Kinder der Eifel – aus anderer Zeit

Ernst Landsberg – Rechtshistoriker aus Stolberg

In auffälligem Gegensatz zur fundamentalen Bedeutung, die Recht auch im Leben früherer Generationen spielte, steht die geringe Bekanntheit derjenigen Gelehrten, die sich wissenschaftlich mit Rechtsgeschichte beschäftigen. Dies gilt sogar für den Juristen Ernst Landsberg, der zu Lebzeiten immerhin als „Geschichtsschreiber der deutschen Rechtswissenschaft“ (Otto von Gierke) gewürdigt worden war.

Ernst Landsburg kam 1860 in Stolberg als Kind einer jüdischen Familie zur Welt und wuchs in einem materiell und intellektuell privilegierten, großbürgerlichen Umfeld auf. Beide Eltern entstammten namhaften jüdischen Bankiers- und Gelehrtenfamilien (Bamberger, Dernburg, Bischoffsheim). Ernsts Vater, der rheinhessische Ingenieur und Fabrikant Elias Landsberg, war aus beruflichen Gründen in die Westeifel gekommen. Er wurde zuerst Hüttendirektor, später Generaldirektor der zinkproduzierenden Stolberger Hütte und trug maßgeblich dazu bei, dass das sanierungsbedürftige Unternehmen wirtschaftlich wieder Fuß fasste. Ernsts Mutter Clara Bamberger war eine Nichte des Mainzer Bankiers Ludwig Bamberger, der als Mitgründer von Deutscher Bank und Reichsbank sowie als liberaler Politiker zu den prägenden Persönlichkeiten des Kaiserreichs gehörte.

Die Familie Landsberg zog 1867 nach Aachen, wo Ernst nach vorherigem Privatunterricht sehr früh das Kaiser-Karl-Gymnasium besuchte. Die Tatsache, dass er dort bereits mit 15 Jahren Abitur machte, lässt auf hervorragende Schulleistungen schließen. Im Herbst 1876 schrieb sich der gerade erst 16-Jährige zum Jurastudium an der Universität Bonn ein. Bereits 1879 promovierte er zu einem rechtshistorischen Thema. 1883 veröffentlichte er 23-jährig die fast 400-seitige rechts- und dogmengeschichtliche Schrift „Die Glosse des Accursius und ihre Lehre vom Eigentum“. Erklärter Zweck der Studie war es, am Beispiel der Lehre vom Eigentum „Form, Geist und Theorie der Leistungen der Glossatoren“ zu erkennen – also derjenigen oberitalienischen Juristen des Hochmittelalters, die für die Rezeption des römischen Rechts von wegweisender Bedeutung wurden. Das Buch widmete Landsberg seinem Bonner akademischen Lehrer, dem kurz zuvor verstorbenen Rechtshistoriker Roderich von Stintzing, den er als „allzeit fördernden Meister, sichern Berater und väterlich gütigen Freund“ würdigte. Landsberg selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits habilitiert und Privatdozent des römischen Rechts in Bonn, ab 1885 durfte er auch Strafrechtsvorlesungen halten. Am 20. Juni 1887 erhielt er mit königlichem Patent die Ernennung zum außerordentlichen Professor. Ordinarius in Bonn wurde er jedoch erst 1899, wobei die lange Zwischenspanne wohl damit zusammenhing, dass Landsberg Jude war. Auch wenn seine Distanz zur jüdischen Religion recht groß war und er seine Kinder evangelisch taufen ließ, so blieb er von antijüdischen Vorbehalten nicht verschont.   

Landsberg wissenschaftliche Hauptleistung war die Fortsetzung einer umfassenden und sehr materialreichen „Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft“, die Stintzing begonnen hatte und Landsberg zur Vollendung brachte. „Das enorme Vorhaben, die Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft von etwa 1700 bis zur Reichsgründung von 1871 zu schreiben“ (Gerhard Dilcher), nahm Landsberg jahrzehntelang in Anspruch. Ein anderes Projekt, an dem er ebenfalls viele Jahre mitwirkte, war seine Mitarbeit an der „Allgemeinen Deutschen Biographie“. Zu diesem immer noch beachtenswerten Nachschlagewerk über historisch bedeutende Deutsche trug er ab 1887 fast hundert Beiträge unterschiedlicher Länge bei, meist zu Juristen und Philosophen. Zu den umfangreicheren gehört der Lexikon-Essay über Stintzing, in dem Landsberg – wie auch sonst öfters – sich nicht scheute, sehr subjektiv gefärbte Beurteilungen einzubringen.            

Ernst Landsberg ist zwar überwiegend als Rechtshistoriker bekannt, aber er äußerte sich vielfach auch zu anderen Rechtsbereichen, wie Volker Siebels 2011 in seiner Dissertation über Landsberg dokumentierte. In vielen Publikationen griff Landsberg, der in Bonn auch Stadtverordneter war und dort „in einem palastartigen Haus“ (so sein späterer Kollege Carl Schmitt) wohnte, in rechtspolitische Diskussionen ein und äußerte sich zu juristischen Grundsatzfragen. Dabei machte der von Kant geprägte Rechtspositivist Landsberg aus seiner Ablehnung des Naturrechts kein Hehl. Unter dem Eindruck der Weltkriegsjahre modifizierte er allerdings – nach Darstellung von H.-P. Haferkamp – manche seiner Positionen aus der Vorkriegszeit.

Ernst Landsberg hatte 1896 die 18-jährige jüdische Fabrikantentochter Anna Silverberg geheiratet, Schwester des späteren Braunkohle-Industriellen und Wirtschaftsführers Paul Silverberg. Ihr gemeinsamer Sohn Erich Landsberg fiel im 1. Weltkrieg in der Schlacht an der Somme, der jüngere Sohn und habilitierte Philosoph Paul Ludwig Landsberg emigrierte in der NS-Zeit nach Frankreich, wurde dort 1943 verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert, wo er 1944 umkam. Seine Mutter hatte sich aus Verzweiflung über das NS-Regime bereits 1938, elf Jahre nach dem Tod ihres Ehemanns Ernst Landsberg, in Bonn das Leben genommen.  

Verfasser: Gregor Brand

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