Heinrich Andres

– Lehrer und Botaniker aus Bengel

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es einem jungen Südeifler Volksschullehrer, die Fachwelt mit seinen botanischen Forschungen auf sich aufmerksam zu machen. Der am 5. Mai 1883 in Bengel geborene Heinrich Andres besuchte weder Gymnasium noch Universität, sondern entwickelte sich auf autodidaktischem Weg zu einem anerkannten Spezialisten für mehrere Bereiche des weiten Feldes der Pflanzenwissenschaft. Andres hatte nach der Volksschule von 1900 bis 1903 das Lehrerseminar in Wittlich besucht und war dann 1904 Volkschullehrer im nahe gelegenen Hetzhof geworden. Bereits als Jugendlicher begann er mit dem Erforschen heimischer Pflanzen und erwarb sich durch Lektüre und Naturbeobachtung ein staunenswertes Wissen. So war es fast schon Untertreibung, was der der 29-jährige Dorfschulmeister 1909 in einem Vortrag über „Seltene Pflanzen der Eifel“ schrieb: „Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit der Flora der Vor- und vulkanischen Eifel“. Die Intensität seiner Privatstudien lässt sich bereits in diesem Vortrag erkennen. Andres zählt mit präziser Fachterminologie und detaillierter Standortangabe (z. B. „An der ‚dicken Eiche‘ im Forste Springirsbach“) seltene Pflanzen auf, die er auf seinen Streifzügen entdeckte. Nicht allen war sein botanischer Eifer geheuer, zumal er deswegen sogar den Besuch der Sonntagsmesse vernachlässigte. Für Andres war die Pflanzenwelt „die beste, herrlichste Gabe des Schöpfers“. Passend dazu richtete er in seinem im Wittlicher Verlag von Georg Fischer erschienenen vielbeachteten Werk: „Flora von Eifel und Hunsrück mit Einschluss des Venn, der eingeschlossenen und angrenzenden Flusstäler“ (1911) im Vorwort „an alle Naturfreunde und Bewohner der Heimat“ die Bitte: „Schonet die Natur! Sorget dafür, dass in eurer Gegend ein Sumpf, eine Heide, ein Berg, eine Wiese, ein Maar in seiner alten, ursprünglichen Gestalt bestehen bleibt.“ An gleicher Stelle formuliert er einen ihm wichtigen Grundsatz: „Man mache sich zur Regel, von gewöhnlichen Pflanzen nur wenige, von seltenen nur eine, höchstens zwei, von sehr seltenen keine mit Wurzeln zu nehmen. Wenn es darauf ankommt, begnüge man sich mit Blüten und Blättern; niemals ‚raube‘ man eine seltene Pflanze, weil dadurch der Pflanzenwelt ein unwiederbringlicher Verlust erwächst.“ Das hohe ökologische Bewusstsein, das ihn auszeichnete, war für seine Zeit alles andere als selbstverständlich.

Um 1910 wurde Andres Lehrer in Bonn. Hauptmotiv für den Wechsel war wohl die Aussicht auf bessere Forschungsmöglichkeiten und Forscherkontakte. In den 1920er Jahren wohnte er unweit der heutigen Beethovenhalle, ehe er in die Argelanderstraße umzog. Seine neue Wohnung lag in der Nähe der Botanischen Gärten der Universität Bonn – ein Faktor, der für den Pflanzenfreund relevant war. Trotz seiner introvertierten Art legte Andres Wert auf Kontakt und Austausch mit Fachbotanikern und Amateurforschern. Sein Netzwerk schloss erstaunlich früh Koryphäen der mitteleuropäischen Pflanzenforschung ein. Dazu zählte der in Bonn lehrende berühmte Botaniker Eduard Strasburger (1844 – 1912). Strasburger riet ihm, sich vom Schuldienst vorübergehend beurlauben zu lassen und sich an der Universität Wien bei Richard Wettstein (1863 – 1931) fortzubilden. Im Sommer 1913 konnte Andres diesen Rat dank einer Empfehlung des befreundeten Bonner Landbaubotanikers Max Körnicke (1874 – 1955) umsetzen. Noch im gleichen Jahr hielt Andres bei der Kaiserlich-Königlichen-Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien einen Vortrag zur Systematik der Pyrolaceen (Wintergrüngewächse). Professor Wettstein, führender Botaniker Osterreichs, staunte über das enorme Fachwissen des preußischen Volksschullehrers. Eine größere Bedeutung als diese drei genannten Wissenschaftler hatte für Andres der Koblenzer Botaniker Ferdinand Wirtgen (1848 – 1924), der zu seinem Freund und Vorbild wurde. Andres, für seine stete Hilfsbereitschaft geschätzt, war aber nicht nur Lernender, sondern wurde – ganz abgesehen von seinen Schülern im eigentlichen Lehrerberuf – auch zum Lehrmeister jüngerer Forscher. So bezeichnete sich Paul Haffner (1905 – 2001), wichtiger Vegetationskundler aus dem Saarland, als Schüler von Andres.

Zwischen den Weltkriegen setzte Andres seine Pflanzenstudien neben seiner Lehrertätigkeit intensiv fort. Er veröffentlichte weiter Fachbeiträge und Bücher, die für ihre Zuverlässigkeit geschätzt wurden. Zu den vielen wissenschaftlichen Gesellschaften, in denen Andres Mitglied war, gehörten die Bayerische Botanische Gesellschaft, die Zoologisch-Botanische Gesellschaft in Wien oder die British Bryological Society. Andres war zwar botanisch vielfältig bewandert, hatte aber klare Spezialgebiete: die Heidekrautgewächse, insbesondere die Wintergrüngewächse; nach ihm ist die Heidekrautgattung Andresia benannt. Der Bengeler war zudem anerkannter Moos-Experte (Bryologe). Mit Eifer sammelte Andres Pflanzen aus aller Welt; bei der damit einhergehenden Korrespondenz wurde er von seiner sprachgewandten ersten Frau unterstützt. Nach Angaben des Botanikers Theodor Butterfaß (1926 – 2015) gelang es Andres, das größte private Herbarium in Deutschland aufzubauen. Dass dieser Kulturschatz weitgehend im Weltkrieg zerstört wurde, deprimierte ihn zutiefst. Heinrich Andres starb am 11. August 1970 in Bonn im Alter von 87 Jahren.

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen