Ruth Liepman

– Literaturagentin und Juristin aus Polch

Ruth Liepman kam 1909 als Erstgeborene des Arztes Dr. Theo Isidor Lilienstein und dessen Ehefrau – und Kusine – Hilde Johanna Stern in Polch zur Welt. Da sie nur ihre ersten Lebensjahre in der Ortseifel verbrachte, konnte sie sich später kaum an ihre Polcher Zeit erinnern: „Ansonsten ist mir über dieses Dorf in der Eifel überhaupt nichts im Gedächtnis geblieben“, schrieb sie in ihrer Autobiographie „Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall“ (1993). Die Arztfamilie lebte in gutem Einvernehmen mit ihrer christlichen Umwelt. „Aber obwohl die Religion bei uns keine Rolle spielte, bekannte man sich immer zum Judentum und fühlte sich als Jude“.
Um sich beruflich zu verbessern, wechselte Dr. Lilienstein mit der Familie mehrfach den Wohnort. Er ließ sich schließlich in Hamburg nieder, wo er eine erfolgreiche Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten führte. In der Elbmetropole erhielt Ruth Lilienstein ihre höhere Schulausbildung. Sie besuchte die reformpädagogische Lichtwarkschule, die später durch prominent gewordene Schüler – wie etwa Helmut und Loki Schmidt – bekannt wurde. Ruth Lilienstein studierte nach dem 1928 abgelegten Abitur Jura anfangs in Hamburg, anschließend in Berlin; danach absolvierte sie ihr Referendariat in Hamburg. Hoffnungsfrohe berufliche Perspektiven wurden vernichtet, als Ruth Lilienstein im NS-Staat 1933 Berufsverbot erhielt. Bereits 1928 war die Jungstudentin engagiertes Mitglied der KPD geworden und entsprach damit als Kommunistin und Jüdin dem nazistischen Hauptfeindbild. Es gelang ihr noch, im Frühjahr 1934 mit einer Arbeit über „Die Exterritorialität des Personals der Gesandtschaften“ zu promovieren, danach flüchtete sie in die Niederlande. Ab Herbst 1934 wurde sie im NS-Staat unter dem Vorwurf der „Vorbereitung zum Hochverrat“ zur öffentlichen Fahndung ausgeschrieben. Mit verschiedenen Jobs schlug sie sich in den Niederlanden durch, zudem war sie länderübergreifend im kommunistischen Untergrund aktiv. 1935 heiratete sie den Schweizer Architekten Oscar Stock. Diese einige Jahre später aufgelöste „Schutzheirat“

(R. Liepman) verschaffte ihr die Schweizer Staatsbürgerschaft. Trotz der ihr sehr bewussten Gefahr begab sich die überzeugte Kommunistin Ruth Stock, die damals die Meldungen über den stalinistischen Terror für faschistische Propaganda hielt, wieder freiwillig nach Amsterdam, um von dort ihren Einsatz für NS-Verfolgte fortzusetzen. In Holland arbeitete sie als persönliche Sekretärin des Schweizer Konsuls in begrenzter Sicherheit, aber nach der deutschen Okkupation der Niederlande 1940 wurde die Lage von Tag zu Tag lebensgefährlicher. Ruth Stock musste untertauchen, fand Schutz bei einer niederländischen Familie und entging den Todestransporten in die NS-Vernichtungslager. Nach Kriegsende und Befreiung kehrte sie nach Hamburg zurück. Dort nahm ihr Leben eine entscheidende Wende, als sie den deutschjüdischen Schriftsteller und Journalisten Heinz Liepman (1905–1966) kennenlernte. Der Osnabrücker Autor hatte einen schillernden Lebenslauf hinter sich. Während seiner Emigrantenzeit in den USA war er in Kontakt mit bedeutenden Schriftstellern und Verlagen gekommen. Ruth und Heinz Liepman heirateten und beschlossen, ihre persönlichen Verbindungen zu Intellektuellen und Akteuren im internationalen Literaturbetrieb zu nutzen. 1949 gründeten sie in Hamburg die Literaturagentur Liepman. Da sich Heinz Liepman weiterhin vorwiegend um seine eigene intensive schriftstellerisch-publizistische Arbeit kümmerte, lag die unternehmerische Leitung der Agentur Liepman bei seiner Frau Ruth. Ihr gelang es, als Kunden Autoren von Weltruf zu gewinnen und ein eindrucksvolles Literatur-Netzwerk aufzubauen. Das Schaffen von illustren Schriftstellern und Intellektuellen wie Vladimir Nabokov oder Elias Canetti – um nur diese Beispiele aus einer weit umfangreicheren und imposanten Liste zu nennen – ist mit ihrer Arbeit verbunden. Da es dabei entscheidend auch um Lizenzverträge, Übersetzungs- und Urheberrechte ging, war ihre juristische Ausbildung für die Tätigkeit als literarische Agentin „sehr von Nutzen“ (Doris Hermanns). Wahrscheinlich noch wichtiger war die Aufgeschlossenheit Ruth Liepmans für den intellektuellen Kosmos, der sich im Werk der von ihr vertretenen Autoren öffnete. Sie hatte sich nach dem Weltkrieg von der kommunistischen Ideologie losgesagt; jetzt war es ihr ein Herzensanliegen, die deutschsprachige Leserschaft mit der geistigen Welt auch solcher Autoren vertraut zu machen, die während der NS-Zeit verfemt und ignoriert worden waren. 1961 verlegten die Liepmans den Sitz ihrer Literaturagentur nach Zürich und zogen auch selbst in die Schweiz. Auch nach dem Tod ihres Mannes schrieb sich Ruth Liepman sowohl mit ihrer Agentur, aber auch durch umfangreiche Kontakte und aufschlussreiche Briefwechsel mit Autorinnen und Autoren in die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ein. Dr. Ruth Liepman starb 2001 im Alter von 92 Jahren in Zürich; ihr Lebenswerk wurde in zahlreichen Medien gewürdigt. Als nächste Angehörige trauerten in den USA die Familien ihrer beiden dorthin emigrierten Brüder Manfred und Wolfgang Lilienstein.

Verfasser: Gregor Brand

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