Helmut Gipper

Sprachwissenschaftler aus Düren

Am 09. August 1919 – Todestag des damals weltberühmten Biologen und Philosophen Ernst Haeckel – kam Helmut Gipper in Düren als Sohn des Kaufmanns Heinrich Gipper und dessen Ehefrau Ida Münch zur Welt; die Familie war evangelisch. Nach dem Abitur 1938 am Realgymnasium Düren (heute: Städtisches Gymnasium am Wirteltor) wurde Gipper zur Wehrmacht eingezogen. Nur ein Jahr später trat der Ernstfall ein: Gipper wurde als Soldat an West- und Ostfront eingesetzt und geriet schließlich 1943 in Nordafrika schwer verwundet in britische Kriegsgefangenschaft. Als die Briten ihn den Amerikanern überstellten, hatte er im Vergleich zu anderen Kriegsgefangenen Glück: Während seiner Inhaftierung durfte er 1944/45 an der Lagerhochschule in Crossville (USA, Tennessee) allgemeines Wissen und Sprachkenntnisse erweitern.

Von 1946 bis 1950 studierte der Nordeifler in Marburg unter schwierigen Nachkriegsbedingungen Philosophie, Romanistik, Germanistik, Anglistik und Sprachwissenschaft. Bereits 1950 legte er seine Dissertation über „Sprachliche und geistige Metamorphosen bei Gedichtübersetzungen“ vor. Darin ging es ihm darum, durch Sprachvergleichung „zur Erhellung deutsch-französischer Geistesverschiedenheit“ beizutragen. Passend zu diesem interkulturellen Interesse folgten ein Studienaufenthalt an der Pariser Universität Sorbonne und eine einjährige Tätigkeit als Deutschlektor an der Universität Besançon. Mit erfolgreichen Staatsexamina in Deutsch und Französisch (1951 und 1954) verschaffte sich Gipper die Voraussetzungen für eine berufliche Existenz als Lehrer. Seinem eigentlichen Ziel eines Gelehrtenlebens kam er 1956 näher, als er Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NRW wurde. 1961 habilitierte er sich in Bonn mit einer Arbeit über Sprachinhaltsforschung und lehrte danach dort als Privatdozent und (ab 1967) als außerplanmäßiger Professor Allgemeine Sprachwissenschaft. Ab 1972 war Gipper ordentlicher Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Münster. Der seit 1984 im Ruhestand befindliche Gelehrte starb im Juni 2005.

Im Zentrum des gipperschen Lebenswerks standen Grundfragen der Sprache: Wie hängen Sprache und Denken zusammen? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Sprache und Kultur? Wie entwickelt sich Sprache bei Kindern? Wie ist Sprache evolutionär entstanden? In einem vielbeachteten Buch stellte Gipper 1971 schon im Titel die Frage: „Denken ohne Sprache?“ Deutlich beeinflusst war Gipper vom Sprachforscher Leo Weisgerber (1899 – 1985), der eine ganzheitliche Sprachwissenschaft und inhaltbezogene Grammatik im Anschluss an Wilhelm von Humboldt vertreten hatte. Nach Ansicht von Elisabeth Emter (Literatur und Quantentheorie, 1995) förderten Gippers Veröffentlichungen „die Diskussion über die Notwendigkeit einer neuen Sprache wesentlich“ und beeinflussten die Entwicklung zeitgenössischer deutscher Lyrik. Gipper wies schon früh darauf hin, dass die „verhängnisvolle Kluft“ zwischen wortsprachlichem und physikalisch-naturwissenschaftlichem Weltbild immer größer werde. Das Auseinanderdriften zwischen alltagssprachlicher Welterfassung und immer stärker dominierenden abstrakt-mathematischen Darstellungen hielt er für ein Problem, dem man aktiv entgegenwirken müsse, indem man der Wortsprache mit neuartigen Formen erweiterte, zeitgerechte Ausdrucksmöglichkeiten eröffne. In der linguistischen Diskussion um die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese, nach der das Denken einer Person grundlegend von seiner Muttersprache beeinflusst wird, sprach Gipper ein gewichtiges Wort mit. Um die international vieldiskutierte Hypothese zu überprüfen, reiste er zu den Hopi-Indianern im Südwesten der USA. Seine dabei Ende der 1960er Jahre gemachten Beobachtungen widersprachen Whorfs Darstellung. Zwar bezweifelte auch Gipper nicht den Einfluss der Muttersprache auf das Denken, sah diese Prägung aber im Vergleich zu Whorf als wesentlich schwacher an. Er lehnte dementsprechend das „sprachliche Relativitätsprinzip“ – wonach das Denken einzelner Menschen und ganzer Sprachgemeinschaften abhängig von der jeweiligen Sprache ist – ab.

Ein wertvolles Forschungshilfsmittel erstellte Gipper (zusammen mit Hans Schwarz) mit der Herausgabe des vierbändigen Bibliographischen Handbuchs zur Sprachinhaltsforschung (1962 – 1989). Maßgeblich beteiligt war er an der Grammatik-Ausgabe des Duden. Neben seinen Büchern halten Gippers kleinere Publikationen den Kern seiner Sprachstudien fest. Unter dem Titel „Theorie und Praxis inhaltsbezogener Sprachforschung“ erschienen Gippers Aufsätze und Vorträge in einer fünfbändigen Ausgabe. Insgesamt plädierte Gipper für eine interdisziplinäre und integrale Linguistik entsprechend dem Satz Hegels „Das Wahre ist das Ganze“ und ging beispielgebend voran. Sein Interesse galt „ebenso den neuronalen Strukturen des Gehirns und den biochemischen Vorgängen, die Sprache und Denken konstituieren, wie dem sprachlichen Kunstwerk; dem Spracherwerb wie der pragmatischen Verwendung“ (E. Bülow/P. Schmitter). Trotz aller Grundlagenforschung blieb der in mehreren Sprachen publizierende Gipper bodenständig. Als er vom Literaturwissenschaftler Horst Schmidt gefragt wurde, wie viele Sprachen er beherrsche, antworte er: „Eigentlich nur eine: Dürener Platt.“

Verfasser: Gregor Brand

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