Interview mit Dr. Christian Albring, Frauenarzt und Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V.

45 Jahre Mutterpass. Sie bezeichnen dies als Erfolgsgeschichte. Warum?
Dr. Albring: Frauenärztinnen und Frauenärzte haben sich seit Jahrzehnten für die verbesserte Versorgung von Schwangeren und ihren ungeborenen Kindern eingesetzt. Mit Erfolg: 1960 wurde die Einführung des Mutterpasses beschlossen. Seitdem haben sich die Sterbezahlen von werdenden Müttern und Kindern um ein Vielfaches reduziert. Schwangerschaft und Geburt sind weniger mit Risiken verbunden. Die Gesundheit von Mutter und Kind stehen an erster Stelle der medizinischen Versorgung. Was hat sich mit dem Mutterpass in der Schwangerenvorsorge denn überhaupt geändert?
Dr. Albring: Über die Jahrzehnte hat sich die Versorgung von Schwangeren grundlegend geändert. Stellen Sie sich vor, in den 60-er Jahren wussten Schwangere nichts über die Jod-Substitution. Viele Frauen erlebten eine Schwangerschaft, ohne dass auch nur eine Ultraschallaufnahme von ihrem Kind gemacht wurde. Das heißt, bis zum Tag der Geburt hatte die werdende Mutter keinerlei Anhaltspunkte, ob ihr Kind sich normal entwickelt hat und gesund ist. Natürlich kann dies auch heute niemand mit Sicherheit behaupten, doch sind wir mit dem heutigen medizinischen Stand soweit, dass wir viele Erkrankungen bereits vor der Geburt behandeln bzw. ausschließen können und sehen, ob sich das Kind normal entwickelt.

Hängt diese positive Zahlenentwicklung nicht auch mit dem medizinischen Fortschritt über mehr als vier Jahrzehnte zusammen?
Dr. Albring: Sicherlich sind die gesunkenen Sterbeziffern mit dem medizinischen Fortschritt in Verbindung zu bringen. Unsere Aufgabe in diesem Zusammenhang ist es, neue medizinische Möglichkeiten für den praktischen Einsatz zu bewerten. Erweisen sich die Untersuchungen als sinnvoll, kämpfen wir darum, dass sie in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen werden und somit ihren Weg in den Mutterpass finden. Erst dadurch wird eine Vorsorgeuntersuchung, die sinnvoll ist, zu einer erstattungsfähigen Untersuchung, die für jede Schwangere vorgesehen ist, und nicht nur für die, die es sich leisten können.

Ist die gesamte Schwangerenvorsorge nicht bereits viel zu technisiert? Schließlich heißt schwanger sein „in anderen Umständen sein“ und ist längst keine Erkrankung, wie man bei den vielen Untersuchungen vermuten könnte?
Dr. Albring: Die Gesellschaft hat sich verändert. Unsere Patienten sind heute viel informierter, wenn sie zu uns in die Praxis kommen. Auch bei einer Schwangerschaft wissen viele Frauen, bereits beim ersten Arztgespräch, dass es verschiedene Vorsorgeuntersuchungen gibt, die über diese oder jene mögliche Erkrankung des ungeborenen Kindes Aufschluss geben können. Das heißt natürlich auch, dass heute den Frauen und ihren Partnern im manchen Fällen schwerwiegende Entscheidungen abverlangt werden. Auch für Frauenärztinnen und Frauenärzte bedeutet dies als erste Ansprechpartner für die Frau eine Herausforderung in der Beratung und Betreuung. Ein weiterer Aspekt sind sicherlich die stetig rückgängigen Geburtenzahlen. Anders als in der Vergangenheit, eine Zeit der Großfamilien, bekommt heute eine Frau durchschnittlich nur ein Kind – das heißt das Erlebnis Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft wird oft zu einem einmaligen Erlebnis, dass für jede Frau möglichst positiv verlaufen sollte. Das Kind soll rundum versorgt auf die Welt kommen.

Einigen Frauenärzte wird wahre Abzocke vorgeworfen. Sinnlose IGeL-Leistungen, auch Babyfernsehen genannt, werden den Schwangeren in Rechnung gestellt, die weder für die Gesundheit der Schwangeren noch deren ungeborener Kinder wichtig sind. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Dr. Albring: Grundsätzlich sollte jede Untersuchung, auch eine Ultraschalluntersuchung einen medizinischen Grund haben und nicht zur reinen Unterhaltung beitragen. Dient eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung aber zur Beruhigung der Patientin, die sich zwar grundlos aber ihre Gesundheit beeinträchtigende Sorgen macht, ist auch ein medizinisch nicht relevanter Ultraschall sicherlich angebracht für das Wohlergehen der Patientin zu sorgen.

Was sind denn wirklich sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen, die eine schwangere Frau während der 40 Wochen ihrer Schwangerschaft absolvieren sollte?
Dr. Albring: Mit der im Mutterpass aufgeführten Untersuchungen ist eine werdende Mutter rundum gut versorgt. Nur bei außerordentlichen medizinischen Verdachtsmomenten, kann die ein oder andere zusätzliche Vorsorgeuntersuchung sinnvoll sein. Zusätzliche IGeL-Leistungen, die von der Patientin selbst gezahlt werden müssen, sollten in der Regel nach eingehender Prüfung und individueller Beratung durch die Frauenärztin bzw. den -arzt erfolgen.

Was bringt die Zukunft in der Schwangerenvorsorge? Ihr Ausblick in die Zukunft?
Dr. Albring: Wir sind stolz auf das bisher erreichte, denn in den vergangenen Jahrzehnten haben wir einige wichtige doch längst noch nicht alle wichtigen Vorsorgeuntersuchungen in den Regelkatalog Aufnahme gefunden. So arbeiten wir zur Zeit an der Aufnahme der Untersuchung zum Schwangerendiabetes als reguläre Vorsorgeuntersuchung sowie an der Toxoplasmoseuntersuchung. Bisher sind beide Untersuchungen individuelle Leistungen, die die Patientin selbst zahlen muss. Diese beiden Untersuchungen gehören nach unserer Auffassung in den Erstattungskatalog und somit in den Vorsorgeplan für jede schwangere Frau. Auch der elektronische Mutterpass steht für die Zukunft auf unserer Agenda. Mit der Einführung des Mutterpasses in elektronischer Form möchten wir den verbesserten Zugriff auf die gespeicherten Daten ermöglichen, so dass im Ernstfall schnellstmöglich alle Mutter und Kind betreffenden Daten zur Verfügung stehen.
Quelle: Berufsverband der Frauenärzte e.V. 

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