Rechtsstreit vor VG Frankfurt wegen Brennelemente-Export

– Bundesamt BAFA vertritt wechselnde Rechtsauffassungen

– ANF dringt auf Sofortvollzug – Entscheidung diese Woche?

Die Klage eines Aachener Atomkraftgegners gegen die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im März erteilte Exportgenehmigung für Brennelemente zu den belgischen Pannenmeilern Doel 1 und 2 lässt den Betreiber der Brennelementefabrik – die EDF-Tochter Framatome/ANF – seltsame Haken schlagen: In einem eigenen Antrag fordern die ANF-Anwälte nun ebenfalls vom BAFA die sofortige Vollziehbarkeit der Exportgenehmigung. Angeblich sei die Klage des Aacheners unzulässig und die aufschiebende Wirkung damit hinfällig. Außerdem dränge die Zeit, ein Teil der Brennelemente müsse spätestens in der 43. Kalenderwoche geliefert werden, sonst drohe eine Betriebsunterbrechung mit angeblich gravierenden Folgen. Das geht aus aktuellen Schreiben der ANF-Anwälte an das Verwaltungsgericht hervor.

Die Reaktion des Bundesamtes auf den ANF-Antrag erstaunt noch mehr: Während das BAFA die aufschiebende Wirkung des vorangegangenen Widerspruchs noch bejaht hatte, sprach es Anfang letzter Woche dem Kläger jegliche Klagebefugnis ab. Am vergangenen Freitag änderte das Bundesamt plötzlich wieder seine Meinung und bittet nunmehr das Verwaltungsgericht um eine Klärung. Grund dafür sei u. a., dass die betroffenen Rechtsfragen bislang in keinem anderen Verfahren rechtskräftig geklärt worden seien.

Wie aus den Schriftsätzen hervorgeht, hatten die ANF-Anwälte tags zuvor das BAFA telefonisch gebeten, auf eine Gerichtsentscheidung hinzuwirken. Die ANF fürchtet nämlich, bei einem Export, der nicht vom Gericht abgesegnet ist, könnten Atomkraftgegner Strafanzeige stellen.

ANF und BAFA lassen Atomgesetz und AKW-Risiko außer Acht

Über die Gefährlichkeit der belieferten Atomreaktoren in Doel wollen weder die ANF noch das BAFA bislang sprechen. Diese ist aber der Hauptgrund für die Klage aus Aachen. Zudem soll nach Ansicht von ANF und BAFA die Beweislast für die Gefährlichkeit der AKW allein dem Kläger aufgebürdet werden – eine schwierige Rechtsposition. Die Anwältin des Aachener Klägers, Dr. Cornelia Ziehm, reichte dazu am 8. Oktober einen weiteren detaillierten Schriftsatz beim Verwaltungsgericht ein. Darin führt sie aus, dass BAFA und ANF die strengen Schutzmaßstäbe des Atomgesetzes außer Acht lassen. Die Klage sei sehr wohl zulässig, zumal Doel 1 und 2 ungewöhnlich störanfällig und für einen Betrieb über 40 Jahre hinaus nicht ausgelegt sind. Damit werde ihr Mandant einem unzumutbaren Risiko ausgesetzt. Ziehm stellt außerdem klar, dass die Brennelemente in Doel frühstens zur nächsten Revision im März 2021 gebraucht würden, eine sofortige Vollziehung sei schon aus diesem Grund nicht notwendig.

Eine gerichtliche Entscheidung fällt vielleicht noch in dieser Woche.”Das plötzliche Tauziehen vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt zeigt, auf welch dünnem juristischem Eis die Brennelementexporte aus Lingen bislang stehen. Das Bundesumweltministerium wie auch das Wirtschaftsministerium müssen das BAFA anweisen, keine Brennelementexporte zu den Pannenmeilern zuzulassen, denn deren Einsatz kann für die Nachbarländer katastrophale Folgen haben. Die Schutzmaßstäbe des Atomgesetzes müssen beachtet werden,” so Katrin Wolfarth vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie. Industriefreundliche Genehmigungspraxis muss aufhören!

“Uns alarmiert, dass der Brennelementehersteller EDF-Framatome/ANF es augenscheinlich gewohnt ist, einfach beim zuständigen Bundesamt BAFA anzurufen, um seine Rechtspositionen und Wunschvorstellungen durchzusetzen und das BAFA sofort darauf reagiert. Die jetzige industriefreundliche Genehmigungspraxis beim BAFA ist nicht länger hinnehmbar,” so Alexander Vent vom Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland. Gegen die für die betreffende Brennelement-Charge ebenfalls bereits erteilte Transportgenehmigung des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) wurde Anfang August ebenfalls ein Widerspruch eingelegt. Der Sofortvollzug wurde beantragt, darüber bislang aber nicht beschieden.

Hintergründe:

Der Betrieb von Doel 1 und 2 ist nach Urteilen des EuGH und des belgischen Verfassungsgerichtshofs wegen einer fehlenden grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) rechtswidrig, wird aber bis Ende 2022 gerichtlich noch geduldet, um die UVP nachzuholen. Das Verfahren dazu begann im August. Aus Deutschland beteiligen sich u. a. die Bundesländer NRW und Rheinland-Pfalz sowie mehrere Anti-Atomkraft-Initiativen.

Die bundesweit einzige Brennelementefabrik steht in Lingen und wird von Framatome, einer Tochter des staatlich-französischen Atomkonzerns EDF betrieben, vor Ort auch als ANF (Advanced Nuclear Fuels) bekannt. Die Brennelementefabrik verfügt bislang trotz des beschlossenen deutschen Atomausstiegs über kein Stilllegungsdatum und versorgt neben den letzten noch laufenden deutschen AKW vor allem die Reaktoren Doel und Tihange in Belgien, Cattenom in Frankreich sowie Leibstadt und Gösgen in der Schweiz. Die Auslastung der Lingener Atomanlage lag nach Aussagen der Bundesregierung auf Anfragen im Bundestag seit Fukushima im Durchschnitt nur bei 40-45%. Dieses Jahr ist sie auf einen Tiefpunkt gesunken, ein weiterer Sinkflug ist zu erwarten.

Spätestens mit der Stilllegung des letzten deutschen Atomkraftwerks Ende 2022 wird die Brennelementefabrik nur noch für den Export aktiv sein. Aktuell regt sich auch in Baden-Württemberg juristischer Widerspruch gegen eine im September erteilte neue Exportgenehmigung für Brennelemente von Lingen für das Schweizer AKW Leibstadt.

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