahrelang innehatte.
Nach erstem Unterricht bei Privatlehrern absolvierte Lauro Müller seine Gymnasialstudien in Niterói (Bundesstaat Rio de Janeiro), ehe er seine Ausbildung an der Militärschule fortsetzte. Neben dem soldatischen Training stand dabei das Studium des Militäringenieurwesens samt Promotion im Vordergrund; später wurde das hohe Fachwissen von Dr. Lauro Müller oft hervorgehoben. Erstaunlich schnell fiel der Blick der Öffentlichkeit auf den drahtigen Militäringenieur. Das hing mit seiner persönlichen Ausstrahlung zusammen, stärker aber noch mit seinen politischen Aktivitäten. Lauro Müller gehörte sehr früh zu den Hauptaktivisten der republikanischen Bewegung um den Theoretiker Benjamin Constant (1836 –1891) und den Marschall Deodoro de Fonseca. Diese Antimonarchisten und Demokraten erzwangen 1889 die Abdankung des brasilianischen Kaisers Dom Pedro II. (1825 –1891). 1891 wurde der erst 27-jährige Lauro Müller Gouverneur seines Heimatstaats Santa Catarina; weitere Ämter kamen hinzu. Trotz seiner politischen Tätigkeiten blieb Müller formell Angehöriger des Militärs und durchlief erfolgreich eine Offizierslaufbahn, die 1912 in seiner Ernennung zum General gipfelte.
Das neue Jahrhundert führte den Eifelbrasilianer ins Zentrum der gesamtbrasilianischen Politik. 1902 wurde Dr. Müller zum Minister für Industrie und Verkehr berufen. In dieser Position prägte er in den folgenden Jahren die infrastrukturelle Modernisierung Brasiliens, die ihm schon lange ein Hauptanliegen war. Auf Müller war der 1891 in die erste republikanische Verfassung Brasiliens aufgenommene Vorschlag zurückgegangen, die Hauptstadt des Staates anstelle von Rio de Janeiro in eine zentraler gelegene Region zu verlagern – eine Idee, die später mit der Hauptstadt Brasilia verwirklicht wurde. Müllers Name ist maßgeblich verbunden mit einigen der wichtigsten Bauprojekte Brasiliens seiner Zeit. Dazu zählt vor allem die Modernisierung der Metropole Rio de Janeiro mit der radikalen Umgestaltung der zentralen Straße Avenida Rio Branco und dem Ausbau des Hafens.
1912 erreichte Müller mit der Ernennung zum Außenminister den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Seine Berufung beunruhigte Teile der US-Elite, die im deutschen Kaiserreich einen Konkurrenten in der Weltpolitik und im Welthandel sahen. Zudem betrachteten die USA den amerikanischen Kontinent als ihre Machtzone (Monroedoktrin), in der sie keine Etablierung „raumfremder“ Mächte dulden wollten. Mit der Amtsübernahme des deutschstämmigen Außenministers ging ihrer Vermutung nach eine Verstärkung des deutschen Einflusses auf die brasilianische Politik einher. US-Präsident Woodrow Wilson – er führte 1917 die USA in den Krieg gegen Deutschland – hatte „die starke Befürchtung, dass Deutschland sich eines Teils Lateinamerikas bemächtigen würde“ (Manfred P. Emmes). Obwohl diese Besorgnis nach Ansicht neuerer Historiker unbegründet war, trug der US-Einfluss in Kombination mit einer stark deutschfeindlich eingestellten brasilianischen Öffentlichkeit dazu bei, dass die von Außenminister Müller im Weltkrieg favorisierte und praktizierte Neutralität Brasiliens 1917 aufgegeben wurde und Müller selbst im Mai 1917 zurücktreten musste. Lauro Müller persönlich konnte man keine amerikafeindliche Haltung vorwerfen – im Gegenteil. Mit namhaften Persönlichkeiten der USA pflegte er freundschaftliche Kontakte. Müller gehörte zu den entscheidenden Förderern der wissenschaftlichen Expedition Roosevelt-Rondon, die sich 1913/14 unter Führung des Expräsidenten Theodore Roosevelt und des brasilianischen Müller-Freundes C. Rondon um die Erforschung Brasiliens verdient machte. Müllers Reputation kam durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Harvard zum Ausdruck, in seinem Heimatland gehörte der Deutschbrasilianer zum erlesenen Führungskreis der Brasilianischen Akademie der Literatur. Auch nach seinem 1926 erfolgten Tod wird die Erinnerung an Müller, dessen ausgedehntes Lebenswerk hier nur angedeutet werden kann, wachgehalten. 1964 ehrte ihn Brasilien mit einer Briefmarke, und zahlreiche Orte und Straßen sind nach ihm benannt.

Verfasser: Gregor Brand

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