Peter Dahr – Blutgruppenforscher aus Brühl

Den meisten Menschen ist die außerordentliche Bedeutung und oft lebensrettende Wirkung von Bluttransfusionen sehr bewusst. Kaum weniger vertraut sind Begriffe wie Blutgruppe oder Rhesus-Faktor. Ungleich unbekannter dagegen im öffentlichen Bewusstsein ist die erstaunlich junge Geschichte des Wissens um diese Zusammenhänge. Nur wenige kennen die Namen der Mediziner, die die wissenschaftlichen Grundlagen legten und damit deren ärztliche und medizintechnische Umsetzung erst ermöglichten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte man Blutübertragungen fast völlig eingestellt, nachdem die bis dahin vereinzelt vorgenommenen Bluttransfusionen erschreckend häufig sehr ungünstig oder sogar tödlich verlaufen waren. Obwohl der österreichische, später in die USA emigrierte, Mediziner Karl Landsteiner 1901 erstmals auf die Existenz der Blutgruppen beim Menschen aufmerksam gemacht hatte, dauerte es noch Jahrzehnte, bis nicht zuletzt auch dank der Arbeiten von Peter Dahr Blutübertragungen in größerem Umfang vorgenommen wurden und Blutbanken und Blutspenden zur Selbstverständlichkeit wurden.
Peter Dahr wurde am 13. April 1906, einem Karfreitag, in Brühl geboren. Nach Angaben der Dahr-Expertin Ursula Krüger (Brühl) betrieben seine Eltern, die Eheleute Josef und Klara Dahr, dort eine Brot- und Feinbäckerei mit Café. Die für ihn vorgesehene Weiterführung des elterlichen Geschäfts erledigte sich mit Schließung der Bäckerei im Ersten Weltkrieg. Nach dem Abitur 1925 am Gymnasium in Brühl studierte er anfangs Chemie in Innsbruck, sattelte dann aber auf Medizin um und kehrte ins Rheinland zurück. Seine Promotion 1931 beim Diabetes-Spezialisten Ernst Wiechmann in Köln galt der immer wichtiger werdenden Thematik „Fettleibigkeit und Zuckerkrankheit“. 1935 wurde der wissenschaftlich eifrig publizierende Dr. Dahr Oberarzt am Hygienischen Institut der Universität Köln. Erst zu dieser Zeit spezialisierte er sich – angeregt durch Friedrich Hauchecorne, den Direktor des Zoologischen Gartens Köln – immer stärker auf die Erforschung des Blutes und speziell der Blutgruppen. 1938 habilitierte sich Dr. Dahr mit einer Studie über „Untersuchungen über die Möglichkeit einer serologischen Unterscheidung homozygoter und heterozygoter A- und B- Menschen“. Dahrs bahnbrechende Arbeiten eröffneten der Kriminologie und der forensischen Vaterschaftsfeststellung neue Möglichkeiten; Dahr selbst wurde amtlich bestellter Blutgruppen-Sachverständiger. Sein mehrfach neuaufgelegtes Buch über „Die Technik der Blutgruppen- und Blutfaktorenbestimmung“ (1940)“ war lange Zeit ein auch international hochgeschätztes Standardwerk, er selbst zählte zu den führenden Kapazitäten auf diesem Gebiet. Im Gegensatz zu anderen deutschen Blutspezialisten der vom Blutbegriff (im damaligen Sinn von „Rasse“ und Erbanlage) geradezu besessenen NS-Zeit verkörperte Peter Dahr nach Ansicht des Medizinhistorikers Michael Hubenstorf „eindeutig den wissenschaftlich produktiveren und sachlichen, d. h. weniger ideologisch bestimmten“ Forschertypus. Als Indiz dafür könnte man seinen bis in die Weltkriegsjahre hinein dauernden Briefkontakt mit dem jüdischen Nobelpreisträger Landsteiner sehen. Dahr stellte Landsteiner in seinen Publikationen immer wieder als Entdecker der Blutgruppen heraus, auch wenn dies bei NS-Ideologen Missbehagen hervorrief. Die Entdeckung des Rhesus-Faktors 1940 durch Landsteiner und Wiener wurde von Dahr wissenschaftlich sofort aufgegriffen. Dahr gehörte zu den Medizinern, die sich am frühesten für die medizinische Anwendung der neuen Blutgruppen-Erkenntnisse einsetzten und sich insbesondere bei der Behandlung der lebensbedrohlichen Rhesus-Unverträglichkeit sehr große Verdienste erwarben. Dahr, der gegen Kriegsende Leiter des später privatisierten Laboratoriums für Blutgruppenforschung wurde und 1948 zum außerplanmäßigen Professor in Göttingen ernannt worden war, wurde zum Lehrer bedeutender Mediziner der Nachkriegszeit (z. B. K. Fischer, H. Schriefers, H. Reissigl, H. Kolb). Zu Dahrs Hauptzielen gehörte es, die besten Voraussetzungen für erfolgreiche Bluttransfusionen, etwa durch Einrichtung von effizienten Blutbanken, zu schaffen. Dieser Absicht dienten nicht nur seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sondern etwa auch institutionelle Schritte wie die 1954 von ihm mitinitiierte Gründung der Deutschen Gesellschaft für Bluttransfusion, deren erster Generalsekretär und später auch Vorsitzender er wurde. Mehrere medizinische Vereinigungen ernannten Professor Dahr zum Ehrenmitglied, die Bundesärztekammer verlieh ihm mit der „Ernst-von-Bergmann-Plakette“ eine ihrer angesehensten Auszeichnungen. Dahrs Leistungen als innovativer Mediziner gingen über die Blutgruppenforschung hinaus. Schon in den 1930er Jahren hatte er als junger Arzt beispielsweise bei der Bekämpfung der Syphilis durch ausgedehnte Anwendung der Trockenblutprobe (Chediak-Dahr-Reaktion) erfolgreich Neuland betreten.
Von den vier Kindern Dahrs aus seiner Ehe mit Maria Cades wurden zwei Söhne ebenfalls Mediziner. Professor Dahr lebte seit 1947 in Bensberg. Dort verstarb der Pionier der Blutgruppenforschung nach schwerer Krankheit im Februar 1984.

Verfasser: Gregor Brand

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