Theodor Lerner

Polarfahrer, Abenteurer und Journalist aus Antweiler

Überschwänglich äußerte sich vor rund 100 Jahren der Publizist H. E. Wallsee (1849-1942) über Theodor Lerner. Dieser sei „vom Stamme der Konquistadoren alten Schlages“ und hätte vor einigen Jahrhunderten „wahrscheinlich Amerika entdeckt oder er wäre „ein wahnsinnig gefährlicher Seeräuber geworden“. Theodor Lerner kam 1866 in dem Ahrtaldorf Antweiler als Sohne der Eheleute Julius Lerner (1837-1923) und Maria Magdalena Mengelbier zur Welt. Seine Mutter war eine Tochter des Kürassier-Offiziers, Rechnungsrats und Steuereinnehmers Theodor Joseph Mengelbier (1798-1881) aus Blankenheim; Mengelbier wiederum war Schwiegersohn des Oberförsters Ruhlmann, der nach dem Ende der Feudalzeit das Blankenheimer Regierungsgebäude und umfangreiche Ländereien erworben hatte. Theodors Vater Julius wurde um 1871 Bürgermeister von Linz/Rhein und blieb über Jahrzehnte die dominierende Persönlichkeit seines neuen Wirkungsorts. Theodor Lerner besuchte Volksschule und Progymnasium in Linz, dann folgten Wechsel auf Gymnasien in Neuwied und Düsseldorf. Kurz vor dem Abitur wurde er von der Schule verwiesen. Die Einschätzung, dass – trotz seines Nachnamens – schulmäßiges Lernen nicht Lerners Sache war, findet ein weiteres Indiz in der Tatsache, dass er auch nachfolgende Studien an den Universitäten Würzburg und Bonn ohne Abschluss beendete. Mehr als Lehrbücher über Jura und Nationalökonomie interessierten ihn Fechten, Schwimmen und geselliges Studentenleben. Sein Vater versuchte ihn als Volontär bei der Bürgermeisterei Linz unterzubringen, aber auch dort hielt es den abenteuerlustigen Eifler nicht lange. Er wollte in die weite Welt hinaus und setzte diese Pläne mit dem für ihn typischen Eigensinn um. Lerner heuerte auf Schiffen an und kam bei seinen Seereisen bis nach Süd- und Nordamerika. Jenseits des großen Teiches schlug er sich in den USA in einfachen, aber teilweise extrem strapaziösen Jobs – etwa als Kohlentrimmer – durch, ehe er sich erneut aufs Meer wagte und auf Fischdampfern bis nach Norwegen und Island gelangte.

Zurück im deutschen Kaiserreich versuchte Lerner, als Mitarbeiter von Zeitungen und Verlagen beruflich Fuß zu fassen, wohl in der Hoffnung, Schreiben und Reisen produktiv kombinieren zu können. Eine spannende Möglichkeit dafür ergab sich 1896, als der inzwischen 30-Jährige von einem Berliner Verlag den Auftrag bekam, nördlich von Norwegen über den Verlauf einer wagemutigen Expedition des schwedischen Polarforschers Salomon A. Andrée (1854-1897) zu berichten. Noch im gleichen Jahr gelangte Lerner erstmals zu der arktischen Bäreninsel, die bis heute mit seiner Biographie besonders verbunden wird. Auf dieser damals noch herrschaftsfreien Insel zwischen Norwegen und Spitzbergen gab es Kohlevorkommen, über deren Wirtschaftlichkeit gestritten wurde. Lerner gehörte zu denjenigen, die den Abbau für profitabel hielten und vorantreiben wollten. Er fasste den Plan, auf der nebelverhangenen Insel Eigentum abzustecken und das Gebiet für das Deutsche Reich in Besitz zu nehmen. 1898 führte er auf der Bäreninsel Vermessungen durch und errichtete Grenzpfähle und Markierungen. In einem Schreiben an den Reichskanzler bat er darum, das Gebiet offiziell unter den Schutz des Reiches zu stellen. Was Lerner nicht wusste: Mit seiner privat organisierten Besitznahme durchkreuzte er Geheimpläne von Kaiser und Reichsregierung, die fast gleichzeitig dort Kolonisationsabsichten hatten und vollendete Fakten schaffen wollten, ehe konkurrierende Mächte – vor allem das Zarenreich – zu Gegenmaßnahmen schritten. Durch Lerners öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wurden die kaiserlichen Absichten politisch durchkreuzt – eine Tatsache, die ihm Regierungsstellen höchst übelnahmen: „Nach 1900 war Lerner ein ‚rotes Tuch‘ für diejenigen Reichsämter, die mit polaren Themen befasst waren“, stellte der Walfang-Historiker Klaus Barthelmeß (1955-2011) fest. 1899 traf Lerner zum vierten Mal auf der Bäreninsel ein; seine Bergbaupläne hatte er noch nicht aufgegeben. Damit befand er sich allerdings in einem Konfliktfeld einflussreicher deutscher und internationaler Interessengruppen. Ohne Unterstützung der Reichsregierung musste Lerner die Erschließung der Bäreninsel-Kohlevorkommen anderen überlassen. Im neuen Jahrhundert richtete sich seine ungebrochene Faszination für die eiskalt-neblige Region auf die Förderung des Spitzbergen-Tourismus, von dem er sich durch weitere Erforschung und Popularisierung auch kommerziellen Gewinn versprach. Den Winter 1907/1908 verbrachte er zusammen mit dem norwegischen Forscher F. H. Johansen in Spitzbergen – eine strapaziöse Pionierleistung, da dies vor ihnen noch nie jemand unternommen hatte. Alle Hoffnungen auf größere touristische Erschließung machte jedoch der Weltkrieg zunichte, den Lerner als Frontoffizier mitmachte. In den 1920iger Jahren setzten dem zweimal verheirateten Familienvater Herzprobleme zu; der prominente Arktisfahrer starb 1931 in Frankfurt/Main. Unerwartet neu ins mediale Blickfeld geriet Lerners Leben 2001 durch Martin Mosebachs Roman „Der Nebelfürst“ (2001) sowie durch seine von Frank Berger herausgegebene Autobiographie (2005).

Verfasser: Gregor Brand

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