Julius Kahn

Erfinder, Ingenieur und Unternehmer aus Münstereifel

Lebenswerk und Bekanntheit des 1874 in Münstereifel geborenen Julius Kahn stehen im Schatten seines älteren Bruders Albert. Albert Kahn, 1869 in Rhaunen geboren, gilt als der berühmteste und bedeutendste Industriearchitekt überhaupt, dessen Bauten in mehrfacher Hinsicht entscheidenden Einfluss auf die Industrialisierung im 20. Jahrhundert nahmen. Rund 2.000 Gebäudekomplexe in den USA, aber auch in der früheren Sowjetunion und anderswo, gehen auf Albert Kahn zurück, darunter die Fabrikanlagen für Ford und General Motors in Detroit. Der maßgebliche Ingenieur hinter den Projekten Albert Kahns war sein Bruder Julius.

Julius und Albert Kahn waren Söhne des Lehrers und Rabbiners Joseph Kahn (1845 – 1935) und dessen Ehefrau Rosalie (1843 – 1912). Die – zeitweise auch in Echternach lebende – jüdische Familie wurde vervollständigt durch die beiden Schwestern Mollie und Paula sowie die vier Brüder Louis, Felix, Gustav und Moritz. 1880 wanderten die Kahns in die USA aus, wo sie sich alsbald in Detroit niederließen. Die Grundlage zu seiner Qualifikation legte Julius Kahn mit dem 1899 abgeschlossenen Ingenieurstudium an der University of Michigan; seine Ausbildung wurde primär von Albert finanziert. Die ersten Jobs führten Julius zu Privatunternehmen in Michigan und New York, aber auch zum Ingenieurkorps des amerikanischen Militärs. Wichtige Erfahrungen gewann er bei einem Aufenthalt im kraftvoll aufstrebenden Industrieland Japan. Nach der Rückkehr aus Ostasien intensivierte sich ab 1902 die produktive Zusammenarbeit der beiden Kahn-Brüder. Sowohl Julius als auch Albert Kahn war bewusst, dass die innovative Weiterentwicklung der Industriearchitektur nur mit Verbesserungen des verwendeten Betons zu erreichen war. Noch im Jahr 1902 gelang Julius ein entscheidender Durchbruch. Er entwickelte ein 1903 patentiertes Verfahren zur Herstellung verstärkten Stahlbetons.  Kern dieses Kahn-Systems waren auf neuartige Weise verstärkte Stahlbetonsteine, die „Kahn Bars“. Mit diesem in Deutschland als „Kahneisen“ bezeichneten Bewehrungseisen mit verbindenden Stegen wurde das industrielle Bauen in gewisser Weise revolutioniert. Die Verwendung des Kahneisens führte zu einer verbesserten Stabilität der Bauten und trug damit wesentlich dazu bei, dass Albert Kahn seine imponierenden Bauprojekte realisieren konnte. Ab 1903 arbeitete Julius Kahn als Chefingenieur bei der Firma Albert Kahn Associated Architects & Engineers, die Albert 1896 in Detroit gegründet hatte.  Zusätzlich gründete Julius Kahn auf der Basis seiner Erfindung die Trussed Concrete Steel Company (Truscon). Zweck des erfolgreichen Unternehmens, das Julius Kahn jahrzehntelang als Präsident leitete, war die weltweite Vermarktung des Kahn-Systems und die Bereitstellung der personellen Infrastruktur für die neue Bautechnik (Frank Sedlar, 2013). Die Europa-Rechte für das Kahneisen sicherte sich der legendäre schwedische Industrie-Tycoon Ivar Kreuger (1880 – 1932), der zusammen mit dem norwegischen Bauingenieur Anders Jordahl (1878 – 1969) die „Deutsche Kahneisen Gesellschaft Jordahl & Co“ ins Leben rief. Das heutige Unternehmen Jordahl GmbH verdankt nach eigenen Angaben seinen Erfolg dem Kahneisen und damit dem Erfindungsgeist von Julius Kahn. Truscon, die Firma von Julius Kahn, stellte selbst die Produktion des Kahneisens 1936 ein; das Unternehmen ging ein Jahr später in dem damals riesigen Stahlproduzenten Republic Iron and Steel Company auf.

Julius Kahn musste sich von Anfang an gegen schärfste internationale ingenieurstechnische und ökonomische Konkurrenz behaupten. Viele Fachleute waren vom Kahneisen fasziniert, andere blieben skeptisch. Zu den frühen Großprojekten, bei denen das Kahn-System eingesetzt wurde, gehörte das Engineering Building der Universität von Michigan und das 15-stöckige Marlborough-Blenheim Hotel in Atlantic City (New Jersey). Diese Kahn-Bauten mit ihrem verstärkten Beton zogen die Aufmerksamkeit von Baufachleuten aus der ganzen Welt auf sich. Als Albert Kahn mit dem Bau der Fabrikanlagen der Packard Motor Car Company in Detroit beauftragte wurde, verwendete er das von Julius entwickelte Verfahren. Einen enormen Zuwachs an Bekanntheit und Zustimmung gewann das Kahn-System nach dem Erdbeben in San Francisco 1906. Bei dieser Katastrophe – wie weltweit bei anderen Erdbeben – zeigte sich, dass die nach den Ideen von Julius Kahn errichteten Bauten wesentlich stabiler und feuerfester waren als andere. In den folgenden Jahrzehnten trugen Dutzende weiterer patentierter Erfindungen von Julius Kahn zum Erfolg der Trussed Concrete Steel Company ebenso bei wie zu dem der des Architektur-Imperiums seines Bruders Albert.

Auch in privater Hinsicht blieben die Familien der Kahn-Geschwister nach ihrer Emigration in die USA in engem Kontakt. Julius Kahn hatte Margaret Kohut geheiratet, Tochter des eminenten ungarisch-amerikanischen Rabbiners und Orientalisten Alexander Kohut (1842-1894); aus der Ehe Kahn-Kohut gingen drei Kinder hervor. Merkwürdigerweise starben Julius und Albert Kahn trotz des Altersunterschieds fast gleichzeitig. Im Spätherbst 1942 erlagen die beiden Pioniere des modernen Bauens den Folgen schwerer Erkältungen. 

Verfasser: Gregor Brand

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