Marie Zimmermann

– Dramaturgin und Intendantin aus Simmerath

320_zimmermann_02_17Im April 2007 wurde die Kulturszene von einer bestürzenden Nachricht erschüttert. Friedrich Schirmer, Intendant des Hamburger Schauspielhauses, teilte sie mit folgenden Worten der Öffentlichkeit mit: „Meine über alles geliebte Frau hat sich heute Morgen nach langer, schwerer, mit großer Tapferkeit ertragener Krankheit entschlossen, von uns zu gehen.“ Schirmers Frau, die sich zur Behandlung ihrer Depression in einer Hamburger Klinik befand und sich dort 51-jährig das Leben nahm – das war Marie Zimmermann, herausragende Theatermacherin ihrer Generation. Der damalige österreichische Bundeskanzler Gusenbauer, dem sie als Direktorin der Wiener Festwochen vertraut war, würdigte sie als „Ausnahmeerscheinung auf Grund ihrer Person und auf Grund ihrer Managementqualitäten“. Nachrufe in großen deutschsprachigen Zeitungen hoben Zimmermanns Bedeutung als Vertreterin des modernen Theaters hervor.

Marie Zimmermann erblickte im Dezember 1955 in Simmerath als jüngstes von sechs Kindern des Gemeindedirektors Mathias Zimmermann und dessen Ehefrau Helene Wittler (1915 –1985) das Licht der Welt. Nach eigener Einschätzung lernte sie durch diese Geschwisterposition früh, sich Konkurrenz und Wettbewerb zu stellen. Sie selbst blieb, ungewollt, kinderlos. In einem Interview kurz vor ihren Tod bekannte sie, dass sie für ein Kind ihre Karriere aufgegeben hätte. In ihrem katholischen Elternhaus spielte das Musische eine große Rolle; ungewöhnlich war, dass alle Kinder eine akademische Ausbildung absolvierten. Familiäre Einflüsse blieben für Zimmermann prägend. So bemerkte sie: „Ich bin von einer – bis zurück zu den Großeltern – für ihre Möglichkeiten und ihre Zeit immer sehr furchtlosen Familie erzogen worden. Das hat sich also übertragen.“
Nach dem Abitur 1974 am St.-Michael-Gymnasium Monschau studierte Zimmermann an der RWTH Aachen Germanistik, Philosophie und Soziologie für das Lehramt an Gymnasien; das Studium schloss sie 1982 mit dem
1. Staatsexamen ab. Anschließend arbeitete sie zunächst als freie Journalistin und Lehrbeauftragte für Literatur und Deutsch. Von lebensentscheidender Bedeutung wurde 1984 die Begegnung mit dem Theaterintendanten und Dramaturgen Friedrich Schirmer (geb. 1951). Schirmer, damals Chefdramaturg der Städtischen Bühnen Dortmund, ermutigte Zimmermann, ihre Leidenschaft fürs Theater auch beruflich umzusetzen. Mit Erfolg: Zimmermann fand als Dramaturgin feste Anstellungen an verschiedenen Bühnen Baden-Württembergs (Esslingen, Stuttgart, Freiburg) und machte während dieser Jahre als intelligente und eloquente Vertreterin des modernen Theaters auf sich aufmerksam. 1997 wurde sie künstlerische Leiterin des renommierten internationalen Theaterfestivals „Festival Theaterformen“ in Niedersachsen, das im Jahr 2000 zum Kulturprogramm der Expo in Hannover gehörte. Bald darauf erstrahlte Zimmermanns Stern am Theaterhimmel noch leuchtender, als sie von Luc Bondy (1948 –2015) als Schauspieldirektorin der weltberühmten Wiener Festwochen nach Österreich geholt wurde; in dieser Funktion wirkte sie sie von 2002 bis zu ihrem Lebensende. 2005 leitete die Eiflerin als Programmdirektorin das internationale Theaterfestival „Theater der Welt“ in Stuttgart, das nicht nur künstlerisch große Beachtung fand, sondern auch ein enormer Publikumserfolg wurde. Ein weiterer Meilenstein, vielleicht sogar der Höhepunkt von Zimmermanns Festivalkarriere, schien sich mit der künstlerischen Leitung der
Ruhrtriennale abzuzeichnen. Bereits 2006 war Zimmermann für die Jahre 2008 bis 2010 zur Intendantin dieses internationalen Kunstfestivals berufen worden; die damit verbundenen hohen Erwartungen machte ihr allzu früher Tod zunichte. Die Organisation der internationalen Theaterfestivals brachte es mit sich, dass Zimmermann zu einer globalen Vielfliegerin mit rund 150 Flügen jährlich wurde: „Es gibt kaum jemanden in Europa, der sich derart gut auskennt, was global gespielt, getönt, getanzt wird“ (R. Wengierek, 2006). In ihrer kommunikationsfreudigen Art schreckte die Rheinländerin nicht vor schnodderigen Formulierungen zurück. So zögerte sie in einem Interview mit Heribert Sasse und Elfi Oberhuber nicht, Luthers berühmten Satz „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ kurzerhand zum „dümmsten der deutschen Sprache“ zu erklären – weil man immer anders könne. Bei gleicher Gelegenheit, in der es um den Begriff des Helden ging, meinte sie: „Ich glaube nicht, dass die Helden von Troja gewusst haben, dass irgendein komischer Kauz namens Homer ihren Mist aufschreibt“.

Nach Zimmermanns Ansicht besitzt Theater eine fast therapeutische Vorreiter-Funktion: „Das Theater hilft also sehr früh, über Dinge nachzudenken, die man eigentlich noch nicht auszusprechen bereit ist“. Sie war davon überzeugt, dass Theater „als aktivste Kunst von der Lebensangst handelt und von nichts anderem“. Dass sie sich schließlich selbst das Leben nahm, hing vielleicht auch mit ihrer grundsätzlichen Einstellung zur menschlichen Freiheit zusammen, die auch in der Entscheidung zum frei gewählten Tod zum Ausdruck kommt: „Ich bin nie wehrlos, sondern entscheide mich, meine Kräfte nicht zu gebrauchen.“

Verfasser: Gregor Brand

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