Franz Steffens

Theologe und Paläograph aus Ürzig

Wer sich an der Entzifferung und dem Lesen alter und uralter Schriften versucht, beneidet meist diejenigen, die keine Probleme haben, in die Geheimnisse solcher alten Texte einzudringen. Ein Großmeister der Lehre von den alten Schriften (Paläographie) war der am 28. Mai 1853 in Ürzig als Sohn der Eheleute Johann Nikolaus Steffens und Maria Anna Adams geborene Franz Steffens. Nach dem Abitur am Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium im Reichsgründungsjahr 1871 studierte er Theologie und Philosophie in Würzburg, dann in Trier. Als das Trierer Seminar infolge des heftigen Kulturkampfs zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche Anfang 1874 geschlossen wurde, wechselte Steffens erneut nach Würzburg, das zu Bayern gehörte und von der antiklerikalen Preußenpolitik nicht betroffen war. In der Mainstadt verfasste der Ürziger Theologiestudent 1874 eine Abhandlung über ein von Aristoteles in seiner „Metaphysik“ formuliertes Motto, das zur Beschäftigung mit der Geschichte der Philosophie auffordert. Die philosophische Fakultät registrierte bei Steffens eine „klare Übersicht des Entwicklungsganges der vorplatonischen Philosophie“, wenn sie auch bemängelte, dass er sich nicht immer streng an das Thema gehalten habe. Gleichwohl erhielt er, wie das „Ministerialblatt für Kirchen- und Schul-Angelegenheiten im Königreiche Bayern“ vermeldete, eine ehrenvolle Belobigung und das Recht zur kostenfreien Promotion – eine Chance, die Steffens mit dem Erwerb des philosophischen Doktortitels nutzte. Dr. phil. Steffens setzte daraufhin seine theologischen Studien am Dominikanerkolleg von Santa Maria sopra Minerva in Rom fort und erhielt dort 1877 auch den theologischen Doktortitel. Am 26. Mai 1877, kurz vor seinem 24. Geburtstag, wurde er zum Priester geweiht.

Dem üblichen Verlauf der Dinge hätte es nun entsprochen, dass der junge Ürziger Doppeldoktor ein Amt in seiner Heimatdiözese erhalten hätte, aber dies war wegen des Kulturkampfkonflikts schwierig. Steffens nahm das ungewöhnliche Angebot auf eine Kaplansstelle in der nordwestenglischen Hafenstadt Southport an. Nach mehrjähriger Seelsorgetätigkeit wurde er auf eine Theologieprofessor nach Durham im englischen Nordosten berufen.

In gesundheitlicher Hinsicht bekam ihm das feuchte, neblige Wetter in Nordengland allerdings zunehmend schlechter. Sein Wunsch, in sonnigere Gefilde zurückzukehren, wurde stärker. Um seine Italien-Sehnsucht mit dem hohen Interesse für historische Studien verbinden zu können, wechselte er an die neue, 1884 von Papst Leo XIII. (1810 – 1903) gegründete Vatikanische Schule für Paläografie, Diplomatik und Archivkunde in Rom. In diesem Hochschulinstitut wurden Geistliche in den entsprechenden Fachgebieten ausgebildet, um danach historische Quellenstudien auf hohem Niveau vornehmen zu können. Nachdem Steffens dort als einer der ersten einen Abschluss erlangt hatte, wurde er von der gerade gegründeten schweizerischen Universität Freiburg (Fribourg) angeworben: Im Herbst 1889 übernahm Steffens dort eine Professur; damit gehörte er zu den akademischen Gründungsvätern dieser ersten katholischen Universität der Schweiz. Dass der immer noch von Brust- und Atemleiden geplagte und angeschlagen wirkende Moselaner es an dieser Hochschule zu einer 41 Jahre währenden Professorentätigkeit bringen würde, hätte damals – nach Ansicht seines Freiburger Professorenkollegen Gustav Schnürer (1860 – 1941) – keiner gedacht. Vielleicht ähnlich unerwartet entwickelte sich Steffens zu einem international bekannten Paläographen und trug damit zum Ruf der neuen Universität bei. 1903 erschien Steffens einflussreichstes Werk „Lateinische Paläographie“, dessen Inhalt schon aus dem Untertitel hervorgeht: „Hundert Tafeln in Lichtdruck, mit gegenüberstehender Transscription, nebst Erläuterungen und einer systematischen Darstellung der Entwicklung der lateinischen Schrift“. Dieses Werk, 1909 in Trier in erweiterter Form neu aufgelegt, gilt als erstes systematisches Tafelwerk mit paläographischen Erläuterungen von altrömischen Schriften bis zur Neuzeit. Viele Jahrzehnte nach seinem Erscheinen bewertete es der Historiker Paul Kirn (1890 – 1965) als „das beste Tafelwerk zum Eindringen in paläographische Probleme“; bis heute hat sich an dieser Einschätzung kaum etwas geändert. 1912 folgte eine kleine, ähnliche Tafelsammlung zur Einführung in die griechische Paläographie. Nicht nur als Paläograph, sondern auch als Diplomatiker – also Experte für historische Urkunden – war Steffens hoch anerkannt. Beide Qualifikationen brachte er ein, als er in Zusammenarbeit mit dem Historikerkollegen Heinrich Reinhardt (1855 – 1906) ein über 700-seitiges Werk über alle Dokumente publizierte, die mit der historisch bedeutsamen Nuntiatur des Bischofs Giovanni Francesco Bonhomini (1536-1587) zusammenhingen. In Anerkennung seiner Verdienste ernannte Papst Pius XI. (1857 – 1939) den 70-jährigen Steffens 1923 zum Päpstlichen Hausprälaten.

Professor Steffens, der seinerzeit in Großbritannien perfekt Englisch gelernt hatte und in der Schweiz auch Englischseminare anbot, starb im Spätherbst 1930 in Freiburg. Eine Verbindung zu seiner Heimat hielt er nicht zuletzt durch den freundschaftlichen Briefkontakt mit dem aus Zeltingen stammenden Kirchenhistoriker Stephan Ehses (1855 – 1926) aufrecht.

Verfasser: Gregor Brand

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