Fröhliches Flachsschwingen

Die Bäuerin war stolz, wenn selbsterarbeitetes Leinen die Truhen und Schränke des Hauses füllte, es war wahrlich der Reichtum! Mädchen stellten von klein an ihre Aussteuer selbst her, vom Stängel des Flachses bis zum fertigen Leinwand.

Färbte sich der Flachs auf den Eifelfeldern gelb, wusste man: Es ist die Zeit der Ernte. Die Pflanzen wurden einzeln ausgerupft, sodann getrocknet und die Fruchtkapseln abgestreift. Aus den Samen presste man das Leinöl, während man die reinen Flachsfasern, das eigentliche Spinngut, erst freilegen musste. Man breitete dazu den Flachs auf der Wiese aus und überließ ihn wochenlang dem Tau und dem Regen. Die eintretende Fäulnis ließ die Klebstoffe weichen, so dass die Fasern freigelegt wurden. Diese trocknete man im Backofen, brachte ihn auf die Breche, wo die morschen Holzteile abbrachen.

Um die noch anhaftenden kleinen Holzrückstände und Hautreste zu entfernen, war das Schwingen notwendig. Das Schwingen wurde von den Mädchen und Mägden in Gemeinschaftsarbeit ausgeführt, damit die langwierige Arbeit besser von der Hand ging. So waren es meist Gruppen von sechs bis acht Schwingerinnen, die mit ihren Geräten antraten. Dazu waren sie fast vollständig vermummt, um gegen den Staub geschützt zu sein. Zumeist ergab sich bereits hieraus eine fröhliche Stimmung, und wenn der morgendliche Kaffee die Arbeit eröffnete, war  eine gute Voraussetzung für die monotone Arbeit gewährleistet.

Der in der Scheune bereitliegende, zuvor etwas erwärmte Flachs konnte nun bearbeitet werden. Dazu bedienten sich die Schwingerinnen eines Schwingstocks und eines Schwertes. Der Stock bestand aus zwei Brettern. In das Bodenbrett war ein senkrecht nach oben führendes Brett eingelassen, das am oberen Ende eine Ausbuchtung besaß. Die Mädchen und Mägde saßen auf Stühlen, die Füße auf das Bodenbrett gestützt. Mit der Linken legte man ein Bündel Flachs in den Bogen des Schwingstockes, mit der Rechten bearbeitete man die durchhängenden Fasern mit dem Schwingschwert. Jedes Bündel wurde mehrmals gedreht und gewendet und solange geschlagen, bis alle Restbestände losgelöst waren. Staub, Holz- und Hautteilchen füllten den Raum während dieses Arbeitsganges, aber der Erfolg der Arbeit war sichtbar: kräftiges oder feines, sauberes, helles Spinngut! Nur allzu gerne dachte man schon an das Endprodukt dieser Arbeit: raues oder glattes Linnen auf dem Tisch, als Bettlaken, „Zeechen“ (Bezüge) oder Arbeitskittel.

War diese Arbeit getan, legte man die gereinigten Bündel zusammen, knotete sie fein säuberlich zu. Nun war die Vorarbeit für das winterliche Schaffen geleistet: die Arbeit am Spinnrad und Handwebstuhl.

Das Schaffen der Mädchen war von vielerlei Brauchtum umrankt. Während der Arbeit auf der Tenne hielt ein Mädchen Wache am Scheunentor. Sobald ein Mann sich näherte, eilte es hinaus, rieb ihm mit einem Büschel Flachs über die Schuhe und sprach:

„Ihnen zur Ehr und uns zum Nutzen,
will ich Ihnen die Schuhe putzen.

Wein und Bier ist Schwingisch Manier, Branntwein ist auch nicht schlecht“.

Ein Einheimischer konnte diesen Brauch als Einladung zum Schwingfest verstehen, für Fremde allerdings war es die Aufforderung, einen (Brannt-)Wein oder einen geringen Geldbetrag zu spendieren. Dann war der Jubel in der Scheune groß!

In der Tat: Das „fröhliche Schwingen“ war ein Fest. Während des Schaffens gab es reichlich zu essen und zu trinken, nach getaner Arbeit ein „Schwingfest“. In der Scheune trafen sich Männer und Schwingerinnen zum Tanz. Bekannte Volkslieder und lustige Singverse kamen zum Vortrag, gar eine Musikkapelle verschönte den Abend.  Ein beliebtes Tanzliedchen soll hier wiedergegeben werden:

„Wackel net esu, juckel net esu,
sos fällt dat Heißchen ein.

Es muß gejuckelt und gewackelt sein,
sonst schlägt ein Donnerwetter drein!“

Besonders gern gesungen wurden:
„Oh, wie schön ist das ländliche Leben…“
„Einst lebt ich so glücklich, einst lebt ich so froh…“

„Mariechen saß weinend im Garten…“
„Ein Traum ist alles nur auf Erden…“
„Freut euch des Lebens…“

Mundart-Sprüche („De Trapp erop, de Trapp erop“), die Eifeler „Mazurka“ und weitere Tanzspiele vervollständigten den amüsanten Abend, der eine Abwechslung zum harten Arbeitsalltag der Mädchen und Jungen darstellte. Sehr alte Menschen können noch heute von diesen Festen erzählen und geraten dabei ins Schwärmen.

Schwingerinnen wurden für ihre Arbeit nicht bezahlt. Es war Ehrensache, denen zurückzuhelfen, die sich in den Dienst gestellt hatten. „Gegenseitigkeit“ hieß das Prinzip.

Um 1900 ging es mit dem Flachsanbau zurück in der Eifel. Baumwolle wurde als Konkurrenz zu stark und die bäuerlich – handwerkliche Flachsbearbeitung, die der Stolz eines jeden Bauernbetriebes war, wurde zu umständlich. In Kriegs- und Notzeiten gab es immer wieder ein Aufleben, aber nach 1950 wurde kein Flachsanbau mehr in der Eifel betrieben.

„Zeugen“ dieser Arbeit ruhen derweil noch in vielen Bauerntruhen: Leinentücher.

Joachim Schröder

 

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