Rote Häuser im Liesertal

Daun. Max Grünbaum, Ehrenbürger der Stadt Daun, war nicht nur bei der Firma Tietz als Partner tätig, sondern ein enger Freund und Finanzberater des Firmeninhabers Leonhard Tietz, der 1879 das erste deutsche Warenhaus eröffnet hatte. Firmenphilosophie und erreichte Ziele des Großunternehmens, das sich zwölf Jahre später in Köln niederließ, waren stets das Wohlergehen ihres Personals. Schon Ausgangs des 18. Jahrhunderts schuf es für seine Angestellten einen eigenen Pensionsfonds, richtete eine Bibliothek ein, führte den Achtuhrladenschluss ein und sorgte für genügend Pausen- und Erholungszeiten.

Ein vielbeachtetes Modell, das die Arbeitnehmer wohl zu schätzen wussten. Nichts desto trotz waren Erschöpfungszustände und körperliche Krankheiten beim Personal festzustellen, die auf teils mangelnde häusliche Hygiene und auf die Enge der Großstadt zurückzuführen waren.

Max Grünbaum musste aber auch feststellen, dass besonders die weiblichen Angestellten sich während freier Tage oder ihres Urlaub kaum erholen konnten, da sie zu Hause oder als Familienangehörige zur harten Haus- oder Feldarbeit herangezogen wurden. Darum machte Grünbaum seinem Chef den Vorschlag, speziell für die Mädchen und Frauen Erholung auf dem Lande  zu ermöglichen. Er schlug vor, zu diesem Zwecke hölzerne Fertighäuser zu errichten, so wie er sie bei seinen Aufenthalten in Schweden kennen gelernt hatte. Dieser Vorschlag stieß auf zweifelnde Skepsis, da Deutschland noch keine genügende Erfahrung über Qualität und Lebensdauer mit solchen Fertighäusern hatte. Daraufhin ließ Max Grünbaum 1909 in Schweden ein solches Holzhaus abbauen und in Daun im Philosophenweg für sich und seine Familie wieder aufbauen, das bis heute noch als bauhistorisches Gebäude zu bewundern ist. Als 1911 immer noch keinerlei Abnutzungserscheinungen zu erkennen waren, beauftragte die Firma Tietz den Bau eines „Erholungs- und Ferienheimes für weibliche Angestellte zu Daun“.

Bald standen die braunroten Blockhäuser mit ihren weißen Fensterrahmen und grünen Läden im Liesertal und bereicherten das Ortsbild von Daun. Die von dem Kölner Architekten Falk geschaffene Anlage bestand aus einem großen Wirtschaftsgebäude und zwei kleineren Schlafgebäuden, die durch überdachte Gänge mit einander verbunden sind. Daneben besaßen die Häuser bereits Badezimmer und Toilettenanlagen, waren mit Spiel- und Aufenthaltsräumen versehen, boten großen Lesestoff, Klavier, Tanzmöglichkeiten, eine große Küche, in der neben viel Milch kalorienreiche Nahrung bereits als großes Buffet angeboten wurden.

Bei der Eröffnungsfeier des Heimes am 20. Juni 1911 war viel Prominenz zugegen. Seniorchef Leonhard Tietz mit Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft, alle Dauner Kommunalpolitiker, der Landrat, der Regierungspräsident der damaligen Rheinprovinz und Generalleutnant von Lindenau aus Trier. In Reden besonders gelobt wurde die Lage des über 5 Morgen großen Grundstückes an dem „Gebirgsflüsschen Lieser, die staubfreie Luft und die vielen Wiesen, die zum Wandern und Freiluftspielen einladen.“ Dann wird noch hervorgehoben, dass sich auf dem Grundstück selbst eine starke „Stahlquelle befindet, die bestes Tafelwasser liefert und wegen seines hohen Mineraliengehaltes gesundheitsfördernd ist und der Bleichsucht, der Blutarmut und den Berufskrankheiten vorbeugt.“

Ein enorm fortschrittlicher Gedanke zur damaligen Zeit. Mit den Inhabern der Badeanstalt am Gemündener Maar wurde ein Abkommen getroffen, „wonach die Pfleglinge auch in den kristallklaren Wellen des waldumsäumten Bergsees unentgeltlich baden und Schwimmübungen betreiben können.“ Ein Dauner Arzt hielt mehrmals in der Woche Sprechstunde, verordnete Kuren und bestimmte mit die Dauer des Erholungsurlaubes. Dieser betrug in der Regel zehn Tage. In diesem Erholungsheim standen 22 Zimmer mit je zwei Betten und vier Zimmer mit je einem Bett zur Verfügung. So konnten sich also während der Sommerzeit bis zu 700 Personen erholen, was damals rund einem Fünftel der Gesamtzahl des bei der Firma beschäftigten weiblichen Personals bedeutete.

Nach dem Tod von Leonhard Tietz im Jahr 1914 führte sein Sohn Alfred Leonhard das Geschäft weiter. Das Unternehmen wuchs und beschäftigte Anfang der 1930er Jahre etwa 15.000 Mitarbeiter an 43 Standorten. Dann kam die Nazizeit. Die Firma, die sich seit 1936 „Westdeutscher Kaufhof“ nannte, hatte unter der Regierung Repressionen zu erleiden. Die jüdische Familie Tietz emigrierte. Auch Max Grünbaum, zwischenzeitlich Konsul und Gründer des Kohlensäurewerkes „Dauner Burgbrunnen GmbH“ musste als Bürger jüdischen Glaubens vor dem Naziterror flüchten.

Für das Dauner Erholungsheim bedeutete es das vorläufige Aus. Es wurde verkauft an die „Deutschen Gesellschaft für Kaufmanns-Erholungsheime“ mit Sitz in Wiesbaden, um kaufmännischen Angestellten einen preisgünstigen Erholungsurlaub zu ermöglichen. Seit dieser Zeit wurde es „Kaufmanns-Erholungsheim“ genannt.

Während der Kriegsjahre dienten die Räumlichkeiten als Lazarett, und nach Ende des Krieges wurde im Sommer 1947 bis Sommer 1948 ein „Pädagogium“ eingerichtet, in dem Volksschullehrer ausgebildet wurden. Danach wurde es erneut durch die Wiesbadener Erholungsgesellschaft genutzt, von der dann 1972 die Stadt Daun die Gesamtanlage erwarb, um sie noch im gleichen Jahr an Privat weiter zu verkaufen. Die Gebäulichkeiten wurden dann zum „Parkhotel Liesertal“ umgebaut. Bis heute wechselte das ehemalige „Erholungsheim“ noch mehrmals Besitzer und Pächter, bis es seit 1993 unter dem Aktuellen Namen „Anna Maria“ geleitet wird.

Dann brach am Sonntag, dem 21.10.2007 ein Großbrand aus, richtete einen Millionenschaden an, vernichtete Hotel und angrenzende Gebäulichkeiten. Seitdem steht das Anwesen leer, wartet auf neue Nutzung. Auch wenn der heutige Anblick in der einstigen parkähnlichen Anlage im Liesertal unschön ist, künden aber noch immer die übrigen rotbraunen Gebäude in ihrem nordischen Blockhausstil von den hehren und sozialen Ideen des Kaufmanns Tietz.

© Alois Mayer, Daun

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