Lutz Löb

Ingenieur und Lehrer aus Euskirchen
Vater von sechs Holocaustopfern

Ein jüdisches Paar, das zum Katholizismus übertrat und sechs Kinder bekam, die dem strengen Trappistenorden beitraten – das war die historisch einzigartige Lebenssituation der Familie des 1881 in Euskirchen geborenen Lutz (Ludwig) Löb. Die Löbs waren seit vielen Generationen im Raum Euskirchen, Münstereifel und Niederzissen ansässig gewesen. Obwohl die Eltern von Lutz – Nathan Löb und Lina Ruben – 1882 nach Den Haag zogen, wo sich Nathan eine Existenz als erfolgreicher Kaufmann aufbaute, blieb die Familie ihrer Heimatregion verbunden (Steffen/Evers 2014). Nach der Handelsschule in Amsterdam absolvierte Lutz Löb ein kaufmännisches Praktikum in Brüssel. Am Kaufmannsberuf verlor er allerdings bald jegliches Interesse; mit Erlaubnis seines Vaters durfte er in Delft Bergbau studieren. In Brüssel war er in Kontakt mit Weltanschauungen gekommen, die in seinem Leben bis dahin kaum eine Rolle gespielt hatten: Marxismus, Atheismus und Katholizismus. Je mehr er sich mit dem katholischen Glauben beschäftigte, desto überzeugter wurde er von dessen Richtigkeit. Lutz sah zwischen seiner jüdischen Herkunft und katholischer Religiosität keinen wirklichen Gegensatz. Wie andere jüdische Konvertiten, so hielt auch er das katholische Christentum für die folgerichtige Fortentwicklung des ursprünglichen Judentums. Von dieser Einstellung konnte er auch seine Verlobte, die 1879 im nordholländischen Naarden geborene Jüdin Jansje van Gelder, überzeugen.

Ihr gemeinsamer Entschluss, sich katholisch taufen zu lassen, wurde am 2. Oktober 1907 durch den Jesuitenpater Ermann in Delft umgesetzt. Der Pater riet ihnen, die Taufe nicht öffentlich zu machen und den Glaubensübertritt nicht den besorgten Eltern mitzuteilen. Noch im gleichen Monat heirateten die beiden Kryptokatholiken. Fünf Monate später kam ihr erstes Kind, die Tochter Lien, zur Welt; sie wurde heimlich getauft. Beim erstgeborenen Sohn Joris wurde die äußere religiöse Doppelstellung noch deutlicher: Er wurde nach jüdischem Ritus beschnitten, aber ebenfalls heimlich getauft. 1910 erhielt Bergbauingenieur Lutz Löb eine Leitungsposition bei einer Minengesellschaft in Sumatra, das damals zum niederländischen Kolonialreich gehörte. Die Familie, die sich daraufhin in Indonesien für sechs Jahre niederließ, versteckte dort ihren Glauben nicht länger und nahm am Gemeindeleben der wenigen Katholiken teil. Bis Ende 1918 kamen noch sechs weitere Kinder zur Welt: Robert, die Zwillingsschwestern Wies und Thea, die Brüder Ernst und Hans sowie als Nesthäkchen die Tochter Paula. Erleichtert wurde die Erziehung der kleinen Kinder durch die für Kolonien typische Beschäftigung von einheimischem Dienstpersonal. Nach dem Ende des Weltkriegs kehrte die zehnköpfige Familie nach Europa zurück, wo sie sich schließlich in der nordbrabantischen Stadt Bergen op Zoom niederließen. Dort arbeitete Lutz Löb am Gymnasium als beliebter Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften. Lutz und Jansje gehörten zu den aktiven Mitgliedern der katholischen Gemeinde und kümmerten sich besonders um die Jugendarbeit. Als ein befreundeter Pfarrer sich 1925 den Trappisten der Abtei Koningshoeven (Tilburg) anschloss, lernten auch die Löbs diesen Orden näher kennen und dessen spirituelle Lebensführung schätzen. Ab 1926 zog sich Lutz alljährlich eine Woche lang ins Trappistenkloster zur religiösen Besinnung zurück. Die tiefe Religiosität der Trappisten erfasste nahezu die ganze Familie. Bis 1930 schlossen sich sowohl die drei ältesten Söhne Joris, Robert und Ernst als auch die drei ältesten Schwestern Lien, Thea und Wies dem Trappistenorden an. Die Söhne lebten ihren Glauben im Kloster Koningshoeven, die Schwestern zuerst in der Trappistinnenabtei in der belgischen Stadt Chimay, dann ab 1938 im Kloster Koningsoord/Arnhem. Ihre Eltern erreichten kein hohes Alter: Lutz Löb starb „wie ein Heiliger“ (Hamans, 2010) 53-jährig im April 1936, seine Frau Jansje 59-jährig im September 1938. Sie hatten zwar noch mitbekommen, dass im Deutschen Reich eine antisemitische Diktatur aufgebaut worden war, ahnten aber nicht, welche Gräuel noch bevorstanden. Als sich nach der NS-Besetzung der Niederlande im Mai 1940 die Judenverfolgung dort zunehmend verschärfte, protestierten die niederländischen Kirchen gegen die Entrechtung ihrer jüdischen Mitbürger. Um zu verhindern, dass dieser Protest Unruhen verursachte, stellten die Besatzer 1942 den Katholiken in Aussicht, dass alle vor 1941 Getauften verschont blieben, wenn die Kirche auf öffentlichen Protest verzichte. Als trotzdem am 26. Juli 1942 ein Hirtenbrief verlesen wurde, der sich für alle Juden einsetzte, folgte die nazistische Rache: Hunderte von Katholiken jüdischer Herkunft wurden verhaftet, darunter die heilige Philosophin Edith Stein (1891–1942). Im Morgengrauen des 2. August 1942 erschien die Gestapo in den Abteien Koningshoeven und Koningsoord und verhaftete fünf der Löb-Trappistengeschwister; nur Wies (gest. 1944), die lungenkrank war und versteckt wurde, entging vorerst dem Zugriff. Die Geschwister Löb wurden am 7. August 1942 vom Lager Westerbork nach Auschwitz gebracht und dort wenig später ermordet. Der jüngste Löb-Sohn Hans starb 1945 in Auschwitz. Von den acht Kindern überlebte nur die jüngste Tochter Paula den NS-Terror.

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen