Martin Suter und das Geheimnis der langen Liebe

Zürich (dpa) – Der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter (75) setzt sich in seinem neuen Buch «Melody» (erscheint am 22. März) mit der lebenslangen Wehmut nach einer verschwundenen Liebe auseinander. Selbst hat er ein besseres Händchen als seine Hauptfigur: er ist seit fast 45 Jahren mit seiner Frau Margrith zusammen. Weiterlesen

«Liebes Arschloch»: Virginie Despentes ganz zivil

Von Sibylle Peine, dpa

Berlin (dpa) – Der Briefroman, scheinbar ein Relikt vergangener Zeiten, erlebt gerade seine Wiederauferstehung als zeitgemäßer Social-Media-Roman. So beim aktuellen Bestseller «Zwischen Welten» von Juli Zeh und Simon Urban, in dem sich zwei alte Studienfreunde einen heftigen Schlagabtausch mittels E-Mails und WhatsApp-Nachrichten liefern.

Im neuen Roman «Liebes Arschloch» der französischen Schriftstellerin Virginie Despentes wiederum sind es ein Schriftsteller, eine Schauspielerin und eine junge feministische Bloggerin, die sich in Instagram-Posts zu allen möglichen gesellschaftlichen Reizthemen fetzen.

Da die Social-Media-Kanäle geradezu berüchtigt sind für ihren wüsten Sprachfuror, scheint die Eskalation vorprogrammiert. Doch überraschenderweise schlägt Despentes, das «enfant terrible» der französischen Literatur, bekannt für ihre Kompromisslosigkeit und Unerschrockenheit, in ihrem neuen Roman ungewohnt versöhnliche Töne an. Statt Hass und Wut regieren am Ende Verständnis und Freundschaft zwischen den so unterschiedlichen Protagonisten. Ein zivilisierter Umgang, so die Botschaft, scheint auch im digitalen Zeitalter durchaus machbar.

Bei Insta fliegen die Fetzen

Am Anfang allerdings geht es heftig zur Sache. Oscar, ein aus einfachen Verhältnissen stammender Schriftsteller, hat sich einen gewissen Ruhm erarbeitet. Bis zu dem Tag, da die Bloggerin Zoé eine MeToo-Kampagne gegen ihn lostritt, nachdem sie von Oscar gestalkt wurde. Der wiederum zeigt sich genau als das uneinsichtige «Arschloch», das sie anprangert. Er tritt nicht nur gegenüber Zoé nach, sondern beleidigt auf seinem Instagram-Account auch noch die Schauspielerin Rebecca Latté. Diese einst von ihm verehrte Schönheit sei «heute zu einer Schlampe verkommen. Nicht nur alt. Sie ist auch auseinandergegangen, verlebt, schlechte Haut, ein schmuddeliges, lautes Weibsstück. Eine einzige Katastrophe.»

Doch die «Schlampe» zahlt es ihm in gleicher Münze heim. «Liebes Arschloch», schreibt sie, «ich habe deinen Beitrag auf Insta gesehen. Du bist wie eine Taube, die mir im Vorbeifliegen auf die Schulter kackt. Das ist dreckig und sehr unangenehm. Fiep, fiep, fiep, ich bin ein kleiner Angsthase, für den sich niemand interessiert, und winsle wie ein Chihuahua, weil ich davon träume, dass man mich bemerkt. Ruhm den sozialen Netzwerken.»

Natürlich kommt Despentes’ Roman als ein recht verspäteter Beitrag zur MeToo-Debatte. Schließlich war der Weinstein-Skandal schon im Jahr 2017. Allerdings muss man sagen, dass diese Debatte Frankreich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung erreichte. Despentes trifft in ihrer Heimat auch einen Nerv, weil sie ihren Roman im Künstler- und Medienmilieu ansiedelt. Genau dort waren in den vergangenen Jahren die heftigsten MeToo-Skandale offenbar geworden, so wurde der langjährige Star-Fernsehmoderator Patrick Poivre d’Arvor von Frauen beschuldigt, sie belästigt und vergewaltigt zu haben. Das Thema treibt die französische Gesellschaft immer noch um.

Es geht auch um das Altern und Corona

Allerdings ist MeToo nur eines von mehreren gesellschaftlich relevanten Themen, die der Roman anreißt. Es geht sehr stark auch um verschiedene Süchte – bei Oscar ist es der Alkohol, bei Rebecca das Heroin, es geht um das Altern im Filmgeschäft und nicht zuletzt auch um Corona, denn die Geschichte ist in der Zeit der Lockdowns angesiedelt.

Aus der anfänglichen digitalen Pöbelei wird mit der Zeit Nachsicht. Oscar, das «liebe Arschloch», zeigt sich reumütig und einsichtig. Er bittet Zoé schließlich sogar um Vergebung. Beide, Oscar und Rebecca, stellen sich am Ende auch ihren Süchten.

Ist das zu viel der Harmonie? Vielleicht. Aber die Entwicklung der Figuren ist Virginie Despentes durchaus überzeugend gelungen, wie es ihr überhaupt leicht fällt, in die so unterschiedlichen Rollen zu schlüpfen. Das Buch kommt mal ruppig und motzig, dann wieder fast weich und verständnisvoll daher, immer aber unterhaltsam.

Virginie Despentes: Liebes Arschloch, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 336 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-462-00499-1

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«Ernährungskompass»-Autor Bas Kast gelingt neuer Bestseller

München (dpa) – Der in Landau geborene und in Berlin lebende Autor und Wissenschaftsjournalist Bas Kast (50) hat einen neuen Bestseller gelandet. Aus dem Stand habe es das am 1. März erschienene Buch «Kompass für die Seele» an die Spitze der «Spiegel»-Bestsellerliste vom kommenden Samstag geschafft, teilte die Verlagsgruppe Penguin Random House am Mittwoch in München mit. Den Durchbruch auf dem Buchmarkt hatte Kast 2018: «Der Ernährungskompass» verkaufte sich laut Verlag in den vergangenen fünf Jahren mehr als eine eine Million mal und wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Weiterlesen

Lindgren-Preis für Jugendbuchautorin Anderson

Stockholm (dpa) – Die amerikanische Jugendbuchautorin Laurie Halse Anderson wird in diesem Jahr mit dem Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet. Das gab die zuständige Preisjury am Dienstag in Stockholm bekannt. Die 1961 im US-Staat New York geborene Anderson sei eine der führenden Autorinnen Amerikas für junge Erwachsene, in ihren ausdrucksstarken Romanen bringe sie Erfahrungen von Heranwachsenden mit manchmal brutaler Ehrlichkeit zum Ausdruck, würdigte die Jury. Die Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit sei ein wiederkehrendes Thema ihrer Werke.

Der von der schwedischen Regierung gestiftete Astrid Lindgren Memorial Award – oft einfach als Alma abgekürzt – gilt mit einem Preisgeld in Höhe von fünf Millionen schwedischen Kronen (knapp 450 000 Euro) als weltweit höchstdotierte Auszeichnung für Kinder- und Jugendliteratur. Im vergangenen Jahr war er an die schwedische Illustratorin und Autorin Eva Lindström gegangen und somit im Heimatland der großen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren («Pippi Langstrumpf») geblieben – nun geht er erstmals seit 2018 wieder über den Großen Teich. Weiterlesen

Diskussion um Änderungen an den «James Bond»-Romanen

London (dpa) – Die «James Bond»-Romane des britischen Autors Ian Fleming sollen zum 70. Jubiläum der Buchreihe in einer Neuauflage erscheinen, in der Begriffe und Referenzen, die heutzutage als anstößig empfunden werden könnten, entfernt und geändert wurden. Das bestätigte das Unternehmen Ian Fleming Publications, das sich im Besitz von Flemings Nachfahren befindet und die Rechte an den Romanen und Kurzgeschichten über den Geheimagenten 007 verwaltet. Zuvor hatte der «Telegraph» über die umstrittenen Anpassungen berichtet.

Umgang mit rassistischen Wörtern

«Einige rassistische Wörter, die jetzt wahrscheinlich großen Anstoß erregen», habe man geändert, gab Ian Fleming Publications (IFP) bekannt, «wobei so nah wie möglich am Originaltext und der Zeit festgehalten wurde.» Die Bücher der Neuauflage sollen zudem den Warnhinweis enthalten, dass die Romane in einer Zeit geschrieben wurden, als manche Begriffe und Einstellungen alltäglich waren, die heutzutage als problematisch empfunden werden könnten. Weiterlesen

Buchpremiere: Wolfgang Berghofer «Zwischen Wut und Verzweiflung»

Wolfgang Berghofer gehört zu den bekanntesten Akteuren der Wende in der DDR. Zu seinem 80. Geburtstag zieht er Bilanz. Die Politik der Bundesregierung gegenüber Russland hält er für falsch.

Umweltzerstörung, Energiekrise, Bildungsmisere, Krieg, Armut, Überproduktion und Profitgier: Der Publizist und Ex-Politiker Wolfgang Berghofer sieht die Welt am Abgrund und ohne entschlossenen Kurswechsel kaum Chancen für eine friedvolle Zukunft. «Die Konflikte, die vor allem ein Resultat unserer Produktionsweise sind, nehmen zu. Der liberale Kapitalismus nähert sich seinen Grenzen. Wenn er nicht reformiert wird, zerstören wir unsere Lebensgrundlagen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Man könne nicht auf Teufel komm raus immer nur Wachstum propagieren und die Natur zerstören. Das sei zwar seit langem bekannt, aber nie so deutlich sichtbar wie heute.

Berghofer war von 1986 bis 1990 Oberbürgermeister von Dresden und zählt zu den bekanntesten Politikern der Wende in der DDR. Am vergangenen Samstag hatte er seinen 80. Geburtstag gefeiert. Weiterlesen

Buchprojekt mit Vorlesegeschichten aus Ukraine ist gefragt

Frankfurt/Main (dpa) – Der Krieg in der Ukraine hat Tausende Familien auseinandergerissen: Vor allem Frauen mit Kindern flohen seit dem 24. Februar 2022 in die Nachbarländer. Sie mussten sich nicht nur ein neues Leben in einem anderen Land aufbauen, sondern um die zurückgebliebenen Männer, Väter, Brüder bangen, die häufig in der ukrainischen Armee kämpfen.

Ein Projekt, das getrennten Familien vor allem mit kleinen Kindern eine Verbindung erhalten soll, wurde im vergangenen Oktober auf der Frankfurter Buchmesse gestartet. Die Schirmherrschaft dafür haben die First Ladies Deutschlands und der Ukraine inne, Elke Büdenbender und Olena Selenska. Weiterlesen

Leipziger Buchmesse will politisches Zeichen setzen

Leipzig (dpa) – Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse (27. bis 30. April) sollen Leser, Autoren und Verlage ins Gespräch zu gesellschaftlich relevanten Themen kommen. In einer Buchbar soll über Themen, nicht nur über einzelne Bücher, gesprochen werden, sagte Buchmesse-Chef Oliver Zille bei der Vorstellung des Buchmesse-Programms heute in Leipzig.

Als ein weiteres neues Format werde es ein Forum Offene Gesellschaft geben, womit die Messe in diesem Jahr ein deutliches Zeichen gegen Hass setzen wolle, so Zille: «Denn Hass, Rassismus und Ausgrenzung hat sich in der Vergangenheit auch gegen Protagonisten der Branche gerichtet.» Weiterlesen

Das Blockbuster-Projekt «Der Schwarm» im ZDF

Von Christof Bock, dpa

Kiel/Berlin (dpa) – Tödliche Attacken von Walen, Beben durch Meereswürmer und eine mörderische Invasion von augenlosen Krabben: «Der Schwarm» zeigt in großen Bildern und starken Kamerafahrten eine Rache der geschundenen Natur. Mehr als 40 Millionen Euro hat das ZDF sich diese Blockbuster-Serie kosten lassen, damit hat der Sender den bisherigen deutschen Rekord von «Babylon Berlin» geknackt.

Von diesem Mittwoch an ist die Verfilmung des Bestsellers von Frank Schätzing in der ZDF-Mediathek mit den ersten drei von acht Teilen verfügbar. Am 6. März läuft «Der Schwarm» dann klassisch um 20.15 Uhr im ZDF an.

«Es pilchert mehr, als es schwärmt.»

«Der Schwarm» zeigt, wie immer mehr Meeres- und Küstenregionen in Kanada, Peru, Südfrankreich, Skandinavien und anderen Teilen der Erde zum Schauplatz mysteriöser Naturereignisse werden. Diese haben für die Menschen vor Ort meist schreckliche Folgen – vom Schiffbruch bis zum vergifteten Trinkwasser. Nach einer langen, recht ruhigen Anlaufphase geht es in der Serie mit den Attacken der Natur Schlag auf Schlag. Meereswissenschaftler rund um den Erdball versuchen verzweifelt zu begreifen, was da vor sich geht, und die Bedrohung einzudämmen. Unter anderem vom norddeutschen Kiel aus beginnen sie ihre Untersuchungen.

Dass den Heldinnen und Helden dazwischen auch Zeit fürs Flirten bleibt, ist zwar ein klassischer Bestandteil erfolgreicher TV-Stoffe. Schätzing stieß diese Änderung allerdings übel auf. Im Interview der Wochenzeitung «Die Zeit» zog er einen Vergleich zur ZDF-Romantikreihe «Rosamunde Pilcher» heran: «Es pilchert mehr, als es schwärmt.»

«High-End-Produktion»: ZDF weist Kritik zurück

Schätzings Kern-Kritik an der Serie: «Dass sie unter ihren Möglichkeiten bleibt. Manches ist kinoreif, anderes rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV.» Das ZDF erschien von dieser Schelte wenig erfreut: «Das Publikum kann sich in einigen Tagen selbst einen Eindruck von der Qualität der internationalen High-End-Produktion machen.» Der Sender ergänzte: «Aus unserer Sicht ist “Der Schwarm” eine sehr gelungene und zeitgemäße Adaption des Romans aus dem Jahr 2004.» Verfilmungen von literarischen Stoffen unterschieden sich in Erzählform und Dramaturgie immer und erheblich vom Buch, so das ZDF.

Schätzing hatte mit dem 1000-Seiten-Opus im Jahr 2004 einen Roman vorgelegt, der bis heute zu den erfolgreichsten Büchern zählt, die jemals in Deutschland geschrieben worden sind. Als «Öko-Thriller» wollte der Schriftsteller den «Schwarm» dabei nie verstanden wissen.

Und vielleicht ist das genau der Unterschied zu der Verfilmung: Während der Kölner Autor seinen Roman mit etlichen wissenschaftlichen Fakten und Ausführungen veredelte, überwältigt die Verfilmung das Publikum vor allem mit kinoreifen Special Effects unter Wasser, deren Schrecken zuverlässig den Cliffhanger am Ende jeder Folge bilden.

Eine exzellente internationale Schauspieler-Riege – aus dem deutschsprachigen Raum unter anderen Barbara Sukowa, Oliver Masucci und Leonie Benesch – trägt die Hochglanz-Serie und dürfte die erfolgreiche Vermarktung im Ausland sehr erleichtern. Man muss jedoch als Zuschauer einiges an Konzentration mitbringen, um den Überblick über alle Figuren – und all die einzelnen, aber letztlich miteinander verflochtenen Handlungsstränge – zu behalten.

Der Produzent und Showrunner Frank Doelger erklärt seine Herangehensweise an das Projekt: «Für mich war entscheidend, dass ich mir die Serie als einen “Monsterfilm” vorstellte, in dem sich die Protagonisten bewusst sind, dass da draußen irgendetwas lauert, aber nicht genau wissen, was. Die Existenz des Monsters soll von Beginn an angedeutet, aber erst ganz am Ende offenbart werden. Ein Monsterfilm also, in dem wir feststellen, dass wir die Monster sind.»

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Frank Schätzing stößt sich an «Schwarm»-Verfilmung

Berlin (dpa) – Bestsellerautor Frank Schätzing ist unzufrieden mit der ZDF-Verfilmung seines Buches «Der Schwarm». Im Interview der Wochenzeitung «Die Zeit» sagte der 65-Jährige auf die Frage, was ihn an der Serie störe: «Dass sie unter ihren Möglichkeiten bleibt. Manches ist kinoreif, anderes rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV.» Schätzing zog einen Vergleich zur ZDF-Romantikfilmreihe Rosamunde Pilcher heran und sagte: «Es pilchert mehr, als es schwärmt.»

Schätzing sagte weiter: «Gute Schauspielerriege, aber unterfordert. Die globale Dimension der Bedrohung wird nicht spürbar, von Aktualität oder einer intelligenten Alien­Strategie ganz zu schweigen.» Weiterlesen

Clemens J. Setz erzählt von einem Exzentriker «Monde vor der Landung»

Von Taylan Gökalp, dpa

Berlin (dpa) – Die Mondlandung war eine Inszenierung aus Hollywood, die Corona-Pandemie eine Erfindung von Bill Gates. Elvis lebt heimlich weiter und Paul McCartney ist in Wirklichkeit schon seit Jahrzehnten tot. Verschwörungstheorien wie diese haben aberwitzig viele Anhänger, vor allem im Internet. Dass sie aber nicht erst seit der Erfindung von Facebook einen Reiz auf Menschen ausüben, kann man im neuesten Werk des Büchner-Preisträgers Clemens J. Setz (40, «Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes») nachlesen.

In dem Roman «Monde vor der Landung» gräbt der österreichische Autor die fast vergessene und wahre Geschichte von Peter Bender aus, einem hochbegabten, aber exzentrischen Träumer, der vor 100 Jahren in der rheinhessischen Lutherstadt Worms lebte. Die von Setz geschaffene literarische Version von Bender hält die Erde für eine Hohlkugel, gründet eine auf freier Liebe basierende Religionsgemeinschaft und gerät wegen «ketzerischer» Schriften regelmäßig in Konflikt mit den Behörden. Als die Nazis an die Macht kommen, sehen er, seine jüdische Ehefrau Charlotte und ihre beiden Kinder sich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt, die schließlich auf tragische Weise eskalieren.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Setz, der ein Faible für skurrile Gestalten und Alltagsbeobachtungen hat, verlässt für sein neuestes Buch die bisherigen Pfade des Verstörend-Kafkaesken und erprobt sich in dem für ihn ungewohnten Feld des historischen Romans. Auf über 500 Seiten gewährt er Leserinnen und Lesern einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt eines Menschen zwischen Genie und Wahnsinn, der in einer völlig anderen Realität lebt als seine Mitmenschen. Seinem Ruf als Ausnahmetalent der deutschsprachigen Literatur wird der vielfach preisgekrönte Schriftsteller auch in seinem neuesten Werk gerecht, was vor allem an der außergewöhnlich bildhaften Sprache deutlich wird. Jedoch zeigen sich hier und da auch kleinere Schwächen im Erzählfluss und in der nicht immer lückenlosen Figurenzeichnung.

Die Geschichte selbst lässt sich ohne Weiteres auf die heutige Zeit übertragen. Etwa das Streben der Hauptfigur danach, in einer von Krisen gebeutelten Gesellschaft eine möglichst große Gefolgschaft zu schaffen – oder wie man auf Neudeutsch sagen würde: Reichweite zu generieren. Der Roman ist deshalb nur auf den ersten Blick eine tragische Familiengeschichte am Vorabend des Holocausts. Denn vor allem lässt er sich als Parabel auf die Orientierungslosigkeit des Menschen lesen, der in jedem Zeitalter getrieben ist von der Suche nach charismatischen Erlöserfiguren.

– Clemens J. Setz, Monde vor der Landung, 528 Seiten, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-43109-2.

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