Yolanda von Vianden

Grafentochter und legendäre Luxemburger Persönlichkeit

Im Jahr 1231 erblickte auf der Burg Vianden ein Mädchen das Licht der Welt, dessen Persönlichkeit und Lebensgeschichte eine Faszination hervorriefen, deren kulturelle Auswirkungen bis heute anhalten. Bald nach ihrem Tod im Jahr 1283 verfasste Hermann von Veldenz – ein Geistlicher, der sie persönlich gekannt hatte – ein episches Gedicht von 5963 Reimpaarversen über das „Leben der Gräfin Yolande von Vianden“. Es ist aus vielen Gründen ein außerordentliches wertvolles Dokument zur Geschichte Luxemburgs, aber auch der Eifel. Besonders bemerkenswert: Der Yolanda-Text gilt als ältestes literarisches Denkmal in moselfränkischer Sprache. Bruder Hermanns Gedicht bildet die Hauptquelle zur Biographie Yolandas; in neuerer Zeit ist deren Leben und historischer Hintergrund in der vielzitierten Arbeit von Angela Mielke-Vandenhouten „Grafentochter-Gottesbraut: Konflikte zwischen Familie und Frömmigkeit in Bruder Hermanns Leben der Gräfin Yolande von Vianden“ (Diss. Köln 1994) umfassend beleuchtet worden.
Yolanda (auch: Yolande, Iolanda etc.) war eine Tochter des Grafen Heinrich von Vianden und dessen Ehefrau Margarethe von Courtenay. Die väterliche Familie war seit karolingischer Zeit in der Westeifel und Luxemburg begütert und einflussreich. Noch weit übertroffen wurde der Adelsruhm des Vaters von Yolanda durch den der Mutter. Marguerite von Courtenay war eine Tochter von Peter von Courtenay, der von 1212 bis 1217 an der Spitze des von Kreuzfahrern begründeten Lateinischen Kaiserreichs von Konstantinopel gestanden hatte und selbst ein Enkel des französischen Königs Ludwig VI. war. Höchstadelige Abkunft lag bei Yolanda zudem durch viele andere Linien ihrer Vorfahren vor.

Wie schon bei weniger hochgestellten Familien, so galt damals im Adel erst recht der Grundsatz, dass die Frage, ob und wen eine Tochter heiraten sollte, nicht von dieser selbst, sondern von Eltern und Familie entschieden wurde. Yolanda war mit den Heiratsplänen ihrer Eltern, von denen sie schon als Kind erfuhr, nicht einverstanden – eine Situation, die es damals sicher nicht selten gab. Ungewöhnlicher war, dass sie schon als Kind den ausgeprägten Wunsch äußerte, trotz Widerstrebens ihrer Eltern ins Kloster zu gehen. Dieser Lebenswunsch wurde, anders als ihre Eltern erhofften, nicht schwächer, sondern stärker, zumal ein geistlicher Vertrauter der Familie, der Dominikanerbruder Walther von Meisembourg, das sehr schöne junge Mädchen bestärkte und ihr konkret das luxemburgische Kloster Marienthal empfahl. Der familiäre Druck auf Yolanda, von ihren Klosterplänen abzulassen, war gewaltig, zumal auch andere einflussreiche Verwandte auf sie einredeten. Zu einer dramatischen Zuspitzung kam es, als Yolanda mit ihrer Mutter das Kloster Marienthal besuchte, den Besuch zur Flucht nutzte, sich die Haare abschneiden ließ und ein Ordensgewand anzog – kurzum: den offenen Bruch mit der Familie wagte. Als ihre Mutter dies erfuhr, war sie äußerst wütend, stritt heftigst mit der eigensinnigen Tochter und drohte, das Kloster niederbrennen zu lassen, wenn sich Yolanda nicht füge. Die friedfertige Yolanda beugte sich widerstrebend und kehrte nach Vianden zurück. In der folgenden Zeit schwelte der Streit weiter, loderte mehrfach stark auf, ehe er damit endete, dass sich die Eltern – besonders der Vater gebrochenen Herzens – dem Wunsch ihrer Tochter beugten und sie in den Dominikanerorden und Kloster Marienthal eintreten ließen. Ihr weiteres Leben verbrachte Yolanda in Marienthal, wo sie Priorin wurde und sich tatkräftig und erfolgreich darum mühte, die inneren und äußeren Verhältnisse dort zu verbessern. Unter der luxemburgischen Bevölkerung der Marienthaler Gegend blieb die Erinnerung an sie erhalten. Auch wenn keine Kanonisierung als Selige oder Heilige vorlag und eine entsprechende kultische Verehrung ausblieb, so trug die Geschichte von Yolanda doch über Jahrhunderte hinweg maßgeblich zum Ansehen Marienthals bei.

In welchem Jahr Bruder Hermann das Gedicht über das Leben Yolandas verfasste, ist nicht genau bekannt und ist wie die gesamte Überlieferungsgeschichte des Textes bis heute Gegenstand akribischer Forschung. Sprachliche und andere Hinweise sprechen für eine Entstehung nicht lange nach Yolandas Tod. Die älteste bekannte Fassung des Textes liegt in einer Pergament-Handschrift vor, dem sogenannten Codex Mariendalensis. Diese wertvolle Handschrift galt lange als verschollen, so dass man den Text nur noch durch eine Abschrift und lateinische Übersetzung kannte, die der Luxemburger Jesuit und Geschichtsforscher Alexander Wiltheim 1655 angefertigt hatte; spätere Druckausgaben der Yolanda-Geschichte fußten bis zum Ende des 20. Jahrhunderts auf dieser Wiltheim-Bearbeitung. Im November 1999 kam es dann zur Sensation: Der Linguist Guy Berg entdeckte in Schloss Ansemburg den rund 700 Jahre alten und verblüffend gut erhaltenen Codex! Zehn Jahre später wurde diese Handschrift durch Claudine Moulin neu ediert und die Verse erstmalig handschriftengetreu und ohne Eingriffe veröffentlicht. Dies trug ebenso wie das hohe Interesse an der Thematik selbstbestimmten weiblichen Lebens zu gesteigerter Aufmerksamkeit für die Biographie Yolandas bei.
Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen