Fritz Mordechai Kaufmann

An den in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geführten leidenschaftlichen Debatten zur Zukunft des Judentums waren jüdische Eifler maßgeblich beteiligt. Das gilt für die in der zionistischen Bewegung sehr engagierten Julius und Alfred Berger aus Niederbreisig ebenso wie für das Brüderpaar Julius und Fritz Mordechai Kaufmann aus Eschweiler.

Fritz Kaufmann, dessen Biographie Martina Willemsen in ihrer Dissertation (2007) detailliert darstellte, wurde in Eschweiler im Dreikaiserjahr 1888 als Sohn des Geschäftsmanns Hermann Kaufmann und dessen Frau Rosa (geb. Gochsheimer) geboren. 1896 folgte die Schwester Friederica (Riwka), die später in erster Ehe den Aachener Schriftsteller Ludwig Strauss heiratete, der nach Fritz Kaufmanns Tod dessen „Gesammelte Schriften“ herausgab. Nach dem Abitur studierte der naturverbundene Fritz Kaufmann zwei Semester Medizin in Genf, dann in München, Marburg und Leipzig Geschichte und Nationalökonomie. Zwei Italienreisen verscheuchten vorübergehend die trüben Gedanken, die ihn auch an Selbstmord denken ließen. Kaufmann überstand nach eigener Auffassung diese depressive Zeit dank der ihm innewohnenden „Erdliebe und Erdkraft“.

Aus dieser Phase innerer Leere, in der ihm „jeder Lebenswert ein Nichts war“, riss ihn vorübergehend die neue Bewegung des Zionismus heraus, die er als Student in Leipzig näher kennenlernte. 1912 heiratete der Eifler Jungintellektuelle Rochel (Rosa) Kaganoff, Tochter eines armen Thoraschreibers aus Odessa, deren schlanke Schönheit er ebenso bewunderte wie ihre „urwüchsige jüdische Volkskraft“. Nach der Hochzeit zog das junge Paar nach Berlin, wo Kaufmann mit ersten Veröffentlichungen in Zeitschriften seine publizistische Karriere begann. Zu seinem wichtigsten Projekt wurde eine Monatsschrift, die im April 1913 erstmalig erschien und sich „Die Freistatt. Alljüdische Revue. Monatsschrift für jüdische Kultur und Politik“ nannte. Die Idee dazu stammte vom Bruder Julius, der in Eschweiler als Herausgeber fungierte, während die redaktionelle Arbeit von Fritz in Berlin geleitet wurde. Trotz ihrer Kurzlebigkeit – sie erschien nur bis zum 1. Weltkrieg – stieß „Die Freistatt“, in der so namhafte Intellektuelle wie Max Brod, Arnold Zweig oder Gustav Landauer veröffentlichten, auf bleibende Beachtung. Ungewöhnlich war sie allein schon durch ihren Eifler Erscheinungsort „im assimiliertesten Westen“ (Andreas Meyer), der allerdings gut zur Programmatik passte: „Wir wollen der westlichen Judenheit neue Wege bahnen zu stärkerer, das ganze Volk umschliessender Jüdischkeit.“ Der Sozialist Fritz Kaufmann distanzierte sich damit bewusst vom Zionismus, der die Zukunft des Judentums nur in einem jüdischen Staat in Palästina gesichert sah. Kaufmann dagegen kam es darauf an, die jüdische Identität überall zu stärken und zu vertiefen – deswegen die Selbstbezeichnung als „alljüdisch“.

Die Neubesinnung auf den – damals vielfach bestrittenen – Wert gerade auch der ostjüdischen Kultur und der Sprachen Hebräisch und Jiddisch sollte der völligen Assimilation entgegenwirken, die nach Kaufmanns Auffassung das westlich geprägte Judentum gefährdete. Fritz Kaufmann, selbst ein ausgezeichneter Musiker, setzte sich intensiv für die unverfälschte Bewahrung der ostjüdischen Volkslieder ein, deren Kulturwert er als einer der ersten erkannte. Seine einzigartige Sammlung wurde 1920 in Berlin unter dem Titel „Die schönsten Lieder der Ostjuden. Siebenundvierzig ausgewählte Volkslieder“ veröffentlicht. Für die Expertin M. Willemsen ist Fritz Kaufmanns Volksliedersammlung „die bedeutendste Ausgabe schlechthin“.

Bei Ausbruch des Weltkriegs hatte sich Fritz Kaufmann zu einem Leibgrenadierregiment gemeldet. Kriegseinsatz unter härtesten äußeren Bedingungen brachte ihm schnell das Eiserne Kreuz, kaum weniger rasch erkrankte er an lebensbedrohlichem Typhus. Nach seiner Gesundung arbeitete er in Berlin im Amt für brandenburgische Kriegsbeschädigtenfürsorge, daneben veröffentlichte er weiter. 1920 wurde USPD-Mitglied Fritz Kaufmann, seit 1916 Vater der Tochter Mirele, Generalsekretär des jüdischen Arbeiterfürsorgeamtes in Berlin. Nicht zuletzt wegen der dabei geleisteten phänomenalen Organisationsarbeit und des unermüdlichen Einsatzes für ostjüdische Flüchtlinge erschütterte die Nachricht von seinem Suizid im März 1921. Aus den Abschiedszeilen Fritz Kaufmanns an seine Frau ging hervor, dass er den Entschluss dazu schon Jahre zuvor gefasst hatte, und dass es nur Rochels Liebe gewesen war, die ihn lange zum Weiterleben bewegt hatte.  

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen