Peter L. Reichertz

– Gründervater der Medizininformatik aus Speicher

Zwei Professoren von Weltruf aus Dörfern der Südwesteifel arbeiten vor einigen Jahrzehnten an Spitzenuniversitäten in Hannover: Während der Dreiser Musikwissenschaftler Richard Jakoby (1929–2017) als Präsident der Hochschule für Musik und Theater bekannt wurde, verschaffte sich Peter L. Reichertz an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) einen glänzenden Ruf als Vordenker der Medizininformatik. Reichertz gehörte zu den ersten, die das Potenzial des Einsatzes von Computern im Medizinbereich erkannten und erforschten.
Peter Leo Reichertz kam 1930 als Sohn der Eheleute Dr. Friedrich (Fritz) Reichertz und Margarete (geb. Kahle) in Speicher zur Welt, wo sein Vater als Arzt praktizierte. Fritz Reichertz (1894-1977) stammte aus Orenhofen; über seine Vorfahren aus Rivenich und Schweich war er ein Verwandter meiner Großmutter Maria Wagener. Im ersten Weltkrieg hatte Fritz Reichertz als Sanitätsunteroffizier im Inf.-Regt. Nr. 64 gedient, ehe er in München und Köln Medizin studierte und 1921 zum Dr. med. promovierte. Während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als praktischer Arzt verfolgte Fritz Reichertz den medizinischen Fortschritt aufmerksam. Er nahm regelmäßig an Tagungen teil, insbesondere an den Versammlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie, und scheute dafür auch weite Wege nicht.

Sein Sohn Peter erhielt seine Schulausbildung in Bitburg, Wernigerode und Trier, ehe er in Göttingen, Köln, Genf, München und Bonn studierte – nicht nur Medizin, sondern auch Physik und Mathematik. Nach seiner 1955 erfolgten Promotion über das Thema „Zur Ätiologie und Klinik der Beckenendlage“ widmete er sich in Bonn praktisch und wissenschaftlich unterschiedlichen Gebieten. Ungewöhnlich, gerade auch unter Medizinern, war sein brennendes Interesse an den Fortschritten der noch sehr jungen Computer-Technologie. Reichertz erlernte die bei IBM entwickelte Programmiersprache FORTRAN und beschäftigte sich theoretisch intensiv mit demjenigen Wissensgebiet, für das sich im Lauf eder Sechziger Jahre die Bezeichnung „Informatik“ herausbildete. Wichtiger Ansprechpartner für ihn wurde der sächsische Informatikpionier Carl Adam Petri (1926–2010), der seinerzeit das Rechenzentrum der Universität Bonn leitete. 1966 ging der inzwischen durch Fachveröffentlichungen als Experte ausgewiesene Dr. Reichertz für drei Jahre in die USA, zuerst an die University of Texas in Galveston, dann an die Universität von Missouri (Columbia, Missouri), wo er an der Spitze der Abteilungen für Computerforschung stand. 1969 wurde Reichertz als Professor an die MHH berufen. In Niedersachsen entstand unter seiner Führung das Institut für Medizinische Informatik, das zu einem international ausstrahlenden Zentrum wurde. Neben Persönlichkeiten wie etwa dem mit ihm befreundeten Franzosen Francois Grémy (1929–2014) gilt Peter Reichertz auch international unbestritten als einer der Gründungsväter der Medizininformtik; er war es auch, der 1970 den deutschen Begriff „Medizinische Informatik“ erstmals in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung verwendete. Reichertz war prägender Gestalter bei Konferenzen in Europa, Nordamerika und Asien. Bei seinen Forscherkontakten kam dem Fachmann für computergestützte Informationssysteme in der Medizin zugute, dass er Englisch und Französisch exzellent beherrschte und sich auch in anderen Sprachen, darunter Japanisch, verständigen konnte. Professor Reichertz hätte die Flugzeuge zu seinen Konferenzen notfalls selbst steuern können: Er besaß einen Pilotenschein zur Passagierbeförderung.

1976 wählte die GMDS (Deutsche Gesellschaft für Medizinische Dokumentation, Informatik und Statistik e.V.) Reichertz zu ihrem Präsidenten, 1978 wurde er Speicherer Präsident der EFMI (European Federation for Medical Informatics), die er ebenso mitgegründet hatte wie die IMIA (International Medical Informatics Association); bei mehreren Fachzeitschriften fungierte er als Herausgeber.

Auf den leuchtenden Lebensweg des Mediziners legten sich Mitte der Achtziger Jahre schwere Schatten. Trotz einer bösartigen Erkrankung arbeitete Reichertz bis zum Juni 1987 unermüdlich weiter, dann musste er sich schmerzgepeinigt nach einer Konferenz in Peking ins Krankenhaus begeben. Er starb 56-jährig am 6. August 1987. Medizininformatiker auf der ganzen Welt empfanden seinen Tod als gewaltigen Verlust. Noch im Herbst 1987 widmete die Fachzeitschrift „Computer Methods and Programs in Biomedicine“ seinem Andenken eine Spezialausgabe. Darin wurde unter anderem die Grundsatzrede publiziert, die Reichertz ein Jahr zuvor bei einem Symposium über Computeranwendungen in der Medizin in der US-Hauptstadt Washington gehalten hatte. Von den posthumen Würdigungen sei hier nur noch die Peter L. Reichertz Memorial Conference (1988) in Hannover genannt. Der wichtigste Beitrag zur Erinnerung an das Lebenswerk des Medizininformatikpioniers erfolgte 20 Jahre nach seinem Tod: 2007 gründeten die MHH und die TU Braunschweig das „Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik“ (PLRI) mit Standorten in Hannover und Braunschweig. Es sorgt dafür, dass der Name Reichertz in der wissenschaftlichen Welt der Medizininformatik bestens bekannt bleibt.

Verfasser: Gregor Brand

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