Leonhard Schmitz

– Lehrer, Übersetzer und Gelehrter aus Eupen

Der Name des 1807 in Eupen geborenen Leonhard Schmitz klingt für rheinische Verhältnisse nicht ungewöhnlich, aber sein Lebensweg verlief in durchaus ungewöhnlichen Bahnen. Schmitz, der britischer Staatsbürger wurde, war ein Hauptvermittler zwischen deutscher und britischer Gelehrtenkultur im 19. Jahrhundert.
Die Anfänge dieses Mannes, der später auch englische Prinzen unterrichtete, waren bescheiden und von Leid überschattet. Sein Vater Thomas Joseph arbeitete als Spinner im heimischen Textilgewerbe; er starb bereits, als Leonhard erst zehn war. Als Kind verlor Leonhard durch einen Unfall den rechten Arm. Trotz solcher Schicksalsschläge schaffte der höchst sprachbegabte Schüler das Abitur am Gymnasium in Aachen und konnte dank eines Stipendiums Philologie und Geschichte in Bonn studieren. Während seines Studiums von 1828 bis 1832 hörte er Vorlesungen bei überragenden Gelehrten, die bis heute in der Fachwelt einen außerordentlichen Ruf haben: Das gilt sowohl für den Althistoriker Barthold Georg Niebuhr (1776–1831) als auch für den Philologen und Archäologen Friedrich Gottlieb Welcker (1784–1868).
Nach dem Examen unterrichtete Schmitz als Gymnasiallehrer und erteilte Privatunterricht. Zu seinen Schülern gehörte Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der spätere Ehemann der britischen Königin Viktoria; der Kontakt zu ihm ging nie verloren. Weitaus lebensprägender wurde die Beziehung zur Britin Eliza Mary Machell, die er in Bonn kennenlernte. Die beiden heirateten 1836 und zogen alsbald dauerhaft nach Großbritannien; aus der Ehe gingen sechs Töchter und fünf Söhne hervor.
In England lebte Dr. Schmitz – er hatte 1841 den Doktortitel der Universität Bonn erhalten – zunächst hauptsächlich von seiner Arbeit als Privatlehrer in Yorkshire und vom Übersetzen wissenschaftlicher Werke. Intensiv befasste er sich weiterhin mit philologisch-historischen Forschungen. Unterstützt von einem gelehrten Freundeskreis gründete er 1843 „The Classical Museum“, eine Vierteljahresschrift für Philologie, antike Geschichte und Literatur. Zu den Beiträgen, die er darin selbst veröffentlichte und die seine Expertenschaft als Altphilologe eindrucksvoll belegten, zählt eine Abhandlung über die Xenophon zugeschriebene Apologie des Sokrates. Hohe Anerkennung erwarb sich Schmitz, der mehrere Ehrendoktortitel erhielt und Fellow der Royal Society of Edinburgh wurde, durch Herausgabe und Übersetzungen von Arbeiten Niebuhrs.
1845 wurde Schmitz, dessen perfekte Beherrschung der englischen Sprache Bewunderung hervorrief, Rektor der Royal High School in Edinburgh. Er blieb in dieser ehrenvollen Position 20 Jahre lang und modernisierte während dieser Zeit das Lehrangebot der renommierten Schule. Einen vielbeachteten Erfolg konnte der Eupener verbuchen, als Prinzgemahl Albert seinen Sohn, den späteren König Edward VII., zur Ausbildung nach Edinburgh schickte und Schmitz persönlich den Kronprinzen in römischer Geschichte unterrichtete. Auch während seiner Zeit in Schottland setzte Schmitz, der eine einfache und zurückgezogene Lebensweise bevorzugte, seine Privatgelehrtentätigkeit fort, veröffentlichte umfangreich zur römischen Geschichte und verfasste Bücher für den Schulunterricht. Die Übersetzungstätigkeit von Schmitz gilt als einer seiner bedeutsamsten kulturellen Verdienste. In einer Zeit, in der die Beherrschung des Englischen bei Deutschen nicht annähernd vergleichbar war mit dem heutigen Stand, kam diesem sprachlichen Kulturtransfer eine besonders hohe Bedeutung zu. Schmitz übersetzte deutsche und englische Werke in die jeweils andere Sprache.
1866 verließ er die schottische Hauptstadt und zog nach London, wo erster Direktor des London International College wurde. Diese auf Initiative des Unternehmers und Liberalen Richard Cobden damals gegründete Schule ist bildungsgeschichtlich von besonderer Bedeutung. Sie gehörte sie zu den frühesten Einrichtungen, die bewusst eine Schülerschaft aus unterschiedlichen Ländern zusammenführte, um sie im Geist der Völkerverständigung zu vereinen und nationalistischem Denken entgegenzuwirken. Zudem war das College eine der ersten Schulen ohne körperliche Bestrafungen.
Zu den betrüblichsten Ereignissen im Leben von Leonhard Schmitz gehörte der frühe Tod seines ältesten Sohnes, des Mediziners Dr. Carl Theodor Schmitz, der 1862 nach einem aufopferungsvollen Einsatz gegen eine Cholera-Epidemie in Indien auf der Rückreise starb. Die Tochter Leonora Schmitz, verheiratet mit dem schottischen Naturhistoriker John Young (1835–1902), studierte in Leipzig und wurde eine angesehene britische Musikkritikerin. Eine weitere Tochter,
L. Dora Schmitz, machte sich einen Namen als Autorin und Übersetzerin von Shakespeare und Goethe.
Dr. Leonhard Schmitz erlag im Mai 1890 im Alter von 83 Jahren einer Grippeerkrankung und wurde auf dem Hampstead-Friedhof in London beigesetzt. In Eupen selbst hatte man den Sohn des Ortes nicht vergessen. Der Heimatforscher und Postdirektor Christian Rutsch schrieb 1879 stolz: „Manche deutsche Lehrer haben in England mit mehr oder weniger Erfolg Privatschulen gegründet, aber keinem außer Schmitz ist es gelungen zum Direktor eines englischen College aufzusteigen.“
Verfasser: Gregor Brand

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