Edith Ennen

Historikerin und Archivarin, Tochter eines Arztes aus St. Vith

Aus der in St. Vith seit Jahrhunderten ansässigen Familie Ennen, die mit Vitus Quirinus Ennen (gest. 1907) einen der prägendsten Bürgermeister der Stadtgeschichte stellte, gingen zwei Persönlichkeiten hervor, die sich als Archivare und Historiker hervortaten, aber nicht in St. Vith selbst geboren waren. Im 19. Jahrhundert war dies der in Schleiden zur Welt gekommene langjährige Kölner Stadtarchivar und Historiker Leonard Ennen (1820 – 1880). Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die 1907 in Merzig geborene Edith Ennen zu einer Leitfigur rheinischer Geschichtswissenschaft.

Edith Ennen war die älteste von drei Töchtern des in St. Vith geborenen Medizinalrats Dr. Emil Ennen (1875-1940) und dessen Ehefrau Louise Peters. Emil Ennen, der 1898 „Über den Wassergehalt der Luft in bewohnten Räumen“ promoviert hatte, arbeitete zur Zeit von Ediths Geburt als Nervenarzt an der Merziger Provinzial-Heil und Pflegeanstalt, 1920 wurde er sogar deren Direktor. Die hoch begabte und lerneifrige Arzttochter erhielt nach dem Besuch der Volksschule und des Mädchenlyzeums die seinerzeit seltene Erlaubnis, auf ein zum Abitur führendes Jungengymnasium zu wechseln. Als sie 1927 als Klassenbeste in Dillingen Abitur machte, gehörte sie zur ersten Generation von Abiturientinnen in ihrem Heimatkreis. Um ihr Hauptinteresse – Geschichte – mit der Sicherheit eines Brotberufs verbinden zu können, studierte sie in Freiburg, Berlin und Bonn Geschichte, Germanistik und Latein mit der Perspektive, in diesen Fächern als Lehrerin zu arbeiten. Dass ihr im Grunde ein anderer Berufsweg lieber war, konnte man schon daran erkennen, dass sie noch vor der Staatsprüfung für das Lehramt an höheren Schulen (Januar 1934) den philosophischen Doktortitel erwarb. Ihre Dissertation über „Die Organisation der Selbstverwaltung in den Saarstädten vom ausgehenden Mittelalter bis zur französischen Revolution“ (Bonn 1933) zeigte bereits zwei Kennzeichen ihres wissenschaftlichen Lebenswerks: Die Beschäftigung mit stadthistorischen Fragen und das besondere Interesse an den für sie geburts- und herkunftsnahen Gebieten links des Rheins. Bestärkt in diesen Forschungsfeldern wurde sie von ihrem Doktorvater Franz Steinbach (1895 – 1964), dem langjährigen Direktor des Bonner Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande und herausragenden rheinischen Landeshistoriker. Trotz bestandener Lehramtsprüfung entschied sich Ennen gegen den Beruf der Lehrerin und wollte nun, ihrer Neigung folgend, Archivarin werden. Dazu musste sie zunächst, wie Yvonne Leiverkus (2018) berichtet, eine Archivar-Ausbildung für den höheren Dienst am Institut für Archivwissenschaft und geschichtliche Fortbildung in Berlin-Dahlem absolvieren. Dass Edith Ennen nach erfolgreichem Abschluss gleichwohl nicht in den preußischen Archivdienst übernommen wurde, führt die Historikerin Margret Wensky darauf zurück, dass dieser Archivdienst damals eine reine Männerdomäne gewesen sei und Ennen zudem nicht Mitglied der NSDAP werden wollte. So kehrte sie an das Bonner Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande zurück, wo sie zwar formell Wissenschaftliche Hilfskraft war, aber faktisch vor allem während des Weltkriegs die Hauptarbeit leistete. Angesichts dessen kam es nicht unerwartet, dass Edith Ennen 1947 mit der Leitung des Stadtarchivs in Bonn betraut wurde; in dieser Position blieb sie bis 1964, als sie einem Ruf auf den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Saarbrücken folgte. Dieser Berufung waren drei Jahrzehnte wissenschaftlichen Forschens vorausgegangen. 1941 hatte Ennen unter dem Titel „Die europäische Stadt des Mittelalters als Forschungsaufgabe unserer Zeit“ eine programmatische Forderung erhoben, an deren Umsetzung sie mit zahlreichen Studien selbst entscheidend mitwirkte. 1953 erschien ihr erstes Hauptwerk „Frühgeschichte der europäischen Stadt“, mit dem sie in die erste Reihe mitteleuropäischer Stadtgeschichtsschreibung rückte. In den Folgejahren kamen zu vielen thematisch weit über Stadtforschung hinausgehenden Artikeln Bücher zur Geschichte einzelner rheinischer Städte hinzu.

Dem hohen wissenschaftlichen Ansehen der Bonner Stadtarchivarin wurde mit der Berufung in Kommissionen und 1962 mit der Ernennung zur Honorarprofessorin Rechnung getragen. Nach vierjähriger Professur in Saarbrücken, während der saarländische Landeskunde in ihren Forschungsmittelpunkt rückte, wurde sie 1968 in Bonn ordentliche Professorin für Geschichtliche Landeskunde und Direktorin des Instituts, dem sie seit ihrer Studienzeit so innig verbunden war. 1973 veröffentlichte Ennen mit „Die europäische Stadt des Mittelalters“ ein weiteres Standardwerk. Ein Jahrzehnt nach ihrer Emeritierung (1974) gelang der inzwischen 77-Jährigen mit „Frauen im Mittelalter“ ihr größter Bucherfolg. In dem hoch informativen Werk ging sie, umfassende Sachkenntnis mit klarem sprachlichen Stil verbindend, allen möglichen Facetten des Themas nach und stieß damit auf ein weit über das Fachpublikum hinausgehendes Interesse. Das wissenschaftlich so produktive Leben Edith Ennens – ihr Schriftenverzeichnis umfasst 70 Seiten – endete kurz vor der Jahrtausendwende. Am 28. Juni 1999 starb die große Historikerin in Bonn; sie wurde auf dem dortigen Südfriedhof beigesetzt.

Verfasser: Gregor Brand

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