Hans Richarts

Diplomlandwirt und Politiker aus Schwarzenborn

„Schwarze Idylle“ – so überschrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ 1965 einen Beitrag über den Eifelwahlkreis 153 (Bitburg-Daun-Prüm-Wittlich), den „schwärzesten in der gesamten Bundesrepublik“. Dieser Wahlkreis war das politische Zentrum des CDU-Politikers Hans Richarts. Fast zwei Jahrzehnte lang vertrat der katholische Bauernsohn die Eifelbevölkerung als Abgeordneter im Bundestag und erzielte dabei phänomenale Wahlergebnisse. Bei den Bundestagswahlen 1953 und 1957 erreichte Richarts sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen fast 80 Prozent der Stimmen. Damit gehörte er zu den drei erfolgreichsten CDU-Abgeordneten überhaupt; nicht einmal CSU-Wahlkreise in Bayern konnten da mithalten. In den Sechziger Jahren gingen diese Werte zwar zurück, aber selbst bei der Bundestagswahl 1969 – der letzten, in der Richarts antrat – kam er auf überragende rund 70 Prozent.

Hans Richarts erblickte das Licht der Welt 1910 im „Stemerhaus“ in Schwarzenborn. Diese Hofstelle in dem alten Stockbauerndorf, aus dem trotz der geringen Einwohnerzahl – deutlich unter 100 – erstaunlich viele namhafte Persönlichkeiten hervorgingen, war erst ein Jahr zuvor von seinem Vater Peter (geb. 1877) erbaut worden. Die Familie Richarts war durch Mathias Richarts, den Urgroßvater des Politikers, von der Brandenmühle nach Schwarzenborn gekommen. Maria Schwadorf, die Mutter von Hans Richarts, stammte von der nahegelegenen Biermühle. Ab Untertertia besuchte Richarts – wie später sein Sohn Rainer – das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Trier, wo er 1931 Abitur machte. Sein geschichtliches Interesse wurde überregional dokumentiert: Für das Jahr 1929 vermeldeten die „Bonner Jahrbücher“ den Fund von Flintsteinen in Schwarzenborn und von Kieselschieferplättchen in Eisenschmitt durch den Primaner Richarts.

Nach dem Abitur strebte Richarts das Studium der Landwirtschaft an. Der Weg zur Universität Bonn führte über die Landwirtschaftsschule in Wittlich und Praxiserfahrungen auf großen Agrarbetrieben im Rheinland und in Westfalen. Richarts schloss sein selbstfinanziertes Landwirtschaftsstudium 1938 mit einer Diplom-Arbeit zum Thema „Möglichkeiten des Zwischenfruchtbaus in Höhenlagen der Eifel“ ab. Als der Diplomlandwirt 1939 die Leitung der Landbauaußenstelle Trier übernahm und im gleichen Jahr die Westerwälderin Franziska Bender heiratete, schienen die Weichen für privates und berufliches Glück gestellt. Den Weltkrieg überlebte Richarts als Soldat in einem Nachrichtenregiment, doch das älteste Kind der jungen Familie starb vierjährig bei einem Bombenangriff. Ein erschütternder Schicksalsschlag traf die Familie 1974, als die 22-jährige Tochter infolge einer nicht entdeckten Herzerkrankung plötzlich verstarb.

In den Nachkriegsjahren leitete Richarts die Außenstelle der Landwirtschaftskammer Rheinland-Hessen-Nassau in Trier. Er beriet er bei Saatgutfragen und dem Wiederaufbau der kriegsgeschädigten Bauernhöfe. Engagiert wandte er sich mit Reden und Veröffentlichungen an eine breitere Öffentlichkeit, um sie auf die bedrückende Not in der damals so genannten „Roten Zone“ aufmerksam zu machen. 1952 wurde Richarts Mitglied des Trierer Stadtrats, 1953 nominierte die CDU den redegewandten Agrarfachmann für den Bundestag. Im Bonner Parlament – und von 1958 bis 1973 im Europäischen Parlament, wo Richarts Vizepräsident des Agrarausschusses war – machte er sich einen Namen als Kenner der schwierigen Fragen des Strukturwandels, die die Menschen in der Eifel existenziell betrafen. Dass sich die Verhältnisse ändern mussten, war unstreitig, über den konkreten Weg dahin wurde oft heftig gestritten. Da ging es um Flurbereinigungen, Molkereifusionen, EWG-Vorgaben zum Milchpreis, neue Arbeitsplätze und nicht zuletzt um Straßenbaufragen. Der Verbesserung der dürftigen Verkehrsinfrastruktur maß Richarts entscheidende Bedeutung bei. Ende der 1960er Jahre spitzte sich die Strukturdebatte in erbitterten Kontroversen um den „Mansholt-Plan“ zu. Richarts vertrat seine Vorstellungen in den Bauernversammlungen, wo man manchmal im rauchschwängerten Saal kaum den Redner sehen konnte, mit klaren Worten. Ihm war bewusst, dass ein laues „nach dem Munde Reden“ bei seinen Landsleuten nicht angekommen wäre; es entsprach auch nicht seinem Charakter. Der gemäßigte Modernisierer Richarts hatte es in seinem Eifelwahlkreis mit einer einzigartigen Situation zu tun: Nirgendwo in Deutschland gab es prozentual so viele Katholiken und Selbständige, nirgendwo so viele Hauseigentümer. Die Häuser waren allerdings auch überdurchschnittlich alt, was die Lebensumstände nicht leichter machte.

1972 musste Richarts seinen Platz im Wahlkreis für Alois Mertes räumen. Fortan vermittelte er unter anderem als Präsident der Katholischen Landvolksschule St. Thomas seine Vorstellungen zur Zukunft des ländlichen Raumes. Gern besuchte der Hobby-Angler seinen Geburtsort, wo man die positiven und negativen Veränderungen deutlich registrieren konnte. „Heute zählt das völlig überalterte Dorf nur noch 45 Einwohner mit nur 9 Kindern“, bilanzierte 1986 der Schwarzenborner Legationsrat Dr. Franz-Josef Zens. Eine große Freude kurz vor seinem Tod im Juni 1979 in Trier war für Hans Richarts die Geburt seines ersten Enkelkindes.

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen