Interview mit Hermann Simon zu seinem neuen Buch

Hasborn. Mit „Kinder der Eifel“ und Kinder der Eifel aus anderer Zeit“ – erschienen im Eifel-Zeitungsverlag – war der aus Hasborn stammende Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon Ideen- und Herausgeber für zwei zeitlose, informative Sachbücher über Persönlichkeiten aus der Eifel-Mosel-Region, die weit über die Grenzen der Eifel-Mosel-Region hinaus auf großes Interesse stoßen. Neben unzähligen Wirtschaftssachbüchern hat der sympathische „Hasborner“ nun ein weiteres Buch über seine Heimat geschrieben. Die Eifelzeitung hat mit ihm über das neue Buch gesprochen. Lesen Sie hier exklusiv das interessante Interview. Übrigens, das Buch wird Anfang Dezember im Buchhandel sein und gehört eigentlich in jeden Haushalt. Sein Titel lautet:

simon_eichenhain_47_16„Die Gärten der verlorenen Erinnerung – Eifel Hasborn unvergessen” Eifel-Zeitung: Wie entstand die Idee für dieses Buch?

Simon: Anfang 2016 stellte ich in Hasborn ein Album mit alten Fotos vor. Diese hatte ich über Jahre gesammelt. Das Interesse war überwältigend, nicht nur bei den Älteren, sondern auch in der jungen Generation, was mich am meisten überraschte. Es kamen rund 100 Leute, deutlich mehr hatten sich angemeldet, aber der Platz reichte einfach nicht. Dort erzählte ich viele Geschichten von früher, vor allem aus meiner Kindheit und Jugend. Die Älteren waren von den Fotos und den Geschichten tief berührt. Doch auch die Jüngeren sagten: „Das kennen wir alles nicht mehr. Das musst Du unbedingt aufschreiben.“

Eifel-Zeitung: Um was geht es in dem Buch?

Simon: Es ist kein Buch über mich, also keine Autobiographie. Es ist auch kein reines Geschichtsbuch. Ich schreibe primär über die Zeit meiner Kindheit und Jugend, also die späten 1940er bis in die 1960er Jahre. Die wichtigste Basis bilden meine eigenen Erinnerungen sowie die Erzählungen der Eltern- und Großelterngeneration. Ich spreche alle Lebensbereiche an: Dorfgesellschaft, Landwirtschaft, Rolle der Kirche, Schule, Feste, Gewerbe, Waldwirtschaft, Gasthäuser, Verkehr, Kinderwelten, den Krieg und seine Folgen sowie vieles andere. Ich wuchs noch in der alten, fast mittelalterlichen Welt auf. In den zwei Jahrzehnten meiner Kindheit und Jugend hat sich mehr verändert als in Jahrhunderten vorher. Und auch mehr als seither. Als ich das alles niederschrieb, war ich selbst überrascht, wie radikal und umfassend der Wandel in dieser Zeit war. Diejenigen, die zehn Jahre nach mir geboren sind, haben die alte Welt nicht mehr erlebt. Mein Ziel ist es, die Erinnerung an diese versunkene Welt für die Älteren wach zu rufen und für die Jüngeren zu erhalten.

Eifel-Zeitung: Können Sie die radikalen Änderungen an einigen Beispielen illustrieren.

Simon: Lassen Sie mich beispielhaft zwei Bereiche wählen, die Landwirtschaft und die Kirche. In den 1950er Jahren lebten praktisch alle Familien im Dorf von der Landwirtschaft, heute gibt es keinen einzigen Bauern mehr. Dennoch werden die Felder bewirtschaftet, aber von Landwirten aus umliegenden Dörfern. Innerhalb der Landwirtschaft selbst hat sich ein ähnlich radikaler Wandel von reiner Handarbeit zu hochtechnisierter Maschinenarbeit vollzogen. Der Bauer heute ist ein völlig anderer als der von 1950. Zweitens, die Rolle der Kirche. Der katholische Pastor war die mächtigste Person im Dorf. Er entschied, ob die Bauern in der Erntezeit sonntags arbeiten durften. Nur, wenn er „auftat“, war das erlaubt. Er bestimmte auch, wer aufs Gymnasium gehen durfte. Und er griff massiv in Lebensbereiche ein, die heute als rein privat angesehen werden. Das alles ist für uns in der modernen Zeit unvorstellbar.

Eifel-Zeitung: Welche Änderungen haben Sie persönlich am stärksten berührt?

Simon: Wenn ich an die alte Dorfgemeinschaft zurückdenke, dann überkommt mich Wehmut. Damals trafen sich zur Ernte alle auf den Feldern, es wurde gemeinsam gedroschen, bei Festen und in der Kirche war das gesamte Dorf präsent. An langen Winterabenden saß man mit den Nachbarn in der Stube, und es wurde erzählt. Es gab einen starken Zusammenhalt. Und es wimmelte von Kindern. Wie gerne würde ich für einen Tag in diese Welt zurückkehren. Aber sie ist unwiederbringlich dahin. Jedoch gibt es auch äußerst positive Veränderungen. Ein Beispiel ist die Verkehrssicherheit. Innerhalb weniger Jahre verunglückten vier meiner Fußballkameraden, eine Klassenkameradin aus der Volksschule und ein Mitschüler vom Gymnasium tödlich. Damals gab es jährlich 2.700 Verkehrstote pro eine Million Fahrzeuge, heute liegt diese Zahl bei 65. Bei der heutigen Verkehrssicherheit wären meine Jugendfreunde vermutlich noch am Leben.

Eifel-Zeitung: Das gilt sicher noch stärker für die Kriegsgeneration? Sprechen Sie dieses Thema in Ihrem Buch an?

Simon: Ja. Ich bin zwar kurz nach dem Krieg geboren, aber die Folgen des Krieges bekamen wir vielfach zu spüren und ich kann sagen, dass ich den Krieg selbst in den endlosen Erzählungen der Elterngeneration über Jahre nacherlebt habe. Im Zweiten Weltkrieg waren aus der Verbandsgemeinde Manderscheid 1.400 Soldaten im Kriegseinsatz, davon fielen 287 und 178 wurden vermisst. Von den 62 Soldaten aus Hasborn kamen 23 nicht aus dem Krieg zurück. Auch die Zivilbevölkerung war massiv betroffen. Ich schreibe, wie die Bomben fielen und viele Menschen töteten, die Leute in Erdbunkern hausten, von Flakstellungen und den langfristigen Folgen des Krieges. So starben alleine sechs Kriegsteilnehmer aus unserer direkten Nachbarschaft (darunter auch mein Vater mit 61) vor ihrem 70. Lebensjahr. Ich habe hierfür keine andere Erklärung als die traumatischen Kriegserlebnisse.

Eifel-Zeitung: Für wen ist das Buch interessant? Eher für ältere oder auch für jüngere Leser?

Simon: Definitiv für beide Gruppen! Ältere Leser finden in dem Buch ihre eigene Kindheit und Jugend wieder. Ich habe einigen das Manuskript vorab zum Lesen gegeben und kann sagen, dass die Ausführungen auf helle Begeisterung stießen. Es scheint gelungen, die Welt von damals in ihren vielen Facetten zu erfassen. Selbst bei den Älteren ist sehr viel in Vergessenheit geraten und genau diese versunkenen Erinnerungen werden erweckt. Einer sagte: „Das hatte ich völlig vergessen, aber so war es.“ Meine größte Überraschung ist das große Interesse der Jüngeren. Sie haben die alte Welt nicht mehr erlebt und wollen einfach wissen, wie es früher war und wie ihre Vorfahren lebten. Genau das finden sie in diesem Buch.

Eifel-Zeitung: Ist das Buch für einen Leserkreis, der über Ihr Heimatdorf Hasborn hinausgeht, von Interesse?

Simon: Auf jeden Fall! Konkrete Namen und Ereignisse beziehen sich natürlich stark auf Hasborn, denn dort bin ich aufgewachsen. Aber die beschriebenen Phänomene der alten Welt, die Veränderungen, die Sprache, die Menschen sind typisch für die gesamte Eifel, ja sogar für ländliche Regionen in ganz Deutschland. Und ich berichte vieles aus der Eifel, was über mein Heimatdorf hinausgeht. Im Text kommen über 50 Namen von Eifeldörfern und -städten vor, zum Beispiel Manderscheid und die direkten Nachbardörfer Greimerath, Niederöfflingen, Nieder- und Oberscheidweiler jeweils mehr als 20 Mal, Wittlich noch häufiger und ähnlich Daun, Gillenfeld, Laufeld oder Lutzerath, um nur einige zu nennen. Ich schreibe auch über Originale aus anderen Dörfern, zum Beispiel den „Schneiderpater“ aus Mückeln, der sich oft bei uns herumtrieb. Im Untertitel „Eifel Hasborn unvergessen“ setze ich deshalb sogar die Eifel an erste Stelle. Es ist ein echtes Eifelbuch.

Eifel-Zeitung: Welche Rolle spielt das Eifler Platt in dem Buch?

Simon: Eine große Rolle! Zwar ist das Buch in Hochdeutsch geschrieben, aber ich widme dem Eifler Platt ein ganzes Kapitel mit überraschenden Entdeckungen. Ein Beispiel: Die Zahl zwei hat im Platt Geschlechtsformen: zwien Männa (männlich), zwu Frauen (weiblich) und zwei Pärda (sächlich). So etwas gibt es im Hochdeutschen nicht. Das Kapitel enthält viele solcher Seltsamkeiten unseres Dialektes zudem eine Sammlung ungewöhnlicher und teils vergessener Begriffe (wer weiß heute noch, was eine „Kanick“ oder ein „Langkoff“ ist?). Und im gesamten Buch füge ich oft den platten Ausdruck neben dem Hochdeutschen ein (z.B. Rüben = Rummelen, Kohlrüben = Strienk, Mörtel = Speis).

Eifel-Zeitung: Der Buchtitel „Die Gärten der verlorenen Erinnerung“ klingt mysteriös, fast wie ein Krimi. Verraten Sie uns, wie Sie auf diesen Titel kamen?

Simon: Das verrate ich hier nicht. Ich kann nur so viel sagen: Der Titel ist keineswegs frei erfunden, sondern hat einen sehr realen Hintergrund. Die Auflösung findet der Leser ziemlich früh im Buch, er muss also nicht bis zum Schluss warten. 

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