Mensch und Baum – eine Betrachtung

Baum des Jahres 2013 (Der Wild-Apfel)Zum Baum des Jahres 2013 wurde der Wild-Apfel gewählt

Eifel/Hohe Acht. Wenn man in diesen Sommertagen durch die Eifel an Hohe Acht und Nürburg wandert, begegnet man unterwegs immer wieder einem Zeitgenossen, dem zumeist nur wenig Beachtung geschenkt wird und der dennoch eine besondere Wichtigkeit für uns alle hat: dem Baum. Wenn man innehält und nachdenkt, so wird urplötzlich bewusst: der Baum ist ein Freund des Menschen, in ihm hat er zu allen Zeiten ein Lebewesen des Pflanzenreiches erkannt, das ihm besonders nahesteht. Wie ein Abbild eigenen Seins hat der Mensch den Baum erlebt, der in der Erde verwurzelt ist und zugleich nach oben sich streckt und weit seine Arme ausbreitet.

Diese geduldige Pflanzengestalt ist größer und wächst höher als der Mensch, ist ihm aber unterworfen und dienstbar: der Baum spendet Schatten und Sauerstoff, schenkt Früchte und trägt mit seinem Holz die Last der Bauwerke. Mit Betroffenheit erfahren wir heute noch von der tiefen Verwandtschaft zwischen Mensch und Baum, wenn uns die moderne Psychologie zeigt, dass in jedem von uns ein seelischer „Lebensbaum“ wächst, den wir nur zu zeichnen brauchen, um den Seelenarzt deutlich in unser Inneres blicken zu lassen. Es hat berühmte Bäume gegeben, die vom Menschen ehrfürchtig und in heiliger Scheu geachtet wurden, wie die Wotaneiche. Es hat auch immer wieder Bäume gegeben, die der Mensch geliebt hat, wie den Lindenbaum „am Brunnen vor dem Tore“ oder den „Tannenbaum“  im Weihnachtszimmer als ein Teilsymbol der Weihnachtszeit.

Ein sterbender Baum, der krachend dem Beil oder einer heulenden Motorsäge zum Opfer fällt, morsch in sich zusammenbricht oder durch einen Blitzschlag zerbirst – wir verstehen ihn nur allzu gut als Sinnbild unseres eigenen Lebensendes. Vor allem aber schenkt der Baum unserem Leben die äußere Festigkeit, denn das wunderbare Material Holz ist die tragende Grundlage der Zivilisation und des Behaust seins des Menschen. Erst in der Neuzeit und ihrer „Unwirtlichkeit der Städte“ stellte man mit Erschrecken fest, dass der Abschied vom Baum für den Menschen einen Verlust an Lebensqualität bedeutet, der weit mehr ist als der Verzicht auf romantische Erinnerungen. Der Baum atmet und assimiliert (erzeugt Sauerstoff), pumpt Wasser aus dem Untergrund und verdunstet es an die Umgebung – er verbessert also mit Atemluft und Feuchtigkeit die wichtigsten Existenzbedingungen für den Großstadtmenschen.

Doch mehr als das: Er ist ein Schattenspender, Staubfilter, Ventilator mit Kühleffekt, vor allem aber lebendiges Grün. Aber noch einmal muss gesagt werden, nicht nur wegen seiner Zweckmäßigkeit allein bedeutet der Baum dem Menschen so viel. Nicht wegen des Sauerstoffs, nicht wegen des Holzes und auch nicht wegen des Papiers (das auch zu unserer Kultur gehört) – vor allem als pflanzlichen Bruder braucht der Mensch den Baum, der nicht fehlen darf in unserer Lebensgemeinschaft. So empfinden es heute mehr Menschen als jemals zuvor, darum bilden sich Bürgerinitiativen und spontane Hilfsgruppen zum Schutz von Bäumen.

Darum gibt es Baumärzte, die knorrigen alten Recken mit Stahl und Zement, Schutzgittern und Stützstreben das Leben verlängern helfen. Darum gibt es Bäume, die unter Naturdenkmalschutz gestellt werden. Ob man angerührt ist von der Majestät eines riesigen uralten Mammutbaumes, von der kostbaren Winzigkeit eines Zwergbaumes oder von der Schönheit eines wilden Apfelbaumes in voller Blüte – wir haben wieder ein Gespür dafür, weshalb unsere Vorfahren einst Bäume heiligten, warum diese Mythen und Sagen des Altertums eine so große Rolle im Leben der Menschen spielten.

Der Wild-Apfel ist Baum des Jahres 2013

Das Kuratorium “Baum des Jahres” hat im Oktober 2012  den europäischen (heimischen) Wild-Apfel zum Baum des Jahres 2013 gewählt. Er ist äußerst selten und man muss sich schon etwas Mühe geben, um ihn von den vielen Kulturäpfeln, die z. T. auch “verwildert” in der Landschaft zu finden sind, zu unterscheiden. Kultur-Apfelbäume haben meist eine breitere als hohe Krone und die seitlich gebogenen Zweige schwingen filigran aus. Beim Wild-Apfel stehen sie aufrechter, und wenn er sich im Wald oder am Waldrand zum Licht recken muss, entwickelt er schlankere und aufrechtere Kronen als der Kultur-Apfel.

Die gelblich-grünen Früchte des Wild-Apfel-Baums sind im September/Oktober reif. Sie sind deutlich kleiner und runder als beim Kultur-Apfel. Frisch sind sie ungenießbar herb und hart, daher wird der Wild-Apfel auch „Holz-Apfel“ genannt. In gedörrtem oder gekochtem Zustand ist er dann aber schmackhaft und aromatisch. Die Früchte des Wild-Apfels sind für die Nutzung zwar bisher nicht bedeutend, allerdings gelten sie unter Kennern als Naturapotheke: so kann man daraus nach ihrem Trocknen Tee gegen Erkältungen, Fieber, Durchfall u.a. herstellen.

Der Höhepunkt im Jahreslauf eines Apfelbaumes ist der Blütezeitraum. Die Blüte erfasst beim Wild-Apfel nicht jedes Jahr die gesamte Krone, da viele Äste nur alle zwei Jahre blühen und sie sich in der Krone zum Teil abwechseln. Durch die Blüte können Wild-Äpfel im Wald auffallen. Oft werden sie sogar nur entdeckt, wenn am Waldrand oder im Waldesinneren etwas von weitem plötzlich weiß leuchtet. Alte Apfelbäume können Stammdicken von etwas mehr als 50 cm, ausnahmsweise fast einen Meter erreichen. Die Baumhöhe erreicht selten 10 Meter, häufig bleibt der Wild-Apfel auch nur ein Strauch.

Das Höchstalter ist wohl etwa 100 Jahre, wegen der hohlen Stämme alter Bäume meist schwer zu ermitteln. Wild-Äpfel treiben sehr gut aus dem Stock wieder aus, wenn der Baum abgesägt wurde oder abgestorben ist. Nicht ausgeschlossen, dass etliche der heute noch stehenden alten Wild-Äpfel daher bis zu 1.000 Jahre und älter sein können! Das natürliche Areal des Wild-Apfels erstreckt sich über fast ganz Europa, bis auf Nordskandinavien, Nordrussland und Teile Spaniens und Griechenlands. Obwohl er ziemlich verbreitet ist, findet man ihn selten. Da er so konkurrenzschwach gegenüber anderen Waldbaumarten ist, begegnet man ihm am ehesten einzeln oder in Kleinstgruppen an Waldrändern und in Ecken des Waldes, die nicht vollflächig bewirtschaftet werden.

Der Wild-Apfel ist sehr lichtbedürftig, hält im Schatten aber erstaunlich zäh durch – dort blüht er dann jedoch nur noch spärlich. Am wohlsten fühlt er sich daher in Gehölzinseln außerhalb des Waldes, wo er zusammen mit anderen Obstgehölzen und Sträuchern ausreichend Licht erhält. An die Nährstoffe des Bodens hat der Wild-Apfel keine besonderen Ansprüche, auch mit Trockenheit kommt er einigermaßen zurecht. Er kommt sogar auf Felsschutt und sonnigen Abhängen vor. Auch Winterfröste bis minus 25 Grad Celsius sind für ihn kein Problem, Spätfröste führen wegen seines späteren Austreibens viel seltener zu Schäden als zum Beispiel bei Kirsche und Nussbaum.

Die Holzäpfelchen sind bei Wild, Kleinsäugetieren und Vögeln beliebt, welche die Samen nach dem Verzehr entfernt vom Mutterbaum absetzen, im Idealfall irgendwo am Waldrand. Die jungen Bäume werden gerne vom Wild verbissen, da sie etwas Besonderes sind. Die Blüten sind eine Bienen- und Hummelweide. Auch für Pilze sind Apfelbäume ein wichtiger Lebensraum, z.B. für den Feuerschwamm und den Zottigen. Kaum eine heimische Frucht besitzt eine ähnliche Symbolkraft wie der Apfel, auch wenn hier die Frucht der Kulturform ausschlaggebend ist. In der griechischen Mythologie gilt der Fruchtbarkeitsgott Dionysos als Schöpfer des Apfelbaumes. Er widmete ihn Aphrodite als Sinnbild ihrer Schönheit und Liebe.

Für die Kelten symbolisierte er Liebe, Jugendkraft und Fruchtbarkeit. Auch bei den Germanen stand er für die Liebe und die Mutterbrust. Für die Christen ist der Apfel eher negativ besetzt, er ist ein Zeichen für Unkeuschheit, Versuchung und Erbsünde. Der Reichsapfel diente Herrschern als Weltsymbol und Teil der Zeichen ihrer Macht. Der Naturwissenschaftler und Philosoph Sir Isaac Newton soll durch einen herabfallenden Apfel auf das Prinzip der Schwerkraft gekommen sein. Und der Reformator Martin Luther wird gerne mit dem Spruch zitiert: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“.

Das Rätsel des Lebens, die Stetigkeit und Treue der Schöpfung, aber auch die wunderbare Vorsorge für Tier und Mensch, die im Baum ihr unvergängliches Zeugnis haben, werden uns gerade noch rechtzeitig bewusst. Der Stamm der Cree, ein Indianervolk Nordamerikas, wehrte sich vehement gegen seine geplante Ausrottung und formulierte in einem dringenden Appell folgende Weisheit an die Regierenden:

„Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,  
der letzte Fisch gefangen ist,  
werdet ihr feststellen,
dass man Geld nicht essen kann“.

Aber wer hat es begriffen?! Denn es kann keine Zukunft des Menschen geben ohne ausreichende Zukunft für Bäume. Nicht sie brauchen uns, wir brauchen sie: weil sie lebensnotwendig sind; aber auch, weil das Rauschen ihrer Zweige uns von mehr als nur der Alltäglichkeit des Lebens kündet, nämlich von seiner ewigen Macht und Größe. Daran sollten wir uns bei der Begegnung mit dem Baum dankbar erinnern. Er ist ein besonders wertvoller Schatz unserer Heimat, der schönen Eifel.

Text: Hans-Peter Meyer

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