Hans Wilhelm Schreiber

Foto: Vereinigung Nordwestdeutscher Chirurgen (1980). https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=61985411. CC BY-SA 3.0 de

Chirurg aus Schönecken

Der am 17. September 1924 in Schönecken geborene Hans Wilhelm Schreiber war der älteste Sohn des aus Wiersdorf bei Bitburg stammenden Landarztes Dr. Johannes Schreiber (1893 – 1978). Sein Vater hatte sich nach dem ersten Weltkrieg in Schönecken niedergelassen und sich dort nicht nur als Arzt großes Ansehen erworben. Sanitätsrat Johannes Schreiber war ein im Prümer Land hochgeschätzter Mediziner, der sich auch intensiv der Heimatforschung widmete. Ihm war ebenso der Erhalt der Schönecker Burgruine zu danken wie wertvolle Beiträge zur Ortsgeschichte und nicht zuletzt die Kreation des Kräuterschnapses „Schönecker Burgdoktor“. Als Wünschelrutengänger plädierte er für eine sachlich-rationale Erforschung dieses Phänomens.

Hans Wilhelm besuchte die Reginoschule in Prüm, wo er 1942 als 17-Jähriger Abitur machte, ehe er als Soldat an der Ostfront eingesetzt wurde. Eine lebensbedrohliche Schrapnell-Verwundung führte ihn zum Gelöbnis, Chirurg zu werden, wenn er mit dem Leben davonkäme. Ein Militärchirurg rettete ihm das Leben – und Schreiber setzte nach Kriegsende sein Gelöbnis in die Tat um. Noch 1945 begann er ein Medizinstudium an der Universität Bonn, 1951 promovierte er mit einer Arbeit über „Das Greisenantlitz. Die Veränderung der peripheren Ausdruckselemente im Alter“. Die nächsten Jahre blieb Schreiber in Bonn, absolvierte dort eine chirurgische Ausbildung und arbeitete an der Chirurgischen Universitätsklinik, wo er sich 1962 bei Professor Alfred Gütgemann (1907 – 1985) habilitierte. Sein Spezialgebiet wurden chirurgische Eingriffe im gesamten Bauchraum. 1965 verließ der Abdominalchirurg das Rheinland und wurde Ärztlicher Direktor am Marienkrankenhaus Hamburg, aber er blieb Bonn durch seine 1967 dort erfolgte Ernennung zum außerplanmäßigen Professor verbunden. In Hamburg nahm Schreiber als Herausgeber und Autor das vielbändige Werk „Chirurgische Operationslehre“ in Angriff, das zu einem weltweit geschätzten Standardwerk wurde. Es spricht für die riesige Arbeitskraft des Schöneckers, dass er neben aufreibender ärztlicher Tätigkeit die Zeit für eine eindrucksvolle Vielzahl von Fachartikeln fand. Bereits bis zum Jahr 1973, als er Professor am Lehrstuhl für Allgemeinchirurgie und Leiter der Chirurgischen Abteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf wurde, lag die Zahl seiner  Publikationen – nach Angaben von Professor Volker Schumpelick, einem der vielen renommierten Chirurgen, die Schüler Schreibers waren – bei über 300. Da chirurgische Eingriffe bei allen möglichen Erkrankungen notwendig werden können, umfassten diese Beiträge ein breites Feld von Krankheiten. Eine große Rolle spielten Tumorerkrankungen; 1976 gehörte Schreiber zu den Gründern des ersten deutschen Tumorzentrums in Hamburg. Bei manchen Operationsverfahren war er Pionier der ersten Stunde: Dies gilt allgemein für die endoskopische Chirurgie, aber etwa auch für eine von ihm entwickelte Methode zum Magenersatz nach Magenentfernung. Auch die erste in Hamburg durchgeführte Lebertransplantation (1984) erfolgte durch den Arzt aus der Eifel. Ein Jahr zuvor war der Meisterchirurg, der den Jubiläumskongress zum 100-jährigen Bestehen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie maßgeblich organisiert hatte, zum Präsidenten dieser Mediziner-Vereinigung gewählt geworden. Er nahm das Amt mit dem für ihn typischen Einsatz an, baute die traditionsreiche Vereinigung aus und intensivierte die internationalen Kontakte. Auch seine eigenen Mitgliedschaften in internationalen Fachgesellschaften waren für Schreiber nicht nur Formsache.

Auffallend hoch war das Interesse, das der praktizierende Katholik Schreiber philosophischen Fragen ärztlicher Tätigkeit entgegenbrachte. In Hamburg initiierte er einen ethische Fragen diskutierenden Arbeitskreis von Juristen und Ärzten, in Vorträgen und Stellungnahmen widmete er der medizinethischen Dimension besondere Aufmerksamkeit, wobei er sich auf seine bemerkenswerte Kenntnis der Philosophiegeschichte stützen konnte. Die Thematik „Ethik und Medizin“ stand auch im Zentrum seines Festvortrags 1992 am Regino-Gymnasium aus Anlass seines 50-jährigen Abiturjubiläums. In seiner sowohl geistesgeschichtlich weit ausgreifenden als auch auf aktuelle Fragestellungen eingehenden Ansprache formulierte Schreiner sein medizinethisches Credo: „Der Souverän ist der Kranke!“ Das bedeutete für ihn: „Jeder Kranke muß als Subjekt mit personaler Würde respektiert werden. Er darf im Verständnis seiner Persönlichkeit – gleich wie sie auch sein mag – nicht Objekt irgendeiner Fremdmeinung werden“. Diese Haltung wurde bereits durch seinen Vater geprägt, der sich im Weltkrieg unter hohem persönlichem Risiko Euthanasie-Plänen gegenüber geistig behinderten Kindern in Schönecken widersetzt hatte. 1985 wurde Professor Schreiber zum Ritter des päpstlichen Gregorius-Ordens ernannt. Die Reihe seiner medizinischen Auszeichnungen reicht vom 1962 erhaltenen Von-Langenbeck-Preis für eine wissenschaftliche Spitzenarbeit bis zur angesehenen Ernst Jung-Medaille für sein Lebenswerk (1999). Professor Dr. Dr. h. c. Schreiber, aus dessen Ehe mit Dr. Irmgard Schreiber (geb. Böing) drei Kinder hervorgingen, starb am 22. April 2004 in Hamburg nach einer schweren Lungenentzündung.

Verfasser: Gregor Brand

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