Johann Anton Zinnen

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Immigrant die Nationalhymne seines neuen Staates komponiert. So ist es ein erstaunliches Phänomen, dass Peter Veit, Sohn eines Trierer Auswanderers nach Südostasien, die Nationalhymne Thailands geschaffen hat. Die Eifel liefert ein weiteres bemerkenswertes Exempel dieser Art: Der Eifeler Johann Anton Zinnen ist Komponist der Nationalhymne des Großherzogtums Luxemburg. Zinnen wurde 1827 in Neuerburg bei Bitburg als Sohn von Johann Baptist Zinnen und Josephine Bettingen geboren; erst 1849 hatte er die luxemburgische Staatsangehörigkeit erhalten.

Nun kann man nicht behaupten, dass Zinnen aus einem fremden Kulturkreis nach Luxemburg gekommen sei. Im Gegenteil: Kulturell und sprachlich aufs engste verbunden, hatten beträchtliche Teile der Südwesteifel lange zum Herzogtum Luxemburg gehört. Dies gilt auch für Zinnens Heimatort. Erst 1815 nach der endgültigen Niederlage Napoleons war die einstige Herrschaft Neuerburg – wie die Eifel insgesamt – Teil Preußens geworden. Die genauen Gründe, warum der Musiklehrer Johann Baptist Zinnen, Vater des Komponisten, mit seinen Kindern ins Großherzogtum umzog, sind nicht bekannt. Vermutlich haben die wirtschaftlichen Verhältnisse eine entscheidende Rolle gespielt. Neuerburg war 1816 und 1818 von zwei verheerenden Feuerkatastrophen heimgesucht worden. Bei den Bränden waren nicht nur 133 Wohnungen zerstört, sondern auch zwei Drittel aller Webstühle vernichtet worden. Während im Großherzogtum durch die Aktivitäten der Brüder Samson und Getschlick Godchaux die Textilindustrie einen großen Aufschwung nahm, von dem die Neuerburger durch die Grenzziehung 1815 abgeschnitten waren, hatten die lokalen Katastrophen viele Bürger der alten Tuchstadt verarmen lassen. Als seine Ehefrau 1833 früh starb, schien der Musiklehrer Johann Baptist Zinnen nur noch in Luxemburg eine bessere Zukunft gesehen zu haben. Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Zinnen senior, der zuvor schon den Neuerburger Musikverein gegründet und als Dirigent geführt hatte, wurde bereits 1835 Dirigent des Musikvereins in seinem neuen Heimatort Fels/Larochette und bald gelang es ihm, dort auch eine Musikschule zu etablieren. Seine erfolgreiche Integration erreichte ihren äußeren Höhepunkt, als ihm und seinen Kindern mit Spezialgesetz vom 13. 2. 1849 die luxemburgische Staatsangehörigkeit verliehen wurde. Vater Zinnen erkannte früh, dass Johann Anton („Jean Antoine“) ihm an Musikbegabung nicht nachstand, und er riet seinem Sohn zu einer Laufbahn als Militärmusiker. Luxemburgs Armee war zwar klein, verfügte aber über 2 Militärkapellen. Mit nur 15 Jahren nahm das Militärorchester zu Echternach unter dem Dirigenten F. F. Hoebich den begabten Eifeler Musikersohn in seine Reihen auf. Nach einer Ausbildung als Hornist und Dirigent erhielt der erst 20-Jährige das Amt des Militärkapellmeisters der luxemburgischen Militärkapelle zu Diekirch. Nur weitere 5 Jahre später wurde Jean Antoine Zinnen Professor am Konservatorium der Hauptstadt Luxemburg und mit Ende 20 sogar dessen Direktor. In den nun folgenden Jahren schuf der Neuerburger zahlreiche Kompositionen, zwar mit einem Schwerpunkt auf Blas- und Marschmusik, aber auch Operetten und andere Werke. In diese Zeit fällt auch seine Vertonung des Gedichts „Ons Hémécht“ des Luxemburgers Michel Lentz – Text und Melodie zusammen wurden 1895 offiziell zur Nationalhymne des Großherzogtums erklärt. Über 30 Jahre zuvor war die Zinnen-Komposition beim Stiftungsfest des Allgemeinen Luxemburger Musikvereins in Ettelbrück uraufgeführt worden. Zinnen, der noch mehrere weitere Orchester leitete, gehörte zu den Gründern dieser Vereinigung, was einmal mehr seine Bedeutung für die Musikgeschichte Luxemburgs unterstreicht. Zu den Enttäuschungen, die er hinnehmen musste, gehörte die 1882 aus finanziellen Gründen erfolgte Schließung des Konservatoriums. Daraufhin wechselte er noch einmal das Land: Er zog nach Paris, wo er in verschiedenen Orchestern mitwirkte. Nach seinem Tod 1898 fand er schließlich seine letzte Ruhestätte in Luxemburg. Die Anerkennung, die er im Großherzogtum genießt, zeigt sich etwa in der Errichtung eines Monuments und in der Herausgabe einer Zinnen-Briefmarke. Auch in Neuerburg mit seiner stolzen musikalischen Tradition – dort war 1857 weltweit erstmalig ein Musikverein fotografiert worden – ist J. A. Zinnen unvergessen.
 
Verfasser: Gregor Brand
 

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