Emmy Kreiten

Mezzosopranistin aus Mayen

Bildquelle: Gilbert von Studnitz

Das grausame Schicksal ihres höchst begabten Sohnes Karlrobert hat Emmy Kreiten bekannt gemacht und überschattet ihren künstlerischen Lebensweg, dessen Schritte erst ansatzweise erforscht sind. Emmy Kreiten wurde am 26. März 1894 in Mayen als Emmy Liebergesell geboren. Ihr Vater Robert Liebergesell (1862 – 1918) stammte aus dem thüringischen Eichsfeld-Dorf Breitenbach und arbeitete als Rechnungsrat bei der preußischen Eisenbahn. Der Vater seiner Mutter Amalia Fuhlrott (1837 – 1919) war ein Bruder des Naturforschers Johann Carl Fuhlrott (1803 – 1877), der als erster erkannt hatte, dass die Skelett-Reste aus dem Neandertal zu einem vorgeschichtlichen Menschen gehörten. Emmys Mutter Sophie Barido (1871 – 1961) war die Tochter eines im Elsass geborenen Glasfabrikanten. In den letzten Vorkriegsjahren lernte Emmy Liebergesell, die ihre Gesangsausbildung in Saarbrücken erhalten hatte, den Musiker Theo Kreiten (1887-1960) kennen. Kreiten war gebürtiger Niederländer, seine Eltern stammten vom Niederrhein (Grefrath-Oedt). 1913 heiratete die neunzehnjährige Sängerin den Pianisten und Komponisten, der damals in Bonn seinen Lebensunterhalt als Klavierlehrer und Dozent verdiente. Ein Jahr später wurde dem Ehepaar die Tochter Marie-Therese geboren, die bald nach der Geburt starb. 1917 zog die Musikerfamilie nach Düsseldorf, da Theo Kreiten am dortigen Buths-Neitzel-Konservatorium eine Dozentur für Tonkunst erhielt. Düsseldorf wurde zum Dauerwohnsitz der Kreitens, ihr Haus über Jahrzehnte hinweg ein Anziehungspunkt für zahlreiche, teilweise hochberühmte Musiker. Die Familie bestand neben den Eltern aus dem im Juni 1916 geborenen Sohn Karlrobert sowie dessen Schwester Rosemarie Sophie (1918 – 1975), die später in Kalifornien als Verlegerin tätig war; ihrem Sohn Gilbert von Studnitz sind wertvolle Informationen zur Kreiten-Familie zu verdanken.

In den Jahren der Weimarer Republik trat Emmy Kreiten erfolgreich als Sängerin auf, sowohl bei öffentlichen Konzerten als auch bei musikumrahmten Künstlerabenden im Haus der Kreitens. Als Künstlernamen wählte sie Kreiten-Barido – eine Reverenz gegenüber ihrer Mutter. In den 1920er und 1930er Jahren entwickelte sich das Leben der Kreitens in schönen Bahnen. Sohn Karlrobert entwickelte sich zu einem Pianisten von außerordentlicher Begabung. Elfjährig trat er bereits mit Mozarts A-Dur Klavierkonzert (KV 488) in der Düsseldorfer Tonhalle auf; das Konzert wurde im Rundfunk übertragen und ließ Musikkenner aufhorchen. 1933 brillierte er beim Internationalen Klavierwettbewerb in Wien vor einer hochkarätig besetzten Jury mit der „Dante-Sonate“ von Liszt. Weitere Triumphe folgten, der junge Kreiten wurde von Presse und Publikum gefeiert. Der weltberühmte Pianist Claudio Arrau (1903 – 1991), dessen Schüler Kreiten war, meinte gegen Ende seines Lebens, dass dieser „wahrscheinlich das größte Talent war, vielleicht dieses Jahrhunderts.“

Aber urplötzlich wurde diese Hoffnung durch das Zusammenwirken von NS-Diktatur und Denunziantentum vernichtet. 1943, kurz nach der Niederlage von Stalingrad, äußerte sich der 26-jährige Kreiten privat gegenüber einer Bekannten seiner Mutter skeptisch zum Krieg und spöttisch zur politischen Führung. Der Weltkrieg sei für Deutschland verloren und führe zum Untergang Deutschlands und seiner Kultur. Die hitlergläubige Frau erzählte dies zwei anderen Frauen weiter, und gemeinsam informierten sie die Gestapo. Die Folgen waren fürchterlich: Kreiten wurde im Mai 1943 unmittelbar vor einem ausverkauften Konzert verhaftet, vier Monate später wegen „Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung“ vom berüchtigten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in der Nacht zum 8. September 1943 in Berlin-Plötzensee erhängt. Verzweifelte Versuche seiner Mutter und anderer, sein Leben durch Hilfeappelle zu retten, scheiterten. Nach der Hinrichtung lobte der damalige NS-Journalist und später in der BRD als Moderator des „Internationalen Frühschoppen“ populär gewordene Werner Höfer (1913 – 1997) in der Zeitung „Das 12 Uhr Blatt“ das Bluturteil als „strenge Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers“. Nach der Tötung ihres Sohnes fühlten sich Emmy und Theo Kreiten in Düsseldorf nicht mehr sicher. Abgesehen von Zeitgenossen, die sie als Eltern eines sogenannten „Volksschädlings“ verachteten, waren auch Staatsschikanen nicht mehr auszuschließen. Theo Kreiten gab seine Dozentenstelle an der Hochschule auf und zog sich mit Emmy sowie dem dreijährigen Enkel Edgar zu Verwandten ins Elsass zurück. Nach Kriegsende startete das Ehepaar Kreiten in Düsseldorf einen schwierigen Neuanfang. Theo Kreiten konnte zwar wieder an der Musikhochschule lehren und Konzertkritiken verfassen, aber er war nun voll erblindet und stark auf die Hilfe seiner Frau angewiesen. Emmy Kreiten setzte, so gut es ging, ihre Laufbahn als Sängerin fort – bis ins hohe Alter.

Das Schicksal ihres Sohnes ließ Vater und Mutter nie los. Emmy Kreiten setzte sich dafür ein, dass sowohl sein Können als auch sein Tod als Opfer der NS-Diktatur nicht in Vergessenheit gerieten. Von ihr aufbewahrte Tonaufnahmen Karlroberts aus den 1930er Jahren wurden kurz vor ihrem Tod vom Musiklabel Thorofon bearbeitet und 1984 auf einer Gedenk-LP veröffentlicht. Emmy Kreiten starb im Alter von 90 Jahren am 24. Januar 1985 in Düsseldorf.

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen