Interview: Kalte Progression bekämpfen – Gebot der Gerechtigkeit

Seit Monaten hängt im Bundesrat ein Gesetz fest, das den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland eine erhebliche Steuererleichterung bringen soll. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag hatten im November 2011 ein Gesetz zur Bekämpfung der sogenannten „kalten Progression“ auf den Weg gebracht. Im Bundesrat, wo die Länder diesem Steuergesetz zustimmen müssen, verweigern die SPD-geführten Länder die Zustimmung. Die Eifel-Zeitung sprach mit Patrick Schnieder, MdB über den derzeitigen Stand der Verhandlungen und die Auswirkungen der kalten Progression.

Zur Sache „Kalte Progression“

In Deutschland wird die Höhe der Einkommenssteuer abhängig von der Höhe des Einkommens erhoben. Bürger die ein geringeres Jahresgehalt beziehen, zahlen prozentual einen geringeren Steuersatz als Bürger mit einem hohen Jahreseinkommen. Die Spanne reicht von 14 bis 45 Prozent. Zudem sind 8004 Euro im Jahr zunächst steuerfrei. Die Höhe des Steuersatzes ist gesetzlich somit eng verknüpft mit der Höhe des Einkommens. Die kalte Progression ist ein steuerlicher Effekt, der wie folgt funktioniert:

Durch Inflation und Preissteigerungen steigen die Lebenshaltungskosten des einzelnen Bürgers an. Sein Gehalt muss regelmäßig an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst werden, damit er Inflation und Preissteigerung ausgleichen kann. Deshalb finden beispielsweise regelmäßige Tarifrunden statt, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber Lohnerhöhungen aushandeln.

Wird die Lohnerhöhung gewährt, steigt das Jahreseinkommen des Bürgers an. Damit steigt auch gleichzeitig der Steueranteil, den er an den Staat abführen muss. Die Lohnerhöhung verliert dadurch den eigentlichen Bestimmungsgrund. Anstatt die steigenden Lebenshaltungskosten auszugleichen, wird ein höherer Steuersatz fällig. Eine ungerechte Situation für den Bürger und eine versteckte Steuerhöhung für den Staat.

EAZ: Herr Schnieder, die christlich-liberale Koalition im Bund hat sich des Problems der kalten Progression angenommen. Wie wollen Sie das Problem lösen?
Schnieder: Zuletzt wurde die kalte Progression 2010 ausgeglichen. Seither ist der Effekt wieder deutlich spürbar. Wir haben deshalb vor knapp einem Jahr ein Steuergesetz verabschiedet, mit dem wir die steuerliche Mehrbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abbauen wollen. Wir wollen etwa den Grundfreibetrag in zwei Schritten auf 8354 Euro anheben. Insgesamt haben die unserseits geplanten Anpassungen ein Volumen von 6,1 Mrd. Euro, um das die Bürger entlastet würden.

EAZ: Warum wird hier überhaupt gehandelt? Wäre es für den Staat nicht besser, er würde das Steuersystem einfach bei den jetzigen Werten belassen? Dann würden doch die Steuereinnahmen steigen!
Schnieder: Ja, das stimmt. Wenn wir nichts unternehmen, steigen die Steuereinnahmen des Staates und die Belastung der Bürger nimmt zu. Das ist aber nicht unsere Politik! Die kalte Progression führt zu verdeckten Steuererhöhungen, ohne dass der Gesetzgeber tätig wird. Das ist intransparent und unfair gegenüber allen Bürgern. Wir wollen deshalb Anpassungen an dem bewährten progressiven Einkommensteuertarif vornehmen. Damit stellen wir auch weiterhin sicher, dass starke Schultern mehr tragen, als schwache. Es geht um mehr Gerechtigkeit. Der Staat soll sich nicht durch Inflation auf Kosten der Bürger bereichern!

EAZ: Was genau bringen denn Ihre Entlastungsvorschläge? Haben Sie Zahlen?
Schnieder: Mit der Anhebung des Grundfreibetrags um 350 Euro sichern wir die Steuerfreiheit des Existenzminimums. Das ist eines unserer zentralen Anliegen. Im Übrigen verlangt das Bundesverfassungsgericht hier regelmäßige Überprüfungen und gegebenenfalls Anpassungen. Mit den Anpassungen bei den Steuertarifen schaffen wir zudem eine faire Entlastung der anderen Einkommen. Ein Beispiel: Ein alleinstehender Arbeitnehmer, der im Jahr 25.000 Euro verdient, zahlt 4.300 Euro Steuern. Mit unserem neuen Tarifmodell würde dieser Arbeitnehmer um 150 Euro pro Jahr entlastet, das entspricht 3,4 Prozent. Verglichen mit einem Steuerzahler, der ein wesentlich höheres Jahreseinkommen hat, ist die Entlastung der unteren Einkommen größer. Auch hier ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der 43.000 Euro im Jahr verdient, zahlt 10.300 Euro Steuern. Durch unser Tarifmodell wird er um 270 Euro entlastet, das entspricht 2,5 Prozent. Niedrige Einkommen werden also stärker entlastet, als höhere. Das ist fair, solidarisch und gerecht.

EAZ: Das klingt ja alles sehr vielversprechend, aber bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist davon noch nichts angekommen. Warum ist das Gesetz noch nicht in Kraft getreten?
Schnieder: Veränderungen beim Steuerrecht sind in der Länderkammer zustimmungspflichtig. Nachdem das Gesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, haben die SPD-geführten Länder das Gesetz im Bundesrat blockiert. Deshalb konnte es bisher auch noch nicht in Kraft treten. Die Bundesregierung hat den Vermittlungsausschuss angerufen, damit wir wenigstens einen Kompromiss für die Bürgerinnen und Bürger umsetzen können. Aber auch hier verweigern die rot-grünen Länder einen konstruktiven Kompromiss. Das Ganze geht natürlich auf Kosten der Steuerzahler in Deutschland, da haben Sie Recht. Bisher gibt es im Vermittlungsausschuss noch keine Einigung.

EAZ: Warum verweigern die SPD-Länder die Zustimmung? Von ihnen erwartet man doch eigentlich als erstes einen solidarischen Ansatz.
Schnieder: Ja, so kann man sich täuschen. Es geht auch bei diesem Gesetz ums Geld. Die rot-grünen Länder fürchten Steuerausfälle für die eigenen Länderkassen. Und dann gibt es da auch noch die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz für Top-Verdiener. Aus meiner Sicht ist das aber eine unverantwortliche Politik gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Anstatt diese zu entlasten, will die SPD lieber weiterhin mehr Steuereinnahmen verbuchen – natürlich so fällt es ja auch viel leichter die Schuldenbremse einzuhalten. Die Steuern sprudeln, ohne dass man es laut verkünden muss, und gleichzeitig muss man an anderer Stelle nicht sparen. Tolle Idee, aber unfair. Um den Anschein der Fairness zu bewahren, dann einen höheren Spitzensteuersatz zu fordern, ist scheinheilig. Soziale und solidarische Politik sieht anders aus! Die SPD sollte ihre Blockadehaltung endlich aufgeben und den Weg frei machen für Steuerentlastungen, die vor allem kleinen und mittleren Einkommen eine erhebliche Erleichterung bringen und zu mehr Gerechtigkeit beitragen.

EAZ: Vielen Dank für das Gespräch! 
 

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