Lewentz: Pandemie hat Gefahren für Innere Sicherheit hervorgerufen

Innenminister Roger Lewentz und der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz, Elmar May (Foto: MdI RLP)

Der demokratische Verfassungsstaat sieht sich seit Beginn der Corona-Pandemie vielen, darunter auch neuen extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bedrohungen ausgesetzt. Diese Bedrohungen und ihre Wegbereitung prägten die Arbeit des Verfassungsschutzes im vergangenen Jahr. Darüber hinaus blieben der Rechtsextremismus und der Islamismus die größten Herausforderungen.

„Die Corona-Pandemie beeinflusste 2020 nicht nur nachhaltig das gesellschaftliche Leben in Deutschland, sie hat auch vielfältige Gefahren für die Innere Sicherheit und die Demokratie hervorgerufen“, sagte Innenminister Roger Lewentz bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2020. Die Herausforderungen für den Staat und die Gesellschaft insgesamt, aber eben auch für den Verfassungsschutz im Konkreten seien spürbar gewachsen.

Vor allem Rechtsextremisten und Angehörige des „Reichsbürger“-Spektrums sahen in der Krise eine Chance, öffentliche Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu instrumentalisieren, um Anschluss an die gesellschaftliche Mitte zu finden. Zumindest bei Teilen der heterogenen Protestszene, die keine Berührungsängste zu den Rechtsextremisten zeigten, ist ihnen das auch gelungen. Das rechtsextremistische Personenpotenzial ist in Rheinland-Pfalz mit rund 730 in 2020 (2019: 735) nahezu konstant geblieben. Gleich geblieben ist mit etwa 150 Personen auch der Anteil gewaltorientierter Rechtsextremisten am Gesamtpotenzial.

In der Statistik über die politisch motivierte Kriminalität sticht der Phänomenbereich -rechts – bundesweit mit der deutlich höchsten Zahl an Straf- und Gewalttaten hervor. In Rheinland-Pfalz stieg die Zahl der Straftaten gegenüber 2019 von 640 auf 759 im Jahr 2020 und die der darin enthaltenen Gewalttaten von 35 auf 54.

 

Die Aufklärungsarbeit der im August 2019 eingerichteten Taskforce „Gewaltaufrufe rechts“ hat 2020 einen wichtigen Beitrag geleistet. Zwischen August 2019 und Dezember 2020 konnten in annähernd 100 Fällen bislang unbekannte rechtsextremistische Strukturen, Akteure und Radikalisierungsphänomene aufgedeckt und mehr als 300 Fälle bereits bekannten Strukturen zugeordnet werden. „Die Einrichtung der Taskforce geschah zum richtigen Zeitpunkt“, sah sich Lewentz bestätigt.

Das „Reichsbürger“-Spektrum einschließlich der sogenannten Selbstverwalter hat in Rheinland-Pfalz wie auch bundesweit 2020 einen Zuwachs verzeichnet. Mittlerweile gehörten ihm im Land rund 700 Personen an (2019: ca. 650), darunter etwa 100 gewaltorientierte (2019: ca. 95).

Im Windschatten der Proteste hat sich zudem eine neue extremistische Erscheinungsform gebildet, die keinem der bekannten weltanschaulichen Muster zugerechnet werden kann und deren Protagonisten eine ausgeprägte Demokratieverachtung verbindet. Das Auftreten dieser Kreise ist im Laufe des Jahres 2020 spürbar aggressiver geworden, wie mehrere Demonstrationen im Bundesgebiet dokumentierten.

Erhebliche Gefahren für die politisch-demokratische Ordnung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gingen zudem von Desinformationskampagnen und Cyberangriffen fremder Nachrichtendienste aus. Sie betrieben Destabilisierung und Know-how-Diebstahl im staatlichen Auftrag.

Der Blick des Verfassungsschutzes richtet sich bei den jüngsten Entwicklungen insbesondere auf zwei wesentliche Gefahrenherde: das verstärkte Aufkeimen des Antisemitismus und das Verbreiten von Verschwörungstheorien. Damit einher gingen vielerlei Falschinformationen sowie massive Verunglimpfungen des demokratischen Systems sowie der Repräsentantinnen und Repräsentanten. Beide Phänomene zeigten sich in einem stetig zunehmenden Ausmaß in den sozialen Medien, aber auch auf der Straße, wie die Corona-Proteste 2020 belegten. Ihre potenziell zerstörerische Wirkung darf nicht unterschätzt werden. „Von der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Fake News geht die Gefahr aus, dass durch dieses Tun der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Demokratie auf lange Sicht ernsthaft Schaden nehmen, sofern dieser Gefahr nicht konsequent begegnet wird“, so Lewentz. Antisemitismus, Verschwörungsdenken und antidemokratische Hetze dürften sich nicht entfalten, ihr Nährboden müsse „ausgetrocknet“ werden. In diesem Zusammenhang seien auch die antijüdischen und israelfeindlichen Ausfälle bei Demonstrationen anlässlich des jüngst wiederaufgeflammten Konflikts im Nahen Osten unerträglich und beschämend. Sie gelte es mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen.

Auch die Bedrohung der Inneren Sicherheit durch den Islamismus und den islamistischen Terrorismus setze sich unvermindert fort. Dies habe sich 2020 unter anderem am neu entbrannten Streit um die Muhammad-Karikaturen und der in diesem Zusammenhang mit äußerster Brutalität durchgeführten Terroranschläge in Frankreich gezeigt sowie auch an weiteren islamistisch motivierten Anschlägen wie in Österreich am 2. November 2020. Der Messerangriff eines Islamisten am 4. Oktober 2020 in Dresden gegen ein homosexuelles Paar, der ein Menschenleben forderte, zeige, wie stark der Faktor Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit unter Islamisten ausgeprägt sei. Unter den gleichbleibend rund 650 Islamisten in Rheinland-Pfalz gebe es konstant ca. 65 gewaltorientierte, der jihadistischen Szene zuzurechnende Personen. Auf dem Niveau von 2019 bewege sich mit etwa 230 Anhängern die salafistische Szene, die eine besonders kompromisslose Haltung vertrete.

„Angesichts der Erkenntnisse kann man von einer ernst zu nehmenden Belastungsprobe für die Demokratie und unsere Innere Sicherheit sprechen“, bilanzierte Lewentz. Es gelte für alle Demokratinnen und Demokraten, dem standzuhalten und den Gefahren zu trotzen.

 

Hier können Sie den aktuellen Verfassungsschutzbericht 2020 herunterladen.

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