Leserbrief: Gedenken der Toten von Krieg und Verbrechen.

Heute war ich einmal mehr Gast bei der Gedenkstunde für die Kriegstoten auf dem Gerolsteiner Ehrenfriedhof. Erschreckend, wie licht die Reihen stehen, wie wenige der Vertreter der politischen Parteien und Ratsmitglieder sich die Zeit nehmen, an einer solchen Gedenkfeier teilzunehmen. Es beschämt mich, zu sehen, wie sehr der “verantwortungsvolle Bürger“ für sich selbst glaubt, die Lehren aus Unrechtsherrschaft, Krieg und Verderben gezogen zu haben, keiner Erinnerung bedarf und die Opfer “gut unter der Erde“ weiß !?!

Dem Grunde nach war es eher ein Gottesdienst, denn eine Gedenkfeier oder gar Mahnung, gleiches nie wieder zuzulassen. Und es stimmt mich bedenklich, wenn ich aus Pfarrersmund vernehme “. . . wir bitten für die Täter . . .“ und in der nachfolgenden Fürbitte gleichsam die Opfer bedacht werden. Haben sich denn die Opfer gleichsam der Täter versündigt, daß sie im Gebet an zweiter Stelle der Gnade “ihres Herrn“ anempfohlen werden ?

Und auch die Erkenntnis aus dem Munde eines Schuldirektors, heute würde nur noch wenige von denjenigen leben, die es selbst erlebt haben, die meisten würden “es“ nur aus den Geschichtsbüchern oder Erzählungen kennen.
Wird denn wirklich in “unseren Geschichtsbüchern“ dieses grausamste Kapitel deutscher Geschichte ausreichend beleuchtet, Herr Rektor ?

Ich muß da schon die “Faust im Sack“ machen und sehr feste auf die Zähne beißen !

Nein, ich spreche weder Kirche noch Lehre ab, sich bei einer solchen Gedenkfeier einzubringen.
Aber ist es nicht gerade diese Art der Distanz zur Geschichte, die es vergessen macht, daß Hass, Neid, Selbstsucht und Verantwortungslosigkeit im Handeln den Menschen zu des Menschen schlimmsten Feind macht ?

Ich würde mir wünschen, daß “Kirche“ heute bei solch einer Gedenkfeier weniger die Dreifaltigkeit predigt, als vielmehr mit offenem Umgang zum eigenen Verhalten, zum Schweigen, Zulassen und Wegducken deutlich zu macht, daß ein derartiger “Sündenfall“ erkannt ist und damit einer Wiederholung genauso frei und offen entgegengetreten werden kann.

Und ich würde mir wünschen, daß die “Lehre“ die “schwarzen Seiten“ unserer Geschichte endlich mit klar lesbaren Worten füllt, um damit die Generation, die nicht nur weitab dieser “Schreckenszeit“ aufwächst, sondern gleichsam keine Gelegenheit mehr hat, ihren Eltern oder Großeltern zu befragen, nicht mehr an “tausend Jahren“ deutscher Geschichte geschickt vorbeizuführen.

Ein jeder “drückt“ sich und weicht aus, ist froh, wenn er selbst nicht Stellung beziehen, Meinung vertreten muß, wobei er doch aktiv handeln und deutlich bekennen sollte :

Die Toten, die dort liegen, sie liegen dort, weil ein ganzes Volk nicht in der Lage war, zu sehen, was geschieht ! Nicht fähig war, sich entgegenzustellen, Widerstand zu leisten ! Mitgemacht hat, geschwiegen !

Ist es deswegen “bequeme Tradition“, daß den Priestern der christlichen Kirchen die Aufgabe überlassen wird, die Gedenkfeier zu gestalten, mit Bibelversen das “ewige Leben“ zu verkünden ?

Ich würde mir wünschen, die Gedenkfeier zum Volkstrauertag wäre für alle Bürgerinnen und Bürger, besonders aber für all diejenigen, die Ämter und Mandate im politischen Leben haben, eine “innere Verpflichtung“, wenigstens einmal im Jahr innezuhalten und sich über die eigenen Verantwortung bewußt zu werden.

Wir, die Menschen “freiheitlicher Demokratie“, schicken unser Soldaten aus, wir benennen dies mit dem “schicken Wort“ Einsätze, und wir übersehen dabei, daß wir wieder nur die “eigenen Toten“ zählen und nicht wissen, in welcher Form ihr Sterben gewürdigt werden soll.
Wir sind zu feige, von Krieg zu sprechen und drücken uns damit um die Verantwortung, die aus der Lehre der Geschichte doch allzu deutlich erkennbar ist, wir sprechen von “im Einsatz Umgekommenen“, anstatt von Gefallenen zu reden und wir verschweigen einmal mehr, wie viele Menschen auch und gerade wegen unseres Tuns ihr Leben lassen müssen.
Wir haben dutzende “guter Gründe“, warum wir unsere Soldaten in die Welt hinaus schicken und wir übersehen, daß der Unfriede genau dort immer größer wird, der Hass wächst und bitterlich auf uns als Terror zurück schlägt.

Wir feinden diejenigen an, die aufgrund auch unseres Eingreifens ihre Heimat verlassen müssen, um dem Schrecken des Krieges und Terrors zu entkommen, anstatt uns zu der Verantwortung zu bekennen, die wir selbst auf uns geladen haben.

Von alldem war auch an diesem Sonntag fast nichts zu hören.
Eine Mahnung, Krieg und Gewalt zu bekämpfen und zu verhindern, war kaum zu vernehmen. Und wenn Gewalt ein Thema war, dann wieder nur diejenige, die uns angetan wird, nicht die, die wir selbst ausüben. Sei es im Namen einer “besseren, gerechteren Welt“ oder sei es die, die einige wenige mit steigender Tendenz allem Fremden antun.

Wenn schon unsere Geschichtsbücher uns vorenthalten, wie der Mensch, ein ganzes Volk oder auch Völker aufgewiegelt werden konnten, alles Fremde zu hassen, sich über andere zu erheben, “neuen Lebensraum“ für sich zu beanspruchen, gewaltbereit und mit Gewalt gegen die eigenen Art Mensch zu Felde zu ziehen, dann sollte doch wenigstens der Volkstrauertag und seine Gedenkfeiern beste Gelegenheit sein, mit Worten der Aufklärung, Mahnungen an die Verantwortung als Mensch und Fürbitten um die Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit an die persönliche Verantwortung jedes einzelnen zu appellieren.

Und wenn dabei “Kirche“ den “himmlischen Beistand“ erbittet, dann ist auch der Priester dort keinesfalls fehl am Platz.

Niemandem, der bei der Gerolsteiner Gedenkfeier zugegen war oder bei der Ausgestaltung beteiligt war, möchte ich mit meinen Gedanken “auf den Schlips treten“.
Ich möchte aber anregen, mehr zu tun, als den Erwartungen von Politik und Volk zu entsprechen :

Die Gedenkfeiern zum Volkstrauertag dürfen nicht zur “kalendarischen Pflichtveranstaltung“ verkümmern !
Sie müssen vielmehr ein Weckruf sein an die Menschlichkeit jedes einzelnen von uns !

Gerne stelle ich mich hierzu der Diskussion und bedanke mich für Ihre Geduld beim Lesen.

Knut Wichmann sr.
Gerolstein

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