Leandro Konder – Marxistischer Philosoph aus Brasilien – Nachfahre eines Auswanderers aus Schweich

319_konder_01_17Nachkommen Eifler Auswanderer prägten nicht nur die USA, sondern auch die Gesellschaft eines anderen Auswanderungsziels – Brasilien. Zu den Eifelorten, die Beispiele für beides liefern, gehört Schweich. So zählt der 1861 in Schweich geborene Schreiner Josef Dumont zu den Vorfahren der bekannten US-Politiker Ron und Rand Paul. Was die Eifelbrasilianer betrifft, so dürfte es kaum eine Familie unter ihnen geben, die so viele bedeutende Persönlichkeiten hervorbrachte wie diejenige des Schweicher Auswanderers Markus Konder. Der 1854 in eine Bauern- und Winzerfamilie geborene Konder emigrierte 1872 nach Brasilien und ließ sich in der erst 1860 gegründeten Atlantikstadt Itajai nieder. Er folgte damit seinem Vetter Nikolaus Malburg, der sich dort bereits erfolgreich als Kaufmann etabliert hatte. Markus Konder heiratete 1877 Adelaide Flores aus einer der angesehensten Familien der Region und wurde Vater von neun Kindern. Mehrere seiner Söhne, aber auch Enkel und weitere Nachkommen, machten sich als Bürgermeister, Gouverneure, Abgeordnete, Unternehmer oder Intellektuelle einen Namen. Ein Urgroßenkel von Markus Konder ist Marcos Konder Netto (geb. 1927), der zu den bedeutendsten modernen Architekten Brasiliens gehört.

Leandro Konder wurde 1936 in Petrópolis im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro als erstes Kind der Eheleute Valério Konder and Yone Coelho geboren. Vater Valério Konder, Enkel des Schweicher Auswanderers, war einerseits Mediziner, der sich stark in der Malaria-Bekämpfung engagierte, andererseits aber auch Führer der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCB). Ein Bruder von Leandro war Rodolfo Konder (1938 – 2014), der ebenfalls zu einer prominenten Persönlichkeit der brasilianischen Gesellschaft wurde. Rodolfo Konder war einer der angesehensten Journalisten und Schriftsteller Brasiliens, Verfasser von mehr 20 Büchern; im Jahr 2001 erhielt er den Jabuti-Literaturpreis. Luiza Eugenia Konder, Schwester von Leandro und Rodolfo, heiratete mit dem Bankier Antonio Carlos de Almeida Braga ein prominentes Mitglied des brasilianischen Großbürgertums.

Die sozialrevolutionäre Haltung seines Vaters prägte Leandro Konder früh und nachhaltig. Bereits als Jugendlicher schloss er sich der PCB an – eine Entscheidung, die er als Erwachsener mehrfach kritisch überprüfte, aber letztlich stets erneuerte. Konder erhoffte sich zeitlebens von der Umsetzung marxistischer Prinzipien eine gerechtere und von Ausbeutung freiere Gesellschaft seines Heimatlandes. Diese Ziele hatte er bereits im Sinn, als er Jura studierte und nach erfolgreichem Studienabschluss (1958) als junger Rechtsanwalt Gewerkschaften und Arbeiter vertrat. Durch dieses Engagement, aber auch durch seine Tätigkeit als marxistischer Autor und Funktionär der kommunistischen Partei geriet Leandro Konder zusehends ins Visier der seit 1964 bestehenden Militärdiktatur. Nach Inhaftierung und Folter konnte der inzwischen weit über Brasilien hinaus vernetzte marxistische Intellektuelle 1972 in die BRD emigrieren. Einige Jahre lehrte er an der Universität Bonn, dann zog er nach Frankreich. 1978 kehrte Konder nach Brasilien zurück, wo er nun eine akademische Karriere verfolgte, die nach der Promotion schließlich zur Philosophie-Professur an der Päpstlichen Katholischen Universität von Rio de Janeiro führte. Im Jahr 2002 wurde Leandro Konder in Brasilien zum Intellektuellen des Jahres gewählt. Wenige Jahre später gehörte er zu den Mitgründern der linkssozialistischen Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL).

Neben zahlreichen Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte Konder seit etwa Mitte der sechziger Jahre in einem konstanten Strom fast zwei Dutzend Bücher, die sich in bemerkenswerter Breite mit philosophischen und literarturtheoretischen Fragen befassten. Beiden intellektuellen Feldern näherte sich Konder gern auf dem Weg der biographischen Darstellung. So verfasste er 1966 eine Biographie über Kafka, der zwei Jahre später – im berühmten Jahr 1968 – eine ähnliche Arbeit über Marx folgte. Es gibt wohl kaum einen Autor, der in den marxistischen Diskursen des zwanzigsten Jahrhunderts eine Rolle spielte, mit dem Konder sich nicht auseinandergesetzt hätte. Hervorheben könnte man vielleicht die Bedeutung, die das Werk des ungarisch-jüdischen Philosophen und Literaturtheoretikers Georg Lukács (1885 – 1971) für ihn hatte. Konder, der zu den führenden Köpfen der brasilianischen Intellektuellen-Gruppe „Comuníadas“ gehörte, vertrat als Theoretiker weder einen orthodoxen Marxismus noch entsprach sein Charakter dem Klischee, dass viele mit einem Kommunisten verbinden. Konder verabscheute persönlichen Streit und Feindschaften, polemische Kontroversen langweilten ihn. Diskussionen um Inhalte schätzte er dagegen sehr, aber nur, wenn sie nicht aggressiv aufgeladen waren. 2008 veröffentlichte Konder seine vielbeachteten autobiografischen Aufzeichnungen „Erinnerungen eines kommunistischen Intellektuellen“. Leandro Konder starb 78-jährig im November 2014 in Rio de Janeiro an den Folgen einer Parkinson-Erkrankung.

Verfasser: Gregor Brand

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