Georg W. Kreutzberg

Neurowissenschaftler aus Ahrweiler

Am 20. März 2019 endete das Leben eines Wissenschaftlers von Weltrang: Der in Ahrweiler geborene Hirnforscher Georg Wilhelm Kreutzberg verstarb im Alter von 86 Jahren. Kreutzberg zählte als Neuropathologe zur Weltelite seines Faches. Bereits bis zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2012 wurden seine Forschungsarbeiten über 21.000 mal zitiert. Eine gigantische Zahl, die ebenso beeindruckt wie sein h-Index, der als Maß für den Einfluss eines Wissenschaftlers gilt: Er lag 2012 bei 80 und damit in einem Spitzenbereich, den nur wenige Forscher erreichen. Eine Studie von Kreutzberg über Mikroglia ist weltweit die meistzitierte zu dieser eminent wichtigen Nervenzellenform. Er war Mitherausgeber von mehr als einem Dutzend Fachzeitschriften und gehörte zu den wissenschaftlichen Beratern zahlreicher Gremien, darunter auch des Nobelpreiskomitees. Kreutzberg war Präsident etlicher wissenschaftlicher Gesellschaften, darunter der Deutschen Gesellschaft für Zellbiologie, der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft und der Internationalen Gesellschaft für Neuropathologie.

Georg W. Kreutzberg (oft GWK abgekürzt) stammte aus der Ahrweiler Kreutzberg-Familie, aus der beeindruckend viele hoch begabte Persönlichkeiten hervorgingen. Sein Vater, der Gynäkologe, Chirurg und Heimatautor Dr. Josef Kreutzberg, arbeitete als Chefarzt an den Krankenhäusern in Ahrweiler und Bad Neuenahr. Älterer Bruder von GWK war der Medizinpionier Bernhard Kreutzberg (1931 – 2006), Professor für Herz- und Lungenchirurgie an der Universität Düsseldorf; er gehörte zu den ersten deutschen Medizinern, die einen Herzschrittmacher einsetzten. Ururgroßvater von Georg und Bernhard Kreuzberg war Georg Kreuzberg (1796 – 1873), Entdecker des Apollinaris-Mineralwassers. GWK war mit der Medizinjournalistin Dr. Karin Kreutzberg (geb. Franken) verheiratet, über die er in einem Interview sagte: „Mein erster Doktorand war eine ‚sie‘, und sie ist immer noch an meiner Seite, als meine Ehefrau und als Mutter meiner beiden wunderbaren Söhne“.

GWK gehörte dem Jahrgang 1932 an, seine Gymnasialzeit in Ahrweiler fiel zunächst in die Kriegs- und Nachkriegsjahre, gefolgt am Schluss vom Gefühl des Aufbruchs und der politischen Freiheit. Nach dem Abitur 1951 studierte er Medizin in Bonn, Wien, Innsbruck und schließlich in Freiburg, wo er nach dem Staatsexamen (1957) als Medizinalassistent arbeitete. An der badischen Universität promovierte er 1961 mit einer Arbeit über den Stoffwechsel der Aminosäure Tryptophan bei psychiatrischen Erkrankungen. Schon als Student interessierte sich Kreutzberg stark für biochemische Vorgänge im Nervensystem. Mit diesem Interesse fühlte er sich seinerzeit als sonderliches „Mondkalb“, wie er es selbst nannte, da man psychiatrische Erkrankungen damals weniger als körperliche Störungen betrachtete, sondern unter psychoanalytischen oder – gerade in Freiburg, der Wirkungsstätte Heideggers – unter philosophischen Aspekten. 1960 ging GWK nach Bonn als Mitarbeiter des führenden Neuropathologen Gerd Peters und folgte diesem nach München, als Peters an die dortige Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie berufen wurde. 1963 veröffentlichte Kreutzberg in der Zeitschrift „Nature“ seine erste größere Forschungsarbeit zu den axonalen Reaktionen einer Nervenzelle. Das wurde zu seinem lebenslangen Hauptthema: die Reaktion von zentralnervösem Gewebe auf Schädigung. Damit verbunden waren Fragen wie: Was passiert exakt, wenn der normale Ablauf der Nervenzellen gestört wird, wie wehren sie sich gegenüber Schädigungen, wie regenerieren sie sich? Bei all diesen Vorgängen spielen Mikroglia-Zellen eine besondere Rolle, wie Kreutzberg nachweisen konnte.

Maßgebliches experimentelles Rüstzeug erhielt Kreutzberg 1964 – 1965 am Psychologie-Department des MIT in Cambridge, USA, das damals von Hans-Lukas Teuber geleitet wurde. Dort machte er sich mit der Autoradiographie vertraut, die es ihm zusammen mit elektronenmikroskopischer Beobachtung ermöglichte, neuropathologische Veränderungen in komplexen Experimenten detailliert aufzuspüren. Die zweite Hälfte der 1960er Jahre verbrachte Kreutzberg teils wieder in München, teils an der Rockefeller University in New York; am Ende dieser Zeit standen wegweisende Studien zu den Transportvorgängen in Nervenzellen. 1971 habilitierte er sich an der TU München, seit 1977 war er Professor. 1978 wurde Kreutzberg Wissenschaftliches Mitglied und Direktor des Theoretischen Instituts am MPI, ab 1984 leitete er am MPI für Neurobiologie die Abteilung Neuromorphologie. Die Arbeit von Kreutzberg und seinen Mitarbeitern trug dazu bei, dass sich das MPI in Fürstenried zu einer der drei wichtigsten neurowissenschaftlichen Forschungsstätten weltweit entwickelte.

Prof. Dr. Dr. h. c. Kreutzberg erhielt zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse am Bande. Mit der Ernennung zum Ritter vom heiligen Grab zu Jerusalem wurde sein gesellschaftliches Engagement gewürdigt; so setzte er sich z. B. besonders für Querschnittsgelähmte ein. Wichtig war ihm die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Kreutzberg sprach in Vorträgen oder im Fernsehen über Hirnforschung und philosophische Fragen. Der Tod ereilte ihn nach kurzer Krankheit, seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Friedhof an der Kirche St. Wolfgang in München.

Verfasser: Gregor Brand

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