Willi Graf

Widerstandskämpfer aus Kuchenheim

Im Herbst 1943 wurde im Münchner Gefängnis Stadelheim der 25-jährige Student Willi Graf mit dem Fallbeil hingerichtet. Er zeichnete sich in seinem kurzen Leben durch besondere Standhaftigkeit und Mut gegenüber der NS-Diktatur aus und wurde dafür posthum 60-Jahre nach seiner Ermordung von der Stadt Saarbrücken mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet.

Obwohl die saarländische Hauptstadt als seine Heimatstadt gelten kann, weil er in ihr den Großteil seiner Kindheit und Jugend verbrachte, stammte der im Januar 1918 geborene Willi Graf aus der Eifel. Sein Geburtsort war die heute zu Euskirchen gehörende Gemeinde Kuchenheim, wo Vater Gerhard Graf die Molkerei leitete. Willi Graf wuchs zusammen mit seinen Schwestern Mathilde und Anneliese auf, die sich später als engagierte Zeitzeuginnen bleibende Verdienste um die historische Aufarbeitung der Biographie ihres Bruders sowie anderer Angehöriger des Widerstands erwarben. Als Willi Graf vier Jahre alt war, verließ die Familie die Voreifel und zog ins Saargebiet, das damals unter dem Mandat des Völkerbunds stand. In Saarbrücken wohnte die Familie im weitläufigen Johannishof; von dort aus leitete Gerhard Graf als angesehener Kaufmann einen Weinhandel. Der in seiner Kindheit etwas pummelige, später aber zähe Willi war ein aktives Mitglied der katholischen Gemeinde. Die ihm sehr wichtige Aufgabe eines Messdieners übte er zeitweise unter Kaplan Joseph Höffner (1906-1987) aus, dem später berühmten Kardinal und Kölner Erzbischof. Willi Grafs Elternhaus entsprach weitgehend dem traditionellen Bild einer bürgerlichen christlichen Familie: einerseits der eher strenge und pflichtbewusste Vater, andererseits die sanftere Mutter, zu der Sohn Willi immer „das allerherzlichste Verhältnis hatte“, wie er zuletzt in einem für die Gestapo verfassten Lebenslauf schrieb. Zehnjährig wurde Graf Schüler des humanistischen Ludwigsgymnasiums in Saarbrücken, des ältesten Gymnasiums des Saarlandes. Bereits ein Jahr später schloss er sich der katholischen Jugendbewegung „Bund Neudeutschland“ (ND) an. Die Aktivitäten dieser Jungengemeinschaft mit ihren von Naturliebe und Kulturbegeisterung gleichermaßen geprägten teilweise wochenlangen Wanderungen und sonstigen Gemeinschaftsaktivitäten bildeten neben der Schule den Schwerpunkt seiner Jugendjahre. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus geriet diese tiefkatholische Gemeinschaft stark unter politischen Druck, da konfessionelle Jugendgruppen den Nazis und der Hitlerjugend (HJ) ein Dorn im Auge waren. Als die Saarbevölkerung im Januar 1935 mit überwältigender Mehrheit für das von Hitler beherrschte Deutsche Reich votierte, gehörte Willi Graf – nach Angaben von Dr. Peter Goergen, dem Verfasser der ersten Graf-Biografie – auf dem großen Ludwigsgymnasium zu einer Minderheit von nur 12 Schülern, die keiner NS-Jugendorganisation angehörten. Obwohl sich die Mitglieder des ND manchmal hasserfüllten Parolen („Nieder mit den schwarzen Schweinen!“) gegenübersahen, blieb Willi Graf auch weiterhin der HJ fern und schloss sich sogar einem weiteren kleinen katholischen Kreis an, dem von Fritz Leist geführten „Grauen Orden“. Nach dem Abitur und der anschließenden Arbeitsdienstzeit in Dillingen begann Graf im Herbst 1937 in Bonn ein Medizinstudium. Wenige Monate später wurde er wegen seiner Mitarbeit im Grauen Orden wochenlang inhaftiert, wegen „bündischer Umtriebe“ vor einem Mannheimer Sondergericht angeklagt, schließlich aber amnestiert. 1939 wechselte Medizinstudent Graf zur Universität München, Anfang 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Als Sanitätssoldat erlebte er die Gräuel des Weltkriegs zunächst in Frankreich, dann in Jugoslawien und Griechenland und schließlich ab Juni 1941 an der Ostfront. Als er im April 1942 zur weiteren Ausbildung in eine Münchner Studentenkompanie abkommandiert wurde, hatte sich seine langjährige Ablehnung der NS-Herrschaft durch die Kriegserlebnisse weiter vertieft. Im Juni lernte er mit Hans Scholl und Alexander Schmorell zwei Aktivisten der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ kennen. Bald darauf beteiligte er sich trotz der damit verbundenen Lebensgefahr an deren Aktivitäten, zu denen insbesondere das konspirative Verteilen von Flugblättern gehörte. Am 18. Februar 1943  – dem gleichen Tag, an dem Goebbels in Berlin seine berüchtigte Sportpalastrede („Wollt ihr den totalen Krieg?“) hielt – wurden nicht nur die Geschwister Scholl an der Uni München verhaftet, sondern auch Willi Graf und seine Schwester Anneliese festgenommen. Im April 1943 verhängte der Volksgerichtshof unter seinem infamen Vorsitzenden Freisler über Willi Graf die Todesstrafe. Einige Monate lang versuchte die Gestapo vergeblich, aus dem Todeshäftling noch Informationen herauszupressen, ehe er am 12. 10. 1943 dem Henker übergeben wurde. Nach einer ersten Beisetzung auf dem Münchner Friedhof am Perlacher Forst erfolgte 1946 die Umbettung auf den Alten Friedhof von St. Johann in Saarbrücken. Dort und anderswo gedenkt man auf unterschiedliche Weise des katholischen Widerständlers, dessen Lebensgang auch wissenschaftlich Gegenstand des Forschens und Nachdenkens bleibt.   

Verfasser: Gregor Brand

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