Heimat. Viel mehr als nur ein Begriff

Mit dem CDU-Landtagsabgeordneten des Landkreises Vulkaneifel, Gordon Schnieder, sprachen wir über den Begriff Heimat.

EAZ: Seit einigen Monaten ist der Begriff „Heimat“ wieder in aller Munde. Welche Gründe gibt es dafür?

Gordon Schnieder: In der Nachkriegszeit wurde der Begriff durch die Heimatvertriebenen geprägt, dann folgte eine Zeit, in der „Heimat“ kaum verwendet wurde. Viele lehnten den Begriff völlig ab, weil er durch die Zeit des Nationalsozialismus als belastet galt. Es wurde wieder recht still um die Heimat. Größere Aufmerksamkeit erlangte sie dann als bewusster Gegenentwurf zur Globalisierung. Seit dem Jahr 2015 instrumentalisieren rechte Parteien den Heimatbegriff, um Ängste vor Fremdem und Fremden zu schüren.

EAZ: Haben die Volksparteien den Begriff „Heimat“ vernachlässigt?

Gordon Schnieder: Für die CDU gehörte Heimat immer zum Wertegerüst. Es wurde stets betont, wie wichtig es ist, dass die Menschen fest in ihrer Heimat verwurzelt sind. Die CDU hat den Begriff Heimat nie den Rechten überlassen. Daher wurde mit Blick auf die Europäische Union herausgestellt, dass unter dem gemeinsamen europäischen Dach auch die Regionen mit ihren Besonderheiten gepflegt werden. Das Bekenntnis zur Heimat ist in Deutschland aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es gab und gibt +Gebiete, in denen der Begriff nicht im Mittelpunkt steht oder lange Zeit nicht im Mittelpunkt stand. Dazu zählte früher auch die Eifel.

EAZ: Welche Ursachen hatte das?

Gordon Schnieder: Das hat viel mit den schwierigen Lebensbedingungen zu tun. Das Image der Eifel war im 19. Jahrhundert sehr schlecht. So lobte Kaiser Wilhelm einmal, die Eifel sei ein hervorragendes Jagdrevier, es sei jedoch schade, dass da Menschen lebten. Unseren Kreis prägte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Landwirtschaft trotz der vielerorts schwierigen Böden und der ungünstigen klimatischen Verhältnisse. Das führte dazu, dass die Eifel als Preußisch Sibirien bezeichnet wurde. Viele Eifeler wanderten im 19. Jahrhundert in die USA oder nach Südamerika aus, wenig später fanden viele im Rheinland Arbeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die im Kreis Daun vorhandene Kalk-, Eisen- und auch Mineralwasserindustrie zwar einen Aufschwung, aber die strukturellen Probleme blieben.

EAZ: Kam die Wende für die Eifel nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges?

Gordon Schnieder: Nach dem Kriegsende ging es noch nicht direkt bergauf. Noch in der Frühzeit des deutschen Wirtschaftswunders, also in den 1950er Jahren, verließen viele Menschen unsere Heimat, um andernorts Arbeit zu finden. Sie taten dies häufig ohne Wehmut; denn das Image unserer Region war auch damals noch nicht gut und die Arbeit in der Landwirtschaft war nach wie vor schwierig.

EAZ: Kann man konkrete Schritte nennen, die die Wende zum Besseren einleiteten?

Gordon Schnieder: Der Wandel setzte in den 1960er Jahren ein. Die Bundeswehr errichtete zwei Standorte im Kreis Daun, und es siedelten sich bei uns mehrere größere Betriebe an, in denen viele Menschen Arbeit fanden. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerungszahl in unserem Kreis, was seit den späten 1960er Jahren bei uns das Wirtschaftswachstum weiter beschleunigte. Dann kamen mit einer jungen Landesregierung viele neue Impulse. Innerhalb weniger Jahre modernisierte Ministerpräsident Helmut Kohl Rheinland-Pfalz auf vielen Ebenen. So wurde zum Beispiel viel Geld in die Bildung investiert. Der Rest der Republik nahm wahr, dass Rheinland-Pfalz weit mehr ist als das Land der Reben und Rüben. In unserem Landkreis hatten wir das große Glück, dass Kommunalpolitiker mit großer Weitsicht an den Schaltstellen saßen. Unter vielen anderen Persönlichkeiten bereiteten vor allem Julius Saxler, Regierungspräsident von Trier, und Landrat Martin Urbanus den Weg. Es war eine Aufbruchsstimmung da: Insbesondere in der Wirtschaft, im Sozial- und Gesundheitswesen. Diese Erfolge sprachen sich rasch herum. Zudem gab es damals in Daun ein Aufbaugymnasium – das heutige Thomas-Morus-Gymnasium –, an das ein Internat für Jungen angegliedert war. Die meisten Internatsschüler kamen aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz, aber nicht wenige auch aus Nordrhein-Westfalen. Sie machten nicht nur ihr Abitur in Daun, sondern nahmen von hier auch ihre guten Eindrücke mit nach Hause. Das gleiche gilt für das Bischöfliche Internat Albertinum in Gerolstein, das im Jahr 1946 eröffnet und mehr als 50 Jahre später geschlossen wurde. Schlussendlich trug auch der Tourismus zur Verbesserung des Images bei, ein Bereich, den man in seiner Bedeutung nicht unterschätzen sollte.

EAZ: Bei wirtschaftlichem Aufschwung und einer Steigerung der Bekanntheit schaut man gern auf Leuchtturmprojekte…

Gordon Schnieder: Das ist ganz sicher der treffende Ausdruck. Mit der Veranstaltung „Tatort Eifel“ ist unser Kreis seit Jahren bei Krimifreunden ein fester Punkt auf der Deutschlandkarte. Ein weiteres Leuchtturmprojekt sind die „Dauner Fototage“, die Hans Nieder ins Leben gerufen hat. Die zahlreichen Besucher bringen Neues in unseren Kreis, sie nehmen aber auch viele positive Eindrücke von uns mit nach Hause. Leuchttürme sind aber auch die vielen Produkte, die bei uns für die ganze Welt gefertigt werden. „Made in Vulkaneifel“ steht in vielen Bereichen für das Beste vom Besten. Man isst Lebensmittel aus der Vulkaneifel, dazu trinkt man Wasser aus unserer Heimat. Autos laufen reibungslos dank der Zulieferer aus der Vulkaneifel; moderne Apotheken wollen auf die Technik aus der Vulkaneifel nicht verzichten, ebenso kommt schönes und funktionales Industriedesign aus der Vulkaneifel. Heimat ist viel mehr als nur ein Begriff.

EAZ: Trotz alledem wird aber über Mängel geklagt. Zu Recht?

Gordon Schnieder: Da muss man die Ebenen unterscheiden. Es gibt bei uns zahlreiche Initiativen von Unternehmern, und es gibt Städte und Gemeinden, die in vielerlei Hinsicht an der Spitze stehen. Es gibt Zukunftsprojekte in unseren Orten, den fünf Verbandsgemeinden und in unserem Landkreis. Wie in den 1970er Jahren braucht es aber auch die darüberliegende Ebene, um unserem Kreis die Beschleunigung zu geben, die er angesichts der Herausforderungen der Zukunft dringend benötigt.

EAZ: Also Digitalisierung und Verkehrsinfrastruktur?

Gordon Schnieder: Ganz genau. Das sind die beiden Bereiche, die für unsere Zukunft von zentraler Bedeutung sind. Ein Hochleistungsinternet ist die Technologie, an der sich die Zukunft entscheidet. Sie setzt in allen Bereichen an; dafür ist die Fähigkeit, große Datenmengen in kürzester Zeit sicher zu transportieren, eine Grundvoraussetzung. Zudem müssen wir so nah wie möglich an die großen Zentren heranrücken. Der Landkreis Vulkaneifel ist geprägt durch viele Pendler. Der Lückenschluss der A 1 ist für unseren Kreis und unser Bundesland ein gewaltiger Sprung nach vorn. Wenn diese 25 Kilometer Autobahn gebaut sind, dann liegen wir ganz genau in der Mitte zwischen Trier, Koblenz und Köln. Jede dieser Großstädte ist dann innerhalb einer dreiviertel Stunde von uns aus erreichbar. Genauso wichtig ist es aber auch, dass ein Facharbeiter, der in einem südlichen Kölner Vorort lebt, in der gleichen Zeit, die er morgens um 7 Uhr bis nach Leverkusen braucht, auf der fertiggestellten A 1 auch in die Vulkaneifel fahren könnte. Neueste Untersuchungen zeigen, dass mit der A 1 auch ein deutlicher Zuwachs des Tourismus einhergehen würde. Vieles ist in Bewegung gekommen. Die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen will den Lückenschluss der A 1. Ich bin sicher, dass auch in Rheinland-Pfalz die Hemmnisse über Bord geworfen werden und die Chancen erkannt werden, die mit dem Bau dieses Autobahnstückes verbunden sind.

EAZ: Manche Kritiker sagen, auch wenn diese Rahmenbedingungen vorhanden wären, würden uns die jungen Leute immer noch davonlaufen.

Gordon Schnieder: Das sehe ich anders. Die jungen Menschen verlassen ihre Heimat, wenn sie dort keine Zukunft sehen. Sie bleiben, wenn sie wissen, dass sie hier besser leben können als anderswo.

EAZ: Ist das denn möglich?

Gordon Schnieder: Man muss nicht drum rumreden: Das ist eine große Herausforderung, denn zu diesem besseren Leben in unserer Heimat gehört sehr viel. Da spielt von der Geburt an Geborgenheit und Wärme eine große Rolle, die sich dann in der Zeit im Kindergarten und in der Schule fortsetzt. Es gibt ein richtungsweisendes Projekt des Natur- und UNESCO Global Geoparks Vulkaneifel, in dem schon den Kleinsten – zum Beispiel in der Kita in Strohn – unsere Heimat nähergebracht wird. Sie lernen da die Geologie, die Tier- und Pflanzenwelt und auch die regionale Geschichte kennen. Das ist Heimatkunde im besten Sinne des Wortes. Intakte Sozialbeziehungen fördern das Hier-bleiben-wollen. Eine große Rolle spielen dabei Vereine. Hier ist auch die Mitgliedschaft in einer Feuerwehr oder in einem Sport- oder Musikverein beispielhaft zu nennen. Da wissen wir, dass solche Mitgliedschaften große Bindekraft entwickeln.

EAZ: Kann man allgemeiner darstellen, aus welchen Gründen Menschen in ihrer Heimat bleiben?

Gordon Schnieder: Entscheidend für das Bleibenwollen ist ein gutes Image. Wenn die Region, aus der ich stamme, allgemein positiv besetzt ist, dann stärkt das den Wunsch, in dieser attraktiven Heimat zu bleiben. Wenn man in andere Regionen sieht, dann erkennt man auch, wie wichtig das Pflegen der regionalen Sprache ist. Auch wir in der Vulkaneifel haben in dieser Hinsicht viel zu bieten. Unser Dialekt klingt von Ort zu Ort ein wenig anders. Das ist auch für diejenigen spannend, die nicht selbst Dialekt sprechen. Das sind gute Gründe, das Dialektsprechen noch deutlich stärker zu fördern. Es gibt aber sehr viel mehr Dinge, die Heimat ausmachen. Der Verleger und Fotograf Sven Nieder hat das in einem Interview während der Frankfurter Buchmesse sehr schön ausgedrückt. Die Vulkaneifel mache der besondere Geruch ihrer Wälder so attraktiv. Das sei für ihn Heimat, die er liebt. Es sind diese Bauchgefühle, diese Emotionen, die es zu erzeugen und zu stärken gilt.

EAZ: Es sind ja aber nicht nur diese „weichen“ Faktoren wichtig…

Gordon Schnieder: Ohne Frage geht es nicht nur über Emotionen. Attraktive Arbeitsplätze und attraktives Wohnen sind sehr wichtig. Bei uns kann sich eine Familie mit einem Durchschnittsverdienst Wohneigentum leisten. Das ist in den großen Städten ausgeschlossen. Es ist wichtig, dass unsere Dörfer und Städte ihren individuellen Charakter bewahren. Es ist die Unterschiedlichkeit, die unsere Heimat attraktiv macht. Die eine Familie möchte in einem modernen Haus in einer Neubausiedlung leben, die andere Familie möchte ein altes Bauernhaus im Ortskern renovieren. Es sind innovative Konzepte erforderlich, um die individuellen Wohnwünsche Wirklichkeit werden zu lassen. Neue Wege müssen wir auch in anderen Bereichen gehen. Für junge Familien und für ältere Menschen ist es gleichermaßen bedeutsam, dass die ärztliche Versorgung sichergestellt ist. Neue Modelle bei der hausärztlichen Versorgung scheinen mir da richtungsweisend, aber auch die moderne Ausstattung eines wohnortnahen Krankenhauses. Schließlich gehört zu einem guten Leben in der Heimat auch eine bestmögliche und individuelle Pflege im Alter. Sicherlich hat ein Wohnheim in einer ländlichen Umgebung seinen Reiz. Wir haben aber Bedarf für noch bessere Möglichkeiten in der ambulanten Pflege, um es den Menschen zu ermöglichen, so lange wie es geht, zu Hause bleiben zu können.

EAZ: Kann man einen Blick in die Zukunft wagen?

Gordon Schnieder: Damit sich unsere Heimat auch in der Zukunft sehr gut weiterentwickelt, ist sehr viel Tatkraft notwendig. Wir brauchen viele Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, die mit Mut und Zuversicht für unsere Heimat werben. Wir werden auch neue Ideen entwickeln müssen, die jetzt noch Neuland für uns sind. Es darf da keine Selbstbeschränkungen und Denkverbote geben. Die Politik allein kann das nicht richten, sie muss aber die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Gestaltung der Zukunft in unserer Heimat gelingen kann.

EAZ: Herr Schnieder, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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