Das Sommer-Interview

Prüm. Noch vor wenigen Jahrzehnten wussten außerhalb von Rheinland-Pfalz die wenigsten Menschen, wo die Eifel so genau war. Dass sich das Ansehen dieses traumhaften Landstrichs radikal geändert hat, liegt nicht nur an seiner Schönheit: Schön war die Eifel immer. Es liegt unter anderem an Menschen wie Dr. Josef Zierden, der in seinem Eifel Literatur Festival die Eifel mit im Namen führt und damit eine Veranstaltungsreihe geschaffen hat, die die Region weit über die deutschen Grenzen hinaus bekannt macht – und berühmt!

1954 in Prüm geboren, war der kleine Josef eines von sechs Kindern einer Hausfrau und eines Kraftfahrers, der sein Geld später als Waldarbeiter verdiente. „Abgesehen von Sparbuch, Bibel und Katechismus“ wuchs er in einem weitgehend bücherfreien Haushalt auf. Die Welt des Buches, in der Josef Zierden später so heimisch werden sollte, eroberte er sich persönlich. Nachdem ihn zur katholischen Kommunion die Lese-Muse geküsst hatte, war er Stammgast in der örtlichen Pfarrbücherei. „Geld für Leihgebühren hatten wir nicht.“ Kein Problem: Wenn man stets nur ein einziges Buch auslieh, blieb die Leidenschaft kostenfrei.

Es kamen die liberalen Siebziger und mit ihnen die Ideen der Sozialdemokraten und das Bafög für Schüler und Studenten. Das Leben meinte es gut mit Josef Zierden: Er legte das Geld, wo immer etwas übrig war, in Bücher an. Und dann die Geschichte mit der Paulinus-Buchhandlung. Als die Prümer Niederlassung schloss, schlug er zu. Das meiste ging für eine Mark weg, alles andere war stark reduziert. Ein gefundenes Fressen für einen, der das geschriebene Wort braucht wie sein täglich Brot.

„Da habe ich turnbeutelweise Bücher rausgeschleppt, kreuz und quer im Regal zusammengeklaubt, Philosophie, Religion, moderne Gegenwartsliteratur. Ein wahres Bücherbad.“ Standen bis dahin fast ausschließlich Schulbücher im privaten Regal, wuchsen die Bestände nun ins Unermessliche. Es war der Beginn der eigenen Bibliothek, mit deren Wachstum Zierden wohl bis ans Lebensende beschäftigt sein wird. Doch bei aller Liebe zum Buch, Stubenhocker war Josef keiner. Die Kindheit war wohl eine glückliche. Damals gab es noch Kinder in rauen Mengen. „Ein Pfiff auf der Straße, schon hatte man eine ganze Fußballmannschaft zusammen.“ Oder einen Indianerstamm. Oder eine Bande Schatzsucher, oder Baumeister von Baumhäusern, oder Lianen schwingende Tarzane… Gut erinnerte er sich an die Nachbarsfamilie mit dem Dutzend Mädchen und Jungen. Die beneidete er sehr, „… war doch der Bundespräsident über etliche Pate“.

Nach dem Abitur 1973 am Regio-Gymnasium in Prüm studierte er in Trier Deutsch und Geschichte. Geliebäugelt hat er auch mit alten Sprachen. „Dann aber hätte ich mich von der geliebten Gegenwartsliteratur verabschieden müssen.“ Das Durchforsten der Universität gestaltete sich zur Lieblingsbeschäftigung des Studenten. Für ihn als Arbeiterkind erfüllte sich damit ein Traum, der nicht abzureißen scheint. „Zu meinem Traum vom Paradies gehört noch heute ganz wesentlich eine Bibliothek.“

Das begonnene Promotionsstudium (Thema des Verehrers der Romantik: „Das Zeitproblem im Erzählwerk Clemens Brentanos“) unterbrach er 1979 / 80, als sich die Einstellungschancen im Schuldienst besonders in seinen Massenfächern zunehmend verschlechterten. Wieder meinte es das Leben gut mit ihm: Zierden wurde als Lehrer genommen und holte den Doktortitel zu einem späteren Zeitpunkt nach. Mit Ehefrau Birgit, ebenfalls Lehrerin, bekam er einen Sohn und eine Tochter.

Der größte Horror dieser Dame waren in den Anfangsjahren der Beziehung übrigens Buchläden. Nie kam ihr Mann zurück ohne tütenweise Bücher gekauft zu haben. Heute ist Zierden Studiendirektor für Deutsch und  Geschichte am St. Matthias-Gymnasium Gerolstein und nach eigenen Worten „clean“. Er schafft es, ohne neue Exemplare aus einem Laden herauszukommen. Sein Trick ist simpel, „Lieblingstitel fotografiere ich mit meinem iPhone und kaufe sie nach und nach bei meiner kleinen heimischen Buchhandlung in Prüm.“

Die „mangelnde geografische Mobilität“, man lebt schließlich in Prüm, gleicht das Paar durch eine verstärke geistige aus. Das Elternhaus der Frau, die aus Trier stammt, ist ihnen zum zweiten Zuhause geworden. So trägt der regelmäßige Wechsel zwischen Land- und Stadtleben seinen Teil dazu bei, dass bei Zierdens die Anregungen nicht fehlen. 

Doch langweilig dürfte es dort ohnehin nicht sein. Der Freak in Sachen Kommunikationstechnik – auf diesem Gebiet ist er stets auf dem neuesten Stand – hält regen Kontakt zu allerlei Vertretern der schreibenden Zunft. Wie sollte er auch sonst die hochkarätige Besetzung des Eifel Literatur Festivals gewährleisten? Brief war gestern, längst umrunden Informationen in digitalisierter Form den Erdball. Sollte man meinen. Dennoch bleibt die erste Kontaktaufnahme die wichtigste. Und die bleibt bei Zierden der Brief, ob Maximilian Schell, Herta Müller, Elke Heidenreich oder Martin Walser.

„Das wichtigste Mittel ist der erste Brief an einen Autor“, so seine Erfahrung. „Der muss das Gefühl vermitteln: Da mag jemand leidenschaftlich Literatur, da möchte mich jemand leidenschaftlich gerne in der Eifel haben. Und der ist in der Lage, auch andere hochkarätige Autoren in die Eifel zu locken und Säle zu füllen. Und der ist ein Literaturkenner. Leidenschaft und Kompetenz sind wohl die zwei wichtigsten Pfunde, die ich auf die Waagschale der Entscheidung legen kann.“

Wenn die Autoren zurückfahren, müssen sie zufrieden sein, so der Vater, Organisator und stetiger Motor des Festivals mit dem guten Namen. „Den Rest besorgt in Autorenkreisen sehr rasch die Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Viele  Autoren warten inzwischen förmlich darauf, in die Eifel eingeladen zu werden. Stolz schwingt in der Stimme, wenn Zierden berichtet, dass sich gerade in diesem Jahr Schriftsteller selbst bewerben. „Irre Namen sind da dabei.“

Das Festival ist zur festen Größe in der Eifel geworden. Die Verehrer der hohen Dicht-, Schreib-, Vortrags- und inzwischen auch der musikalischen oder der philosophischen Kunst treibt es um, wenn die Veranstaltungen laufen, die sich ja über mehrere Landkreise verteilen. Literaturnobelpreisträger waren schon hier, Erste von Bestsellerlisten, Stars von Theater und Fernsehen. Das lässt man sich ungern entgehen, bestellt rasch seine Karten, bildet Fahrgemeinschaften und holt sich Autogramme ab. Wer Glück hat, kann ein paar Takte mit „seinem“ Star plaudern oder nach der Lesung übers Mikrofon neugierige Fragen stellen, die ihm schon lange auf dem Herzen liegen.

Wen mag es wundern, dass dennoch für niemanden das Literatur Festival einen höheren Stellenwert hat als für Dr. Zierden selbst. „Hätte ich nicht das Festival erfunden, um Autoren in die Eifel zu holen, wäre ich wahrscheinlich weggezogen“, gibt er unumwunden zu. „Dem ländlichen Raum mit den alltäglichen Engen und Zwängen, auch geistiger Art, tut dieses liberale Dichtervölkchen gut, das alle zwei Jahre in die Eifel einbricht.“

Ein gutes Näschen hat Zierden schon öfter bewiesen, wenn er ins Land der Vulkane lud. Am treffsichersten dürfte er im Fall von Herta Müller gewesen sein. Mit niemandem, so sagt er selbst, hat er sich je so intensiv auseinandergesetzt wie mit der aus Rumänien stammenden Literatur-Nobelpreis-Trägerin. „Seit gut zwei Jahrzehnten stehen wir in einem engen Austausch.“ Schon im Sommer 2008, bei ihrem vorletzten Festival-Besuch, hatte er ins Gesicht gesagt, dass für ihn in Deutschland niemand anders als sie für den Nobelpreis vorstellbar sei.  „Dass es allerdings so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht.“ Noch vor wenigen Tagen schrieb sie ihm eine Mail, erstmals übrigens am Tage. „Ansonsten mailen wir gen Mitternacht…“

Über weitere Gäste des Festivals, seine Anfänge und Perspektiven, über Dr. Zierdens Ansichten zur Bildungspolitik und seine Lieblingslektüre lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Eifel-Zeitung.

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