Joseph Braun

– Theologe, Historiker und Politiker aus Hürtgenwald

„Ein vergessener Führer aus der rheinischen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts“ – so wurde Joseph Braun von dem einflussreichen Kirchenhistoriker Heinrich Schrörs (1852–1928) bezeichnet. Die angebliche Vergessenheit Brauns hinderte Schrörs nicht, 1925 eine rund 600-seitige Biographie über ihn zu veröffentlichen. Sie bleibt eine Hauptquelle zu Leben und Werk Brauns.
Johann Wilhelm Joseph Braun kam 1801 auf dem heute zur Gemeinde Hürtgenwald gehörenden Hofgut Gronau als jüngstes von sechs Kindern des Gutsbesitzers Christoph Braun und dessen Ehe¬frau Cäcilia La¬schet zur Welt. Die Mutter starb 1816, und „der Vater heiratete acht Monate später als Sechzigjähriger zum heftigen Verdruß der Kinder ein junges Mädchen“ (Schrörs). 1820 beendete Braun seine Schulausbildung am heutigen Stiftischen Gymnasium in Düren. Bemerkenswert waren seine Kenntnisse mehrerer neuerer Sprachen, die er sich privat aneignete. Nach Privatunterricht in Köln studierte Braun von 1821 bis 1824 an der Universität Bonn Philosophie, Philologie und Theologie. Anschließend begab er sich nach Wien und machte einen Abstecher an die Universität Gießen, wo er aufgrund seiner Kenntnisse 1825 zum Dr. phil. promoviert wurde; die geforderte Abhandlung reichte er nach. Von Wien aus schickte er eine kirchenhistorische Studie an die Universität Breslau und erhielt so den theologischen Doktortitel. Im Dezember 1825 wurde Braun in Wien zum Priester geweiht. Während seiner Zeit in Österreich pflegte der junge Priester und Gelehrte vertrauten Umgang mit namhaften Persönlichkeiten; mit dem hochberühmten Schriftsteller und Philosophen Friedrich Schlegel (1772–1829) freundete er sich eng an. Bei einem anschließenden Rom-Aufenthalt knüpfte Dr. Dr. Braun Kontakte bis in höchste vatikanische Kreise. 1827 kehrte er in die Eifel zurück, ab 1828 lehrte er nach Habilitation für Kirchengeschichte und neutestamentliche Exegese an der Universität Bonn, wo er 1833 ordentlicher Professor der Kirchengeschichte wurde.
Brauns Professorentätigkeit wurde belastet durch die erbitterten Konflikte um die Lehren des Theologen Georg Hermes (1775–1831). Braun bekannte sich entschieden zum Hermesianismus. Er wollte davon auch nicht lassen, als Papst Gregor XVI. und der Kölner Erzbischof scharf gegen die Hermesianer vorgingen. 1837 reiste Braun nach Rom, um den Vatikan umzustimmen, aber ohne Erfolg. 1843 wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen, zudem wurde Braun von seinem Priesteramt entbunden, so dass er nur noch „stille Messen“ lesen durfte. Braun publizierte wichtige kirchenhistorische Werke, aber seine Gelehrtentätigkeit ging deutlich darüber hinaus. Von 1847 bis zum Tod war er Präsident des hoch angesehenen „Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande“. Er verfasste etliche Arbeiten zur Historie der Nordeifel und registrierte stets hochinteressiert heimatliche archäologische Funde. Seine wissenschaftliche Lebensleistung wurde außerhalb Rheinpreußens fast mehr gewürdigt als in der Heimat, wo ihm „die Ächtung der strengkirchlichen Partei“ (Schrörs) zusetzte.
Nach dem Zwangsende seiner Hochschultätigkeit wandte sich Braun der Politik zu. Im Revolutionsjahr 1848 wurde er trotz Widerstands der Geistlichkeit als Abgeordneter des Wahlkreises Düren-Jülich in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, 1850 in das in Erfurt tagende Unionsparlament. Braun begleitete seine politische Arbeit mit staatsphilosophischen Überlegungen, die er in Briefen und Schriften formulierte. Er trat für politische Freiheit und Rechtsstaat ein und wandte sich gegen „Willkür, Bureaukratie und Despotismus in allen Formen“. Der konservative Theologe sprach sich für eine konstitutionelle Monarchie aus und kritisierte sozialistische Bestrebungen. Braun war überzeugter Föderalist; als Anhänger einer „großdeutschen“ Lösung wollte er Österreich in den deutschen Einigungsprozess einbeziehen. Als Parlamentarier schloss er sich nie einer Fraktion an und pochte auf parteipolitische Unabhängigkeit. Braun war „ein Mann der Mittelstraße und der Scheu, sich festzulegen“ (Schrörs). Von der Gründung einer katholischen Partei hielt er wenig, den Beitrag des Protestantismus zur deutschen Kultur unterschätzte er enorm. Im Januar 1850 wurde Joseph Braun im Wahlbezirk Mayen-Ahrweiler von den wenigen Wahlmännern in die preußische Erste Kammer gewählt. Ab 1852 war er Abgeordneter der Zweiten Kammer, wo er von 1855 bis 1862 Bonn-Rheinbach vertrat. Als Abgeordneter setzte er sich erfolgreich für eine Anhebung der Staatsmittel für die Eifel ein, die „infolge der Mißjahre und der massenhaften Auswanderung in einem höchst bedenklichen Zustande“ war“ (Schrörs).
Zu den vielfältigen Facetten von Joseph Braun gehörten seine literarischen Neigungen. Er förderte die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) und schrieb Lehrgedichte, Spruchdichtungen und Aphorismen. Auch wenn ihn der Pfarrer und Heimatforscher Andreas Pohl (1880–1962) als „zähen und sturmerprobten Nordeifler“ feierte, war Braun doch oft kränklich. Der hochgewachsene und beleibte Theologe starb 1863 nach einem Schlaganfall und wurde im heimatlichen Gey beigesetzt. Sein umfangreicher Nachlass an der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn wird zunehmend digitalisiert.
Verfasser: Gregor Brand

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